Polizeigarten – Stadtrat-Brief #1 2025

Sitzung vom 23. Januar 2025 – die Themen: Wahlen, Waisenhausplatz, Kehrichtfahrzeuge, Begegungszone, Reden. Mitglied der Woche: Tanja Miljanović (GFL)

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(Bild: Silja Elsener)

Bären- und Waisenhausplatz im Berner Stadtzentrum sollen – endlich – umgestaltet werden. Das erste grosse Geschäft des neu zusammengesetzten Stadtrates ist ein schon fast historisches Projekt. Es geht zurück auf die angenommene SVP-Volksinitiative «I läbti gärn im Härz vo Bärn» aus dem Jahr 1988. Lange war die Umsetzung aus finanziellen Gründen sistiert. Nun sollen die beiden Plätze für 36,7 Millionen Franken saniert, umgestaltet und besser verbunden werden. 

Der Kern des Geschäftes ist unbestritten, das brachten Vertreter*innen von links und rechts zum Ausdruck. Deutliche Kritik kam von der SVP lediglich zu den Finanzen. Auf Anklang bei der linken Ratsmehrheit stossen insbesondere die vorgesehenen Anpassungen für ein besseres Mikroklima mit unter anderem 33 neuen Bäumen. 

Trotzdem entflammte eine lebhafte Debatte zu einem interessanten Seitenaspekt. So fordert eine Minderheit der zuständigen Kommission im Zug der Umgestaltung die Öffnung des Gartens vor der Polizeiwache am unteren Ende des Waisenhausplatzes. «Die Bevölkerung sollte dort im Sommer im Schatten zu Mittag essen oder auf dem Rasen liegend ein Buch lesen können», sagte Nora Joos (JA!).

Der Gemeinderat hat die Öffnung des Gartens geprüft und will aufgrund der negativen Einschätzung der Kantonspolizei darauf verzichten. Die Polizei macht Sicherheits- und Diskretionsbedenken geltend. Der Garten sei «Bestandteil des Objektschutz-Dispositivs», und er biete Bürger*innen, welche auf die Wache kommen «eine bestimmte Diskretion». 

Für GFL-Stadträtin Tanja Miljanović sind das irritierende und billige Ausreden. «Hat die Polizei Angst, dass Berner*innen mit Steinschleudern aus den Büschen springen?», fragte sie. Das Bundeshaus am anderen Platzende komme auch «ohne Schutzwälder aus».

Die SP hingegen will der Öffnung des Polizeigartens noch nicht zustimmen. Sie beantragt lediglich eine weitere Prüfung des Anliegens und stützt so ihre beiden Gemeinderät*innen, die ehemalige Vorsteherin (Marieke Kruit) und den aktuellen Vorsteher der Tiefbaudirektion (Matthias Aebischer) . 

Wie die Debatte über den Polizeigarten ausgeht, ist noch offen. Nächste Woche wird das Geschäft zu Ende beraten. Keine Unterstützung hat die Öffnung bei der GLP. Interessant wird sein, wie sich die FDP zum liberalen Anliegen positioniert und wie der Neo-Gemeinderat Aebischer trotz SP-Leitspruch «für alle statt für wenige» den geschlossenen Polizeigarten verteidigen wird.

Portrait von Tanja Miljanovic im Rathaus Bern, aufgenommen am 31.10.2024 für hauptstadt.be
Ratsmitglied der Woche: Tanja Miljanović

Tanja Miljanović wurde 1983 im bosnischen Tuzla geboren. Über die Flucht ihrer Familie in die Schweiz Anfang der 90er Jahre hat sie kürzlich einen Roman geschrieben. Miljanović hat Osteuropäische Geschichte und Slavistik studiert und politisiert seit 2021 für die GFL – deren Co-Präsidentin sie ist – im Stadtrat.

Warum sind Sie im Stadtrat? 2019 schrieb ich im Progr an meinem ersten Roman über den Krieg und den zivilgesellschaftlichen und staatlichen Zerfall im ehemaligen Jugoslawien. Plötzlich lagen am Morgen Dutzende junge, durchfrorene Klimaaktivist*innen in den Gängen in ihren Schlafsäcken, um zwischen den Demoschichten auf dem Bundesplatz Wärme zu tanken. Ein nationaler Politiker schrieb, man solle mit Panzern über sie fahren. Da fröstelte es mich, denn während ich gemütlich über historische De-Demokratisierung und Radikalisierung nachdachte, kämpfen diese junge Menschen aktiv für unsere Zukunft. Statt geehrt, wurden sie bedroht. Das legte bei mir einen Schalter um, und ich entschied mich, in die Politik zu gehen.

Wofür kennt man Sie im Rat – auch ausserhalb Ihrer Partei? Einmal sagte ich einem Ratskollegen im Witz: «Ja, manchmal bin ich halt ein Pitbull.» Er nickte! Ich bilde mir meine Meinung umsichtig und höre mir alle Argumente an. Bin ich einmal überzeugt, bleibe ich dabei. So bei der Sandsteinmauer in der Matte oder wenn ich Erdwärme statt das Verbrennen von wertvollem Holz fordere. Ich mag keine wischiwaschi Antworten und ich hasse es, wenn Menschen mit Verantwortung keine Verantwortung übernehmen. Sonst ordne ich immer wieder gerne das Kleine und Konkrete in das Grosse und Systemische ein. Das führt regelmässig zu Augenrollen. 

Welches ist Ihr grösster Misserfolg im Rat? Misserfolge erachte ich als vorübergehende Temposchwellen und frage mich: War die Idee schlecht oder habe ich es schlecht erklärt? Am wenigsten kann ich nachvollziehen, dass die Stadt Bern in Quartieren mit tollen (Viererfeld) oder ausreichenden (Ausserholligen) Voraussetzungen für dezentrale Erdwärme lieber sowohl nachwachsende als auch fossile Rohstoffe verbrennt. Die ersten Vorstösse und Anträge wurden abgeschmettert. Eine weitere Motion wird hoffentlich bald traktandiert. Frau muss halt dran bleiben.

Worauf sind Sie stolz bei Ihrer Ratsarbeit? Stolz ist schwierig. Ich hatte immer liebe Menschen, die mich beraten und angetrieben haben. Aber vor etwa zwei Jahren habe ich mit Mirjam Roder zwei Motionen eingereicht, die absolut niemand mit einreichen wollte. Wir forderten in der gemeinderätlichen Klima- und Energiekommission eine Transformationswissenschaftler*in und eine Fachperson Klima und Gender. Wer Veränderung will, sollte erstens die Mechanismen dahinter verstehen und zweitens die ganze Bevölkerung berücksichtigen. Ein paar Monate und einige Lobbyarbeit später wurden beide Motionen vom Gemeinderat zur Annahme empfohlen und vom Stadtrat überwiesen. Yesss!

Welches ist Ihr liebster Stadtteil und warum? Ich wohne seit bald zehn Jahren im Obstberg, davor lebte ich in der Länggasse und im City West. Ich liebe den Obstberg für die Ruhe, den Egelsee und die dörflichen Strukturen – in meiner Strasse kennen sich alle mit Vornamen, grüssen sich und schwatzen miteinander. Die Länggasse hat tolle Restaurants und Cafés, die Uni, und in City West pulsiert es. Aber ich könnte in jedem Quartier leben. Überall hat es tolle Menschen, manchmal muss man sie nur aus ihren Häuschen herauskitzeln.

Diese Themen waren ebenfalls wichtig:

  • Reden I: Die erste Sitzung des Jahres ist jeweils von feierlichen Reden geprägt. Die abtretende Stadtratspräsidentin Valentina Achermann (SP) verabschiedete sich mit einem Hinweis auf die Inauguration von US-Präsident Donald Trump: «Wenn Multimilliardäre vor den Augen der ganzen Welt den Hiltergruss machen, wenn rechtsextreme Parteien in Europa an Einfluss gewinnen, wenn der Aufstieg des Faschismus droht, dann ist Widerstand Pflicht.» In diesen Zeiten solle man auf verbindende Werte und Prinzipien setzen: Rechtsstaatlichkeit, die demokratischen Institutionen «und das Engagement von allen.» Auch der frisch gewählte diesjährige Stadtratspräsident Tom Berger (FDP) betonte in seiner Rede das Verbindende und wünschte sich einen respektvollen Umgang miteinander: «Hören wir explizit jenen zu, die nicht gleicher Meinung sind, und
suchen wir den Kompromiss.» 
  • Wahlen: Als Vizepräsident*innen des Rates wurden Jelena Filipovic (GB) und Béatrice Wertli (Mitte) einstimmig gewählt. Filipovic ist damit designierte Stadtratspräsidentin 2026, Wertli im Jahr darauf.
  • Kehrichtfahrzeuge: Die Stadt kann fünf neue Elektrokehrichtwagen kaufen. Das hat der Stadtrat mit 68 zu 5 Stimmen beschlossen. Sie sollen zehn Jahre alte Dieselfahrzeuge ersetzen. Der stolze Preis für die neuen, 26 Tonnen schweren Lastwagen: 4 Millionen Franken. Der für die Entsorgung zuständige neue Gemeinderat Matthias Aebischer pries den Kauf auch als wichtige Massnahme im Rahmen der städtischen Klimastrategie an.
  • Schulverbindung: Grosse Zustimmung erntete im Rat die Umgestaltung der Statthalterstrasse in Bümpliz. Sie soll zur Begegnungszone mit Tempo 20 werden und zwei Schulhäuser miteinander verbinden. Zwischen dem Statthalter-Schulhaus und der Besonderen Volksschule Bern soll mit Granitplatten auch optisch eine bessere Verbindung hergestellt werden. GB-Stadträtin Sarah Rubin sagte, das Projekt sei aus inklusiver und ökologischer Sicht wichtig. Nur die SVP hatte Bedenken, unter anderem wegen der Anlieferung für die Bümplizer Chilbi. Diese konnten aber ausgeräumt werden.
  • Reden II: Nach der ersten Ratssitzung des Jahres wird jeweils das Präsidium gebührend gefeiert. Diesmal war die Reihe an Tom Berger (FDP), der dafür in die Turnhalle im Progr lud. Auch da standen Reden im Zentrum. Stadtpräsidentin Marieke Kruit listete die Stationen in Bergers Werdegang auf, der 2011 mit einer Petition zum Nachtleben begann. Und GB-Stadträtin Franziska Geiser – die Tür an Tür mit Berger aufgewachsen ist – versuchte in einer schönen, launigen Rede Kritik an Berger herauszuschälen. Das scheint beim allseits beliebten FDP-Stadtrat aber schwierig. So wurde ihr geplanter Roast eher zu einer Trostrede für den von der linken Mehrheit geplagten Berger. Die oft behauptete Machtarroganz sei halt einfach Gestaltungswille, korrigierte Geiser den Neo-Ratspräsidenten.

PS: Das erste inhaltliche Votum nach den Präsidiumswahlen hielt gestern ausgerechnet SVP-Vielredner Alexander Feuz. Immerhin hielt er sich diesmal relativ kurz und zog einen Antrag der SVP zur rechtlichen Zulässigkeit von Vorstössen zurück. Ein hoffnungsvoller Start für all jene im Rat, welche sich weniger ausufernden Voten von Feuz wünschen.

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Diskussion

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Toni Menninger
07. Februar 2025 um 21:34

War es nicht längst geplant, dass die Polizei umzieht und das schöne Gebäude samt Garten der Bevölkerung zurückgegeben wird?