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Ist es das Ende der Leistungsgesellschaft - oder die Antwort auf die Herausforderungen der modernen Gesellschaft? Ein Berner Pilotprojekt für ein bedingungsloses Grundeinkommen soll Antworten liefern.

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(Bild: Pia Zibulski)

«Geht es um ein bedingungsloses Grundeinkommen, wird über dessen Auswirkungen seit Jahren bloss spekuliert», sagt Barbara Keller. Die SP-Stadträtin sowie die Kommission für Soziales, Bildung und Kultur wollen die Utopie darum dem Test unterziehen. Im Rahmen eines Pilotprojekts soll eine Auswahl von Menschen ein Grundeinkommen erhalten. Wie sich das auf ihre Arbeit, Freizeit und ihren Alltag auswirkt, wird wissenschaftlich begleitet. 

2016 war die Schweiz dagegen

Diskussionen zum bedingungslosen Grundeinkommen haben die politische Bühne der Schweiz spätestens 2016 erreicht. Im September stimmte die Stimmbevölkerung über eine Einführung des oft zu BGE abgekürzten Grundeinkommens ab. Bei Einreichung der Unterschriften wurden dafür symbolisch 8 Millionen 5-Rappen-Stücke auf dem Bundesplatz ausgeleert. Doch die Utopie des staatlich ausbezahlten Minimaleinkommens blieb eine. 76,9 Prozent Nein-Stimmen versenkten die Vorlage deutlich.

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Was machen wir mit Geld? Und was macht Geld mit uns? Das ist die inhaltliche Klammer des Schwerpunktthemas, zu dem wir Anfang Januar zahlreiche Artikel veröffentlichen.

Die Debatte hingegen ist seither nicht verstummt. Gerade die Pandemie habe dem Thema neuen Schub gegeben, ist Barbara Keller überzeugt. «Viele mussten in Kurzarbeit und hatten mit Einkommenseinbussen zu kämpfen. Das hat Existenzängste ausgelöst.» Aber auch der technologische Fortschritt, der zum Beispiel Migros-Kassierer*innen ersetze, stelle die moderne Gesellschaft vor Herausforderungen. «Hinzu kommen die nach wie vor hohen Burnout-Raten und unbezahlt verrichtete Betreuungsarbeit.» Kurzum: Laut Keller könne das Minimaleinkommen Antworten auf drängende Fragen unserer Zeit liefern. Und erst ein Versuch könne diese Antworten konkretisieren.

So sieht es auch Stadträtin Lea Bill (Grünes Bündnis). Sie hat den Vorstoss mitinitiiert. «Wir müssen endlich anhand von Fakten und nicht anhand von Befürchtungen über ein bedingungsloses Grundeinkommen sprechen», sagt sie. Eine Befürchtung lautet etwa, dass mit einem BGE niemand mehr in schlecht bezahlten Jobs arbeiten würde. Ohne den Test, könne dies jedoch nicht abschliessend beantwortet werden.

2022 war Zürich dagegen

So optimistisch es in Bern klingt, in der Stadt Zürich wurde einem ähnlichen Vorhaben erst im September der Wind aus den Segeln genommen. In der Stimmbevölkerung fand sich keine Mehrheit, die ein Pilotprojekt unterstützte. «Das ist natürlich schade, muss aber für Bern nichts heissen», gibt sich Bill optimistisch.

Die Niederlage in Zürich reiht sich ein in die Liste gescheiterter Anläufe zur Lancierung eines Grundeinkommens. Nach der Initiative 2016 startete Filmemacherin Rebecca Panian 2018 ein Projekt, dass in der Zürcher Gemeinde Rheinau während drei Jahren sämtlichen Dorfbewohner*innen ein Minimaleinkommen sichern wollte. Dafür wollte Panian 6 Millionen Franken via Crowdfunding zusammentreiben, schaffte es aber lediglich auf 150’000 Franken.

Im April 2021 startete ein Komitee um den ehemaligen Bundesratssprecher Oswald Sigg einen erneuten Anlauf für eine nationale Volksinitiative zur Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens. Doch bereits im Anfangsstadium droht das Anliegen zu scheitern: Die Sammelfrist der Unterschriften läuft in diesem Februar ab, und das Komitee hat laut Webseite erst 65’000 der nötigen 100’000 Unterschriften beisammen.

Die einzige Erfolgsgeschichte ist das Projekt «Ting», das 2019 gegründet wurde. Angestossen wurde es unter anderem vom Verein Grundeinkommen, der aus der Initiative von 2016 entstand. 383 Mitglieder zahlen auf ein Gemeinschaftskonto Geld ein - wie viel, entscheidet jede*r selbst, es gilt ein Mindestbetrag von 10 Franken pro Monat. Aus dem gemeinsamen Topf können jene Mitglieder zugreifen und ein Grundeinkommen beziehen, die ein Vorhaben umsetzen wollen - von einer Ausbildung, über ein Kochbuch schreiben bis zum Engagement in Politik ist alles möglich. Bedingung ist, dass sie zuvor einen Antrag stellen. Während maximal sechs Monaten erhalten sie 2’500 Franken pro Monat. Bisher konnte so während 180 Monaten ein Grundeinkommen ausbezahlt werden.

Utopie bleibt (vorerst) Utopie

Wie genau das Pilotprojekt für ein Grundeinkommen in Bern aussehen soll, lassen die Motionär*innen offen. Bisher schwebt ihnen vor, dass rund 300 Menschen während drei Jahren ein Minimaleinkommen beziehen. Wie hoch der Betrag ist, ist laut Motion nicht definiert. Klar ist jedoch, dass der Versuch viel kosten wird. «Das ist uns bewusst», sagt Lea Bill. Insbesondere mit Blick auf die maroden Stadtfinanzen. «Da es sich um ein wissenschaftlich begleitetes Projekt handelt, könnte die Stadt zum Beispiel eine Finanzierung beim Schweizerischen Nationalfonds anfragen», schlägt sie vor. Zuerst muss sich der Stadtrat aber mit dem Vorstoss beschäftigen. Anschliessend kommt das Geschäft in den Gemeinderat.

Bis Bern die Utopie testen kann, wird es aber auch bei einer Annahme des Vorstosses noch einige Zeit dauern. Ähnlich wie schon beim Pilotversuch zum Cannabiskonsum: 2005 wurde im Stadtrat ein Antrag gestellt für ein wissenschaftlich begleitetes Projekt, das voraussichtlich diesen Sommer endlich startet.

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Diskussion

Unsere Etikette
Hanspeter Zaugg
18. Januar 2023 um 18:45

Korrektur Die Intitative für ei Bedinungsloses einkommen ist nicht geschtert sondern die Unterschriftensammlung dazu. Entschuldigung für den Faux pax .

Hanspeter Zaugg
18. Januar 2023 um 16:10

Für diese Forderung braucht die Spezies Mensch wohl noch sagen wir mal 10 Generationen weil sich der grossteil der Menscheit, gefühlte 97 % keine Gedanken darüber macht Mag traurig sein ist aber so. Was nicht heisst dass man weiterkämpfen soll und muss

für eine" Besere Welt" Der grosse Dramatiker Nestroy sagt es so(angeblich, die Quellenlage ist nicht zu 100 % bekannt)

"Der Mensch ist gut nur die Leut san schlecht "

In diesem Sinne Frisch voran auch wenn die Initiative für ein Bedinnungungsloses Einkommen gerade gescheitert ist.

dino rigoli
18. Januar 2023 um 04:57

Das bedingungslose Grundeinkommen mag utopisch klingen, die AHV war es einst auch. Studien und Versuche gibt es weltweit bereits zuhauf - lässt sich alles nachlesen in entsprechenden Publikationen. Nur sind sie selten wissenschaftlich und neutral/objektiv ausgewertet worden, weil die Resultate nicht den Erwartungen der Gegner eines BGE entsprachen. So hat man jeweils die Versuche vorzeitig abgebrochen oder uminterpretiert und das BGE ins Reich der sozial-romantischen Utopien verbannt. Was nicht sein darf, kann nicht sein. Ohne ein grundlegendes neues Verständnis von Geld wird es kein BGE geben. Solange Arbeit durch Lohn/Geld bewertet wird und die Lohnarbeit unser Leben dirigiert, bleiben wir in unseren Denkschemata verhaftet, resp. umgekehrt. Daran ändert leider auch die Corona-Zäsur wenig.

Ueli Balsiger
17. Januar 2023 um 08:24

"Ting" ist deswegen relativ erfolgreich, weil es sich nicht scheut, Bedingungen zu formulieren. Der Pferdefuss beim Grundeinkommen ist das Wort "bedingungslos". Ein Etikettenschwindel, der die an sich vernünftige Idee eines Grundeinkommens ins Reich der Utopie befördert.