Er verkörpert Muri, wie es bleiben will
Die FDP in Muri-Gümligen steht bei den Wahlen ums Gemeindepräsidium unter Druck. Sie schickt mit Stephan Lack deshalb ein politisches Schwergewicht ins Rennen.
Stephan Lack wohnt mit seiner Familie in einem freistehenden Haus mit Garten, umringt von symmetrisch geschnittenen Hecken, mitten im Botschaftsviertel. Entspannt öffnet Lack die massive Holztür mit einem «Bonjour» und spielt auch gleich beim Eintreten auf seine Parteitreue an: Die Schuhe dürfen anbehalten bleiben, «wir sind schliesslich liberal.»
Der Freisinnige, der zum Gespräch einen den Parteifarben entsprechenden hellblauen Pullover trägt, will Gemeindepräsident von Muri werden. Und so die Macht der Freisinnigen wahren. Seit 1996 ist das Präsidium der Vorortsgemeinde in FDP-Hand, zuvor war es die SVP, die die Geschicke der Gemeinde leitete. Doch die bürgerliche Dominanz bröckelt. Muri befindet sich im Umbruch. Dies gipfelte bei den letzten Wahlen 2020 darin, dass die Bürgerlichen ihre seit Einführung des Parlaments 1973 bestehende Mehrheit verloren. Nun stellen SVP und FDP noch die Hälfte der 40 Sitze.
Die Vormachtstellung der Bürgerlichen ist auch für das Gemeindepräsidium nicht mehr gesichert. Am 4. Dezember wird Lack von Gabriele Siegenthaler (Forum) herausgefordert, deren Kandidatur innerhalb der FDP und darüber hinaus als valable Konkurrenz gilt. Doch wer ist Stephan Lack, dessen Haus und Pullover dem FDP-Bild entsprechen - und der der Partei die einstigen Erfolge sichern soll?
Stephan Lack wuchs in der Stadt Bern auf. Als er 16 Jahre alt war, zog die Familie nach Muri, wo er und sein Bruder Daniel Lack ihr politisches Interesse entdeckten. Sie gründeten 1986 gemeinsam mit zehn Gleichgesinnten die Jungfreisinnigen Muri-Gümligen, im selben Jahr wurde Stephan Lack Generalsekretär der Jungfreisinnigen Schweiz. Sein zwei Jahre älterer Bruder sass selbst im Muriger Parlament und Gemeinderat, später im bernischen Grossen Rat. Die Eltern und Grosseltern seien nie politisch aktiv gewesen, hätten aber stets FDP gewählt, erzählt der 59-Jährige.
Die FDP-Nähe schreibt sich auch in Stephan Lacks beruflichem Werdegang fort: er studierte Ökonomie und Politikwissenschaften in Bern, war Kommandant einer Panzergrenadierkompanie und arbeitete für international tätige Schweizer Firmen in der Uhrenindustrie. Während zehn Jahren lebte er in Asien. Heute ist er selbstständig.
Buddhas, Orchideen und Ganztagesschulen
Die Jahre in Hongkong, Kuala Lumpur und Tokio spiegeln sich auch in seinem Muriger Haus wider. Orchideen schmücken die Kommoden aus Massivholz, Buddhastatuen sitzen auf den Fenstersimsen, Bilder aus Japan hängen an der Wand, überall im Haus finden sich Elefantenfiguren.
Politisch fliessen die Eindrücke aus Asien ebenfalls ein. Seit 2008 steht der Unternehmer dem Bildungsressort vor, das er nach den Erfahrungen, die seine junge Familie dort machte, umbauen will. Etwa, indem die Gemeinde mittelfristig Ganztagesschulen einführt. So, wie sie seine beiden Kinder, die in Hongkong und Kuala Lumpur geboren wurden, in Asien besuchten. «Gerade für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf wäre dies ideal.»
Bisher bleibt Lack mit diesem Vorhaben jedoch noch im Anfangsstadium. Eine Umfrage in der Gemeinde 2019 zeigte, dass Eltern dafür kein Bedürfnis sehen. Lack vermutet, dies sei dem Umstand geschuldet, dass die Tagesschule in Muri-Gümligen einen hohen Standard erreicht habe.
Zusätzlich verhindert die fehlende Infrastruktur der Muriger Schulhäuser die Einführung einer Ganztagesschule. «Ich bin aber davon überzeugt, dass wir auch die Ganztagesschule noch schaffen. Das ist eine Frage der Zeit, beginnen werden wir mit einem Pilotprojekt.»
Unternehmerische Weitsicht - oder Reformstau?
Gerade seine bisherige Arbeit im Muriger Bildungsressort bietet für seine Gegner*innen im Wahlkampf Angriffsfläche. Denn es herrscht Renovationsstau: die Schulhäuser müssen dringend saniert werden, dafür rechnet die Gemeinde mit mindestens 70 Millionen Franken, die investiert werden müssen. Hat Lack dies verschlafen? «Ganz sicher nicht.» Man könne das Geld nur einmal ausgeben, und darum lieber für die richtige Schulrauminfrastruktur, die den zukünftigen Ansprüchen einer fortschrittlichen Schule entspreche. Diese Planung sei äusserst komplex und er wolle keine alten Schulhäuser flicken, sondern Lösungen, die langfristig aufgingen. «Das ist halt der Unternehmer in mir.»
Innerhalb des Freisinns wird seine Strategie verteidigt: Lacks unternehmerisches Denken ist für Claude Thomann, Urgestein der FDP Muri-Gümligen, der früher selbst in der Gemeindepolitik tätig war, ein entscheidender Pluspunkt. «Diese unternehmerische Weitsicht tut der Gemeinde gut.»
Lobbyarbeit im Kanton
Neben seinem politischen Engagement in der Gemeinde, präsidiert Lack seit 2020 die bernische FDP. Und seit Juni 2022 sitzt er im Grossen Rat. Zwar müsste er, falls er die Wahl am 4. Dezember schafft, das Amt als Kantonalpräsident abgeben. Im Grossen Rat würde er aber bleiben - und für Muri-Gümligen lobbyieren. «Sämtliche wichtigen Entscheide in Sachen Finanzen, Bildung, Raumplanung, Verkehr und Gesundheit werden kantonal geregelt.» Lack erwähnt den Finanz- und Lastenausgleich, in den Muri-Gümligen mittlerweile zwei Drittel seines Steuereinkommens einzahlt. Schweizweit sei die Gemeinde längst keine Steueroase mehr. Zudem definiere das kantonale Volksschulgesetz die Grundlagen zur Schulstruktur - und so auch einer Ganztagesschule. «Dort will ich ansetzen.»
Diese Verbindungen zur Kantonspolitik bringen Parteikolleg*innen als klaren Vorteil für Lack als Gemeindepräsidenten ein. «Er ist weit über die Gemeindegrenzen hinaus vernetzt», sagt etwa Christa Grubwinkler, Vize-Präsidentin der FDP Muri-Gümligen. Davon könne die Gemeinde profitieren.
Und doch ist sich weder Lack, noch die Muriger FDP, des Sieges sicher. Vielmehr macht sich eine gewisse Anspannung in der Partei breit.
Zwar ist Lack die Unterstützung der SVP sicher. Aber an die gewohnte bürgerliche Dominanz anzuknüpfen, ist gar nicht so einfach. «Es wird spürbar knapper», sagt Vizepräsidentin Christa Grubwinkler. Zudem beobachtet Grubwinkler, wie die freisinnige Wähler*innenbasis bequemer geworden sei. Zu verwöhnt durch die vergangenen Siege, gingen nur wenige von ihnen an die Urne.
Was zusätzlich für Lack zum Nachteil werden könnte, ist sein Geschlecht. Denn mit Gabriele Siegenthaler tritt nicht nur eine Politikerin der aufstrebenden Forum-Partei ebenfalls zur Wahl im Dezember an, sondern auch eine Frau. Siegenthaler wäre die erste Muriger Gemeindepräsidentin. «Das kann mir einige Stimmen kosten, wenn es Bürgerinnen und Bürger gibt, für die das Geschlecht vorrangig ist», gesteht Lack ein.
Der Leuchtturm Muri-Gümligen
Mit Lack fährt der Muriger Freisinn eine klare Strategie: er soll den heutigen Zustand der Gemeinde erhalten. Sein Kredo: «Muri soll im Grundsatz so bleiben, wie es ist.» Muri-Gümligen sei ein Leuchtturm im Kanton Bern, geprägt von der bürgerlich-liberalen Handschrift. Der Gemeinde ginge es gut, so Lack. «Die Finanzen sind gesund, zudem brummt die Wirtschaft und der Steuerfuss ist mit 1,14 tief.»
Neben seinem hellblauen Pulli und dem freistehenden Haus im Botschaftsviertel entspricht er damit klar dem Bild über Muri - und verkörpert dies nahezu perfekt.