Mal links, mal rechts
Die Lokalpartei Forum fordert in Muri-Gümligen bei den Wahlen fürs Gemeindepräsidium die FDP heraus. Kandidatin Gabriele Siegenthaler will «gute Lösungen» für die Gemeinde, ohne sich zu einem politischen Lager zu bekennen.
Auf dem Weg zum Pfarrhaus weist die Muriger Gemeinderätin Gabriele Siegenthaler Muinde auf den neuen Sickerbelag hin, der auf dem Weg entlang der Kirche verbaut ist. So kann Wasser ablaufen und in der Hitze wieder verdunsten. Und als wir das Pfarrhaus betreten – das seit einem Jahr Café und Coworking-Space ist – erzählt Siegenthaler als erstes, dass die Kirchgemeinde lokalen Sonnenstrom des Vereins Energiewende Muri-Gümligen beziehe. Ein überparteilicher Verein, den sie mitgegründet hat. Der Klimawandel ist Siegenthalers politisches Thema Nummer 1.
Siegenthaler steht mitten im Wahlkampf um das Gemeindepräsidium. Sie und ihre kleine, aufstrebende Lokalpartei Forum fordern die bisher dominante Freisinnige Partei und deren Kandidaten Stephan Lack heraus. Die Nachfolge von FDP-Gemeindepräsident Thomas Hanke, der auf März 2023 abtritt, wird am 4. Dezember bestimmt. Das Forum ist im Hoch. Bei den letzten Wahlen 2020 wurde es zweitstärkste Fraktion im Gemeindeparlament, und es hat zwei Vertreter*innen im Gemeinderat.
Für das Gespräch hat Siegenthaler das neue Café der Kirchgemeinde im alten Pfarrhaus in Muri gewählt. Ihr gefalle das offene Haus, das vielfältige Formen von Begegnung ermögliche. Es ist sorgfältig renoviert und eingerichtet. Wir nehmen im Kaminzimmer Platz.
Zur Politik und damit zum Forum kam Siegenthaler, weil sie angefragt wurde, für das Gemeindeparlament zu kandidieren. «So läuft das meist in der Gemeindepolitik», sagt sie. Prompt landete Siegenthaler auf dem ersten Ersatzplatz. Ab 2013 politisierte sie im Gemeindeparlament, bald schon als Fraktionschefin. Seit 2021 sitzt sie im Gemeinderat. Dort ist sie zuständig für Umwelt und Energie.
Der Kampf gegen den Klimawandel ist eine Konstante, die sich durch die Politik der Lokalpartei und ihrer Kandidatin für das Gemeindepräsidium zieht. Als grössten politischen Erfolg ihrer knapp zweijährigen Amtszeit als Gemeinderätin nennt Siegenthaler die Klima- und Energiestrategie, die der Gemeinderat kürzlich verabschiedet hat. «Wir haben uns mit Netto Null bis 2045 ein ambitioniertes Ziel gesetzt.» Dazu müsse natürlich noch einiges gehen. «Aber die Startbahn haben wir nun geschaffen.»
Wo aber steht das Forum politisch genau? Klar ist einzig die grüne Ausrichtung. Viele Positionen gleichen denjenigen der Grünliberalen oder auch der Grünen Freien Liste, die einst als Abspaltung der FDP entstand. Gabriele Siegenthaler Muinde betont im Gespräch, das Forum sei weder links noch rechts einzuordnen. «Wir wollen einfach gute Lösungen für die Gemeinde». Mal seien diese liberal, mal sozial, mal grün. «Man tut sich und der Sache keinen Gefallen, wenn man einen bevorzugten Modus hat, um alle Probleme anzugehen», sagt Siegenthaler.
Schon die Gründer*innen fühlten sich 1972 bei der Einführung des Gemeindeparlaments von den etablierten Parteien nicht vertreten und entschlossen sich eine eigene Bürgerpartei zu gründen. Und das Forum setzte sich von Beginn weg für Umweltthemen ein. «Die Forum-Politikerin Elisabeth Vogt sprach schon früh vom urbanen Urwald, von der Begrünung der Städte und setzte sich für Biodiversität ein», sagt Siegenthaler. Man sei damals der Zeit voraus gewesen.
Leute aus dem Forum hätten ein überdurchschnittliches Engagement für die Lokalpolitik, sagt Siegenthaler. «Dieser Funke ist offensichtlich immer wieder zur nächsten Generation gesprungen – auch zu mir.» Dieses Jahr feiert die Partei ihr 50-Jahre-Jubiläum.
Dass sich das Forum ideologisch nicht festlegt, ist vielleicht einer seiner Erfolgsfaktoren. Neben der Nachhaltigkeit sind die beiden wichtigsten Leitsprüche der Partei «mehr miteinander» und «lokal wirtschaften». Das Interesse am gesellschaftlichen Miteinander und am Lebensraum vor der Haustür sei eine weitere Konstante in der Forum-Politik, meint Siegenthaler. So habe sich die Partei vor Jahren für den Ankauf des Bärtschihauses eingesetzt, das heute ein wichtiger Begegnungsort in der Gemeinde sei.
Andere soziale Fragen umschifft das Forum. Eine ökonomische Umverteilung in der Gesellschaft ist weder für die Partei noch für Siegenthaler ein Thema. «Viele der Umverteilungsfragen stellen sich nicht auf Stufe Gemeinde, sondern auf anderen politischen Ebenen», sagt sie.
Das wichtigste Projekt, das sie neben der Energiewende hervorstreicht, ist ein digitaler Dorfplatz, den die Gemeinde einrichten könnte. Das solle das Miteinander fördern. «Wenn ich überzählige Rosmarinstöcke habe, kann ich diese dort anbieten. Wenn sie jemand abholen kommt, habe ich wieder jemanden kennengelernt.» Früher seien vor allem Vereine für das Dorfleben wichtig gewesen. Heute brauche es ergänzende, neue Formen. Angesichts komplexer Herausforderungen wie dem Klimawandel seien Lösungen nur zusammen mit der Bevölkerung und der Wirtschaft möglich.
Siegenthaler ist gut verwurzelt in der Gemeinde. Sie sei eine Muri-Gümliger Pflanze, wie sie selbst sagt. Beide Grosseltern wohnten in Muri, sie selbst ist in Gümligen in einer FDP-Familie aufgewachsen. Mit 17 Jahren sei sie wegen eines Stipendiums weggezogen und erst 2008 wieder zurückgekehrt. In dieser Zeit machte sie berufliche Erfahrungen, die sie im Wahlkampf nun herausstreicht. Sie führte in den 90er-Jahren drei Jahre lang ein KMU mit 40 Mitarbeiter*innen in der Kunststoffverarbeitungs-Industrie. Und von 2003 bis 2015 war sie im Aussendepartement in der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit engagiert, unter anderem im Schweizer Nordafrika-Programm.
Die zweifache Mutter arbeitet derzeit selbständig als Beraterin und im Teilzeitpensum als Gemeinderätin. Sie engagiert sich ehrenamtlich und verkauft jeden Dienstag auf dem Berner Münstergass-Markt Fisch vom Neuenburgersee. Zudem beschäftigt sie sich aus privatem Interesse mit der Glücksforschung.
In den Leserbriefspalten der Lokalnachrichten wurde in den letzten Wochen aber trotz der vagen Positionen zu sozialen Fragen Kritik am Abdriften des Forums in Richtung links laut. Der Tenor: Das Forum sei zum Anhängsel von Rot-Grün geworden und wolle die Rezepte der links regierten Stadt übernehmen.
Doch so einfach ist die Sache nicht. «Die acht aktuellen Parlamentarier und Parlamentarierinnen lassen sich nicht klar ins links-rechts-Schema einordnen», sagt Peter Pflugshaupt, Chefredaktor der Lokalnachrichten, der Wochenzeitung für Muri. Vor wenigen Wochen habe das Forum zum Beispiel trotz des Mitte-Links-Wahlbündnis geschlossen für die Privatisierung der Kitas gestimmt.
Ein Entscheid, der bei den Grünen schlecht ankam. Dennoch unterstützen sie das Forum im Präsidiumswahlkampf. «Es gibt aber kein Rot-Grün-Mitte-Bündnis», sagt Fraktionspräsidentin Franziska Grossenbacher, die vor ihrem Umzug nach Muri für das Grüne Bündnis im Berner Stadtrat sass. Man sei sich zwar bei den Themen Ökologie und Verkehr sehr nahe. «Zudem wäre es auch gut, wenn mal eine Frau an der Spitze des Gemeinderats stünde.» Beim Forum fehlt Grossenbacher aber oft eine klare Stossrichtung: «Ein digitaler Dorfplatz ist noch kein politisches Projekt.» Und leider spiele die Sozialpolitik im Wahlkampf keine Rolle. «Das interessiert offenbar beide Kandidat*innen nicht.» Man sonne sich lieber darin, wie gut es Muri-Gümligen gehe. «Dabei könnte man mehr tun für sozial schwach Gestellte oder für Asylsuchende», findet Grossenbacher.
Auch auf der anderen Seite des politischen Spektrums ist die Meinung zum Forum differenzierter als man erwarten könnte. «In den letzten Jahren hat die Partei dank guten Leuten zugelegt und spielt jetzt eine wichtige Rolle im Gemeindeparlament und im Gemeinderat», sagt SVP-Präsident Hans Aeschbacher, ein langjähriger Gemeindepolitiker. Früher, als die Mehrheit in den politischen Gremien klar bürgerlich war, habe man das Forum nicht gross wahrgenommen. Die Kritik in Leserbriefen, das Forum sei wegen der Unterstützung von SP und Grünen für Gabriele Siegenthaler nun eine eine Linkspartei, teilt Aeschbacher nicht: «Das Forum war gegen die letzte Steuersenkung, hat aber die Finanzpolitik der Bürgerlichen oftmals mitgetragen.» Gabriele Siegenthaler sei eine valable Präsidiums-Kandidatin. Dennoch unterstützt Aeschbacher den FDP-Kandidaten Stephan Lack, «weil er eine glaubwürdigere Politik vertritt und sein Portfolio ausgewiesener ist».
Die politische Konkurrenz nimmt das Forum derzeit sehr ernst. Die Bedingungen für einen Überraschungserfolg scheinen also günstig, zumal das Forum auch finanziell Gas gibt. Man werde für den Wahlkampf rund 50 000 Franken ausgeben, sagte Siegenthaler letzte Woche an einem Podiumsgespräch.
Siegenthaler selbst mag nicht darüber spekulieren, wie die Wahlen ausgehen. Ein Bekannter habe ihr gesagt, Muri sei und bleibe eine FDP-Gemeinde. Andere glaubten, der Wandel klappe. «Ich versuche nun im Schlussspurt mich selbst zu bleiben und mich auf meine Kampagne zu konzentrieren.»