Her mit den Bäumen!

Die Stadt Bern heizt sich auf, darunter leidet die Gesundheit der Anwohner*innen. Doch es tut sich was in Forschung und Politik.

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Auf dieser Stadtkarte sind alle Messstationen eingetragen. (Bild: Niklas Eschenmoser)

Die Passant*innen heben ihre Köpfe, als sie den Waisenhausplatz auf Höhe des Starbucks queren. Da steht einer auf einer Leiter neben einem Baum. Was der wohl tut?

Moritz Burger erforscht, wie sich die Stadt Bern abkühlen lassen könnte. An einem Morgen im Mai montiert er in der ganzen Stadt Sensoren, die den Sommer über die Temperatur messen. Auch auf dem Waisenhausplatz. Die gesammelten Daten fliessen in seine Doktorarbeit, die er am Geografischen Institut der Universität Bern schreibt.

Auf dem ganzen Stadtgebiet installiert Burger an Verkehrsschildern und freistehenden Pfosten 85 Messgeräte, Marke Eigenbau: Fünf weisse Melamin-Schalen, aus denen man auch sein Müsli essen könnte, umhüllen den Temperaturmesser und schützen ihn vor Sonnenstrahlen. Alle zehn Minuten messen die Geräte die Lufttemperatur auf einer Höhe von drei Metern über dem Boden. «Normalerweise misst man die Lufttemperatur auf zwei Metern. Aber in der Stadt ist das nicht möglich, die Geräte könnten von Passant*innen oder Fahrzeugen beschädigt werden», sagt Moritz Burger.

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Die Messungen erfolgen auf einer Höhe von drei Metern über dem Boden. (Bild: Niklas Eschenmoser)

Zwar hat er schon Daten aus den Jahren von 2018 bis 2021, mit denen er viele Fragen beantworten konnte. Doch eine längere Messreihe gebe ihm die Möglichkeit, ganz unterschiedliche Sommer und mikroklimatische Veränderungen zu messen und zu vergleichen. Darum stellt er auch in diesem Sommer seine Sensoren auf.

Die Forschung von Burger ist von hoher Relevanz: Seit Ende des 19. Jahrhunderts sind die Durchschnittstemperaturen in der Schweiz um mehr als zwei Grad Celsius angestiegen. Als Folge der Klimakrise werden Häufigkeit, Dauer und Intensität von Hitzesommern zunehmen. Forscher*innen rechnen mit mediterranen Verhältnissen – in Bern.

Besonders stark trifft diese Entwicklung Städte und Agglomerationen, denn dort sind die Temperaturen höher als in ländlichen Gebieten. Grund dafür ist der sogenannte städtische Wärmeinseleffekt: Versiegelte Böden wärmen sich stark auf und lassen keine Verdunstungskühlung zu, und hohe Gebäude verhindern, dass kühlende Luftströme vorbeiziehen können. In der Nacht sinken die Temperaturen nur schwach, die Stadt speichert die Hitze.

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Die Montage ist Handarbeit. (Bild: Niklas Eschenmoser)

Im Sommer 2019 wurden in der Stadt Bern 13 sogenannte Tropennächte registriert – Nächte, in denen die Temperaturen über 20 Grad bleiben. Bis Ende des Jahrhunderts könnte es in der Stadt Bern bis zu 45 Tropennächte pro Sommer geben.

Die Hitzebelastung in der Stadt tut den Menschen nicht gut. Sie sorgt für eine Übersterblichkeit, wie eine kürzlich publizierte Studie der Uni Bern zeigt. Ausserdem senkt sie die Produktivität, das allgemeine Wohlbefinden und steigert das Risiko für Magen-Darm-Infekte.

Auch die Stadt, konkret die Direktion für Tiefbau, Verkehr und Stadtgrün, ist an den Ergebnissen von Moritz Burgers Forschung interessiert. Im Fokus stehen im Moment die Messwerte auf dem Gebiet zwischen dem Waisenhaus- und dem Bärenplatz. Denn dieser Raum soll umgestaltet werden, seit 30 Jahren schon. Lange war das Projekt aus finanziellen Gründen sistiert, jetzt gehts wieder vorwärts: Am Donnerstag (2. Juni) hat der Stadtrat den Projektierungskredit auf 2,8 Millionen Franken erhöht, gebaut wird aber frühestens ab 2026.

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Melamin-Schalen schützen den Sensor vor Sonnenstrahlen. (Bild: Niklas Eschenmoser)

Zwischen 2020 und 2025 beteiligt sich die Stadt Bern mit jährlich 20'000 Franken am Projekt «Urban Climate Bern», bei dem Burger und andere Wissenschaftler*innen der Uni Bern herausfinden wollen, mit welchen mikroklimatischen Massnahmen sich die Stadthitze reduzieren lässt. Die Stadt bestimmt, an welchen Orten die Messstationen aufgestellt werden sollen. Die gemessenen Daten sind auf einem Online-Stadtplan für alle einsehbar.

Moritz Burger hat für die Stadt einen Bericht verfasst mit Empfehlungen, wie im Zuge der Umgestaltung des Bären- und Waisenhausplatzes die Hitze auf diesem Areal reduziert werden könnte. Drei Massnahmen sind für ihn zentral: Begrünung, Entsiegelung, Aufhellung.

  • Begrünung: Bäume, wie jene vor der Starbucks-Filiale, spenden Schatten. Die Flächen, auf die der Schatten fällt, erwärmen sich nur wenig. Je nach Tageszeit beträgt der Temperaturunterschied zu einer Oberfläche ohne Schatten zwischen 4,5 und 24,1 Grad.
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Bäume spenden Schatten. (Bild: Niklas Eschenmoser)
  • Entsiegelung: Wenn harte Oberflächen wie Asphalt aufgebrochen werden und wieder Wasser in den Boden fliessen kann, spricht man von Entsiegelung. Zum Beispiel kann das Wasser in den Fugen von Kopfsteinpflaster versickern, verdunsten und so die Oberfläche kühlen. Kopfsteinpflaster ist je nach Tageszeit zwischen 0,4 und 4,5 Grad kühler als Asphalt. Neben der Kühlwirkung hat die Entsiegelung den Vorteil, dass bei Starkregen – die im Zuge der Klimaerwärmung ebenfalls zunehmen – die Böden das Wasser aufnehmen können und die Gefahr für schadenreiche Hochwasser reduziert wird.
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In den Fugen des Kopfsteinpflasters kann das Wasser versickern. (Bild: Niklas Eschenmoser)
  • Aufhellung: Im nördlichen Bereich des Waisenhausplatzes ist ein Teil des Belages bereits mit einer hellen Farbe bedeckt. Diese reflektiert die Strahlung stärker als der dunkle Asphalt und ist somit kühler. Die Kühlwirkung ist mit zirka einem bis drei Grad aber weniger ausgeprägt als jene von Bäumen.
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Der helle Bereich wärmt sich weniger stark auf. (Bild: Niklas Eschenmoser)

Die drei Massnahmen gelten natürlich nicht allein für Bären- und Waisenhausplatz, sondern entfalten auch an anderen Orten ihre Wirkung. Wo am Boden nur wenig entsiegelt werden kann, zum Beispiel in stark bebauten Quartieren oder entlang grosser Strassen, biete sich eine Fassadenbegrünung an, so Moritz Burger. Neben der Kühlwirkung erhöht eine solche zusätzlich die Biodiversität und vermindert den Lärm.

Beim Tiefbauamt kennt man das Problem der Stadthitze und auch die Lösungsansätze. Um einen «klimaoptimierten Stadtraum zu gewährleisten», sei es wichtig, in Bauprojekten «frühzeitig geeignete Massnahmen zu definieren», schreibt Nadine Heller, Bereichsleiterin Gestaltung + Nutzung auf Anfrage der «Hauptstadt». Es gehöre zum «institutionalisierten Prozess», dass entsprechende Massnahmen bereits «zu Beginn einer Projektierung» einbezogen werden. Zum Beispiel beim Helvetiaplatz, der aufgewertet werden soll. Vorgesehen ist, den Boden zu entsiegeln und Bäume, die Schatten spenden, in Trögen aufzustellen. Auch auf der Schützenmatte sollen nach deren Neugestaltung mehr Bäume stehen und der Anteil von Asphalt zurückgegangen sein.

Bereits umgesetzt hat die Stadt Kühlmassnahmen in der Rathausgasse: Im Sommer 2020 wurde der Asphalt-Belag durch eine Natursteinpflästerung ersetzt, die heller ist und in der das Wasser versickern kann. Die Messungen von Moritz Burger zeigen, dass durch den neuen Belag die Lufttemperatur um rund 0,2 Grad und die Bodentemperatur um rund 1,6 Grad gesenkt werden konnten.

«Der Kühleffekt der einzelnen Massnahmen mag gering erscheinen», gibt Moritz Burger zu. Doch viele kleine Umgestaltungen können zu einem grossen Effekt führen.» Als perfektes Beispiel, wie ein abkühlender Ort gestaltet sein sollte, nennt Burger den Monbijoupark. «Dort gibt es Schatten, Wasser und Grünfläche. Die Luft im Park ist im Sommer rund ein Grad kühler als am nahe gelegenen Eigerplatz.»

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Moritz Burger forscht an der Univeristät Bern zur Stadthitze. (Bild: Niklas Eschenmoser)

So leicht ist die Umsetzung von Kühlmassnahmen aber nicht. Bei Bauprojekten spielen auch andere Interessen rein, etwa jene des Denkmalschutzes oder der Investor*innen. «Und beim Waisenhausplatz hätten zum Beispiel die Marktfahrer*innen nicht Freude, wenn auf ihrer Verkaufsfläche plötzlich Bäume stehen würden», sagt Moritz Burger. Ausserdem liegt ein Parkhaus unter dem Platz – die Bäume könnten gar keine Wurzeln schlagen.

In einem nächsten Schritt prüft nun der Gemeinderat, welche Klimamassnahmen für die Plätze sinnvoll sind und wie sie möglichst verkehrsfrei gestaltet werden können. Mehrere Anträge von links-grüner Seite sind im Stadtrat durchgekommen, beispielsweise für mehr Grünflächen und sogar die Umgestaltung des Gartens vor dem Polizeigebäude in einen für die Öffentlichkeit zugänglichen Park soll in Betracht gezogen werden. Voraussichtlich 2024 soll sich das Stimmvolk zum Vorhaben äussern können.

Was der Stadtrat für die Umgestaltung des Bären- und Waisenhausplatzes angeregt hat, steht eigentlich bereits in einem für die Behörden verbindlichen Dokument: Das Berner Stadtentwicklungskonzept sieht vor, dass die «Optimierung des Mikroklimas» bei der Arealentwicklung und dem Umbau von Liegenschaften zu berücksichtigen sei. Gleichzeitig sieht das Dokument eine bauliche Verdichtung nach innen vor.

Ein Widerspruch? Nicht zwingend, denn verschiedene Gebiete waren vor ihrer Innenentwicklung versiegelt, etwa im Wankdorf, in Ausserholligen oder auf dem Meinen-Areal. «Hier ist eine Neubebauung in Verbindung mit Entsiegelung und Begrünung der Aussenräume eine Chance, das stellenweise kritische Stadtklima deutlich zu verbessern. Ziel ist es, auch bei Verdichtungen klimagerecht zu bauen», schreibt die Stadt Bern auf Anfrage der «Hauptstadt».

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Eine Messstation beim Waisenhausplatz. (Bild: Niklas Eschenmoser)

Keine neuen Pflichten zur Optimierung des Mikroklimas schafft das neue Klimareglement der Stadt Bern. Aktuell erarbeitet die Stadt im Rahmen einer Klimaanalyse aber städtebauliche und stadtplanerische Massnahmen zur Anpassung an den Klimawandel. Erste Ergebnisse sind bis Ende 2022 zu erwarten.

Nicht alle mögen auf den guten Willen der Behörden vertrauen. Die Initiant*innen der im Mai lancierten Stadtklima-Initiative wollen verbindlich festschreiben, dass die Stadt Bern Flächen von Asphalt und Beton befreien und Bäume pflanzen soll: Während zehn Jahren soll sie jährlich mindestens 0,5 Prozent der Stadtfläche entsiegeln und in Grünfläche umwandeln. Auch in Ostermundigen wurde vom gleichen Verein eine Klimainitiative gestartet. Die Gemeinde soll ein Messnetz für Hitzeinseln installieren und sich verpflichten, klimagerecht zu planen.

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Diskussion

Unsere Etikette
Angelo Molinara
27. Juni 2022 um 08:23

Seit Jahren sagt die Wissenschaft eine Überhitzung der Städte voraus.

Ich möchte mich bei Moritz Burger herzlich bedanken, dass er den Stein in Bern ins rollen gebracht hat.

An die Stadtberner-Reissbrettplaner: steht mal für zehn Minuten auf einen Betonplatz, z.B. nehmt ihr dazu den Loryplatz, Eigerplatz etc...-gibt ja ein paar davon in unserer Stadt, danach geht ihr in den Wald. Das Experiment könnt ihr auch in umgekehrter Richtung machen. Was spürt ihr?

Nach dieser Live-Action-Science-Experience geht ihr an das Reissbrett zurück und schaut nochmal ob man doch alle Bäume beim Hirschengraben ausreissen muss;-)

Ich auf jeden Fall habe die Stadtklima-Initiative unterschrieben.

L. Notter
07. Juni 2022 um 15:05

"Es gehöre zum «institutionalisierten Prozess», dass entsprechende Massnahmen bereits «zu Beginn einer Projektierung» einbezogen werden. "

So wie beim neuen Breitsch, wo z.B. rund umd die Migros oder die Moserstrasse wieder komplett zuasphaltiert wurde?

Dieter Beer
06. Juni 2022 um 07:32

Leider wird in diesem Artikel nichts über die Hirschengraben Umgestaltung geschrieben, bei welcher 25 Kastanienbäume gefällt werden. Die im Projekt vorgesehenen Ersatz Bäumchen in 3x3x2.3 m Betonwannen werden die Verdunstungskühlung der grossen Kastanienbäume kaum oder erst nach vielen Jahren erreichen können.