Regierungsverantwortung? Nein danke.
SP und Grünes Bündnis gehen in Bern wegen des Demoverbots juristisch gegen ihre eigenen Gemeinderät*innen vor. Ein seltsames Vorgehen im Regierungsbündnis Rot-Grün-Mitte.
Das Verbot für Grosskundgebungen und Umzüge, das die Berner Stadtregierung Anfang November verkündete, gilt noch bis Weihnachten. Die politische Kontroverse darum wächst sich aber aus zu einer politischen Krise im Regierungsbündnis Rot-Grün-Mitte (RGM), die sich ins bevorstehende Wahljahr hineinziehen wird.
Das deshalb, weil die beiden Parteien SP und Grünes Bündnis (GB) nun sogar juristisch gegen das aus ihrer Sicht «faktische Demonstrationsverbot» der Stadtregierung vorgehen. Sie haben zusammen mit den Demokratischen Juristinnen und Juristen Bern beim Regierungsstatthalteramt Beschwerde gegen den Gemeinderatsbeschluss und die Medienmitteilung vom 8. November eingereicht. SP und GB erhoffen sich laut einer Mitteilung vom Dienstag, dass der Gemeinderatsbeschluss als rechtswidrig eingeordnet wird.
Die beiden Parteien sind offensichtlich nicht zufrieden mit den Erklärungen und Einordnungen von Sicherheitsdirektor Reto Nause (Mitte) und Stadtpräsident Alec von Graffenried (GFL) in der Stadtratsdebatte von Mitte November. Von Graffenried hatte damals kommunikative Fehler eingeräumt. Beide Gemeinderäte erklärten, dass trotz der restriktiven Richtlinie vom 8. November jedes einzelne Gesuch geprüft werde und kein generelles Demonstrationsverbot bestehe.
Konflikt mit den eigenen Gemeinderät*innen
Dass nun SP und Grüne juristisch gegen die Regierung vorgehen, wirft Fragen auf zur Funktionsweise des Regierungsbündnisses RGM. Die beiden Parteien haben mit Marieke Kruit (SP), Michael Aebersold (SP) und Franziska Teuscher (GB) im fünfköpfigen Gemeinderat eine Mehrheit.
Wenn die beiden Parteien also nach den Erklärungen in der Ratsdebatte noch immer der Meinung sind, die Regierung müsse den Demoverbots-Entscheid ändern, sollten sie das eigentlich innerhalb der Regierung erwirken können.
Und was, wenn die drei Regierungsmitglieder von SP und GB gute Gründe haben, nicht auf den Entscheid zurückzukommen? Dann müssten sie ihre eigenen Parteien doch argumentativ überzeugen können, ihre Regierungsverantwortung gemeinsam wahrzunehmen und von einem juristischen Hickhack abzusehen.
Beide Wege scheinen für RGM nicht zu funktionieren. Statt einer politischen Lösung suchen SP und GB im Konflikt mit ihren Gemeinderät*innen nun die juristische Assistenz von Regierungsstatthalterin Ladina Kirchen.
SP-Stadtrat Dominic Nellen begründet das Verhalten seiner Partei mit einer kategorischen Argumentation: Der Gemeinderat habe der SP keine andere Wahl gelassen. «Weil die Regierung den Entscheid bis zum Ablauf der Beschwerdefrist am 8. Dezember nicht zurückgenommen hat, blieb der SP nichts anderes übrig, als Beschwerde zu führen», sagt er zur «Hauptstadt».
Der Gemeinderat sei zwar nach dem Entscheid kommunikativ zurückgerudert, habe diesen aber nicht korrigiert. Damit bleibe die Signalwirkung bestehen. Die Beschwerde sei kein Misstrauensvotum gegen die eigenen Gemeinderät*innen, beteuert Nellen, sondern: «Das ist ein Misstrauensvotum gegen diesen Beschluss des Gemeinderats.» Die SP wolle verhindern, dass in Zukunft noch einmal ein solches Demoverbot ausgesprochen werde.
Auch das Grüne Bündnis sieht kein Problem darin, mit einer Beschwerde gegen die eigenen Regierungsmitglieder vorzugehen. So sagt Co-Fraktionschefin Lea Bill auf Anfrage: «Ja, SP und Grüne sind sich mit ihren Gemeinderät*innen nicht einig.» Man habe angeregt, dass die Regierung ihren Entscheid revidiert. Jetzt solle die Regierungsstatthalterin die Frage einschätzen: «Diese Differenzen sind nicht ungewöhnlich, da Parteien und Gemeinderäte unterschiedliche Rollen haben.»
Stadtpräsident sucht das Gespräch
Stadtpräsident Alec von Graffenried sieht das anders. Er zeigt sich sehr überrascht, dass SP und GB gegen den Demoverbots-Entscheid juristisch vorgehen. «Mir war nicht bewusst, dass nach der Debatte im Stadtrat und unseren Erläuterungen zum Entscheid vom 8. November noch Klärungsbedarf bestand», sagt von Graffenried zur «Hauptstadt» und ergänzt: «Ich hatte den Eindruck, die Sache sei erledigt, da von den Parteien SP und Grünes Bündnis auch niemand auf den Gemeinderat zukam und das Gespräch suchte.»
Er werde nun die beiden Parteien zum Gespräch einladen. «Ich stand und stehe für die Parteien immer für Gespräche zur Verfügung und will nun versuchen, die Sache zu klären», sagt von Graffenried.
Die Gemeinderät*innen Franziska Teuscher (GB) und Michael Aebersold (SP) wollen sich auf Anfrage nicht zur Beschwerde äussern und verweisen beide auf die Aussagen des Stadtpräsidenten.
Eine politische Klärung des Konfliktes innerhalb des Regierungsbündnisses, wie sie von Graffenried nun trotz eingereichter Beschwerden anstrebt, würde eine gute Diskussionskultur zwischen Parteien und Regierungsmitgliedern bedingen. Nimmt man die aktuellen Stellungnahmen der Protagonist*innen als Massstab, sind diesbezüglich Zweifel angebracht.
Politisch brisant ist, dass die beiden Parteien SP und GB die Regierungsverantwortung just ein Jahr vor den städtischen Wahlen nicht mittragen wollen. Ein gut funktionierendes Regierungsbündnis könnte solche Differenzen wohl ohne juristischen Beistand der Regierungsstatthalterin lösen. So aber zeigen die beiden grössten linken Parteien, wie weit sie von ihren eigenen Gemeinderät*innen entfernt sind. Ein ziemlich befremdlicher Start ins Wahljahr, in dem die RGM-Mehrheit womöglich von einer grossen bürgerlichen Koalition herausgefordert wird.