SP und Grüne im Kampfmodus
Flavia Wasserfallen (SP) und Bernhard Pulver (Grüne) wollen im Herbst den linken Berner Ständeratssitz verteidigen. Anders als vor vier Jahren gibt es diesmal kein gemeinsames Plakat – zum Bedauern der Grünen.
Anfang April stand sie in Lyss an der Gewerbeausstellung Lysspo, gestern Freitag besuchte sie eine SP-Wahlveranstaltung in La Neuveville, in den nächsten Tagen verteilt sie an der BEA Haselnussleckerli. Flavia Wasserfallen, die Kandidatin der SP für den Ständerat, ist schon voll im Wahlkampfmodus. Sie will den Sitz des zurücktretenden Hans Stöckli verteidigen und hat mit ihrer Partei eine lange und intensive Wahlkampagne entworfen. Diese wird auch nötig sein, um den Sitz für die SP zu holen. Denn die Grünen haben mit Alt Regierungsrat Bernhard Pulver einen starken Kandidaten nominiert, so dass Gefahr für den SP-Ständeratssitz ausgerechnet von den politischen Partner*innen droht .
Das interne rot-grüne Duell zwischen Wasserfallen und Pulver wird spannend. Viele Beobachter*innen rechnen damit, dass einer der beiden Berner Ständeratssitze beim Bisherigen Werner Salzmann (SVP) bleibt. Er profitiert von der grossen Hausmacht der SVP vor allem in den ländlichen Kantonsteilen mit einem Wähler*innenpotenzial von rund 30 Prozent. Zudem verfügt der Seeländer Salzmann über den Bonus als Bisheriger. Er ist im Ständerat inhaltlich zwar nur im Bereich Sicherheitspolitik aufgefallen. Aber er hat auch keine Fehler gemacht. Und er hat dank seiner Bundesratskandidatur im letzten Herbst noch etwas an Statur gewonnen.
Zwei starke progressive Kandidaturen
Neben dem Bürgerlichen Salzmann dürfte der zweite Ständeratssitz – wie bisher – ans progressive, städtische Lager gehen. Eine solche Aufteilung würde den Kanton sehr gut abbilden, sagt sogar ein bürgerlicher Kandidat, ohne namentlich genannt werden zu wollen.
Beide linken Kandidat*innen verkörpern das progressive Profil auf ihre Art. Flavia Wasserfallen, Mutter von drei Kindern im schulpflichtigen Alter, ist mit 44 Jahren deutlich jünger als die Konkurrenz und steht für einen Generationenwechsel. Dennoch weist sie eine lange Politikerfahrung vor. Sie war schon mit 23 Jahren Grossrätin, war Co-Generalsekretärin der SP Schweiz und sitzt seit 2018 im Nationalrat, wo sie sich einen Namen als moderate linke Gesundheitspolitikerin gemacht hat. Da die Frauen im Ständerat klar untervertreten sind, wirkt sie wie die perfekte linke Kandidatur.
Das gilt auch für Bernhard Pulver. Er profitiert von seinem Ruf, den er sich als grüner, aber über die Parteigrenzen hinaus respektierter Regierungsrat in den Jahren 2006 bis 2018 erarbeitet hat. Auch Pulver war nationaler Generalsekretär seiner Partei (1987 bis 1995). Und er steht für Diversität. Er war 1987 einer der drei ersten offen schwulen Nationalratskandidaten und hat sich in seiner Karriere immer für LGBT-Anliegen eingesetzt. Und da die Klimakrise allgegenwärtig ist, wirkt ein schwuler grüner Mann wie der perfekte linke Kandidat.
Ein Strategiewechsel
Das hochkarätige Gespann steht allerdings unter Spannung, zu vergeben an die Linke ist realistischerweise nur ein Sitz. Handelt es sich bei Wasserfallen/Pulver um ein Wahlkampf-Duo – oder um ein Wahlkampf-Duell?
Was man feststellen kann: Die Stimmung zwischen den beiden Parteien ist nervöser und abgekühlter als auch schon. Das zeigt sich etwa daran, wie stark die beiden Kandidat*innen im Wahlkampf zusammenspannen. Vor vier Jahren haben Hans Stöckli (SP) und Regula Rytz (Grüne) nach den Sommerferien mit einem gemeinsamen Plakat und einer gemeinsamen Pressekonferenz für ein linkes Zweierticket geworben und die heisse Phase des Wahlkampf eingeläutet. Das ist in diesem Jahr anders: Weder ein gemeinsames Plakat noch eine gemeinsame Pressekonferenz sind geplant.
Die Grünen hätten laut Co-Präsidentin Brigitte Hilty den Wahlkampf gerne auf die «Stärkung der ökologischen und sozialen Kräfte im Ständerat» fokussiert: «Eine rot-grünes Zweierticket mit einer gemeinsamen Wahlkampagne, wie dies seit 2007 üblich gewesen ist, kommt dieses Jahr leider nicht zustande, was wir Grüne sehr bedauern.» Immerhin sei eine gegenseitige Unterstützung der rot-grünen Kandidat*innen vorgesehen, sagt Hilty.
Ueli Egger, der Co-Präsident der SP Kanton Bern, sagt zur abgespeckten Zusammenarbeit und damit zum Strategiewechsel seiner Partei: «In gemeinsamen Plakaten sehen wir keinen Mehrwert, weil beide Kandidierende in erster Linie die eigene Wählerschaft mobilisieren müssen.» Eine Medienkonferenz sehe die SP bis jetzt nicht vor, weder gemeinsam noch individuell.
Begründen will Egger den Entscheid auf Nachfrage nicht. Seine Partei sei mit den Grünen in engem Austausch, weil sie ihre politischen Verbündeten seien. Man sei auf gutem Weg, eine Vereinbarung zu finden. «Nebst gemeinsamen Elementen und der gegenseitigen Unterstützung wird es aber, wie bisher immer für den ersten Wahlgang üblich, vor allem eine individuelle Kampagne», so Egger. Zu den gemeinsamen Elementen gehört etwa die Einladung von Bernhard Pulver an den SP-Parteitag vom Mai.
Noch keine Absprache
Wichtig wird die Frage der Kooperation im linken Lager spätestens nach dem ersten Wahlgang. Dann stellt sich sich die Frage, ob sich vor dem zweiten Wahlgang eine Kandidat*in zurückzieht. Dazu haben sich SP und Grüne erst auf einen minimalen gemeinsamen Nenner festgelegt. «Wir haben vereinbart, dass wir nach dem ersten Wahlgang zusammen die Lage analysieren werden», sagt Egger. Das Ziel dabei sei, mindestens einen linken Sitz zu sichern. Fast gleichlautend äussert sich Brigitte Hilty.
Zur starken Konkurrenz der Grünen sagt Egger weiter: «Neben Flavia Wasserfallen sähen wir natürlich am liebsten Bernhard Pulver im Ständerat.» Die SP habe mit Simonetta Sommaruga und Hans Stöckli seit 2003 den linken Sitz gesichert. «Unser Fokus liegt nun darauf, mit Flavia Wasserfallen diesen Sitz zu verteidigen.»
Hier geht es zu den bisher publizierten Artikeln zu den nationalen Wahlen am 22. Oktober 2023.
Wasserfallen selbst stützt den Strategiewechsel der SP. Sie äussert sich im selben Wortlaut wie der Parteipräsident und fügt an: «Ich schätze Bernhard Pulver sehr, wir sind politisch enge Partner, und ich freue mich auf viele gemeinsame Wahlkampfauftritte mit ihm.» Sie wolle einen Wahlkampf nahe bei den Menschen führen: «Ich bin voll motiviert und werde im ganzen Kanton unterwegs sein.» Was sind die Stärken ihrer Kandidatur? «Ich habe mich im Nationalrat erfolgreich für mehr Gesundheitsprävention, Entlastung bei den Krankenkassenprämien und für eine Stärkung der Pflege eingesetzt», sagt Wasserfallen. Gerne würde sie «mit diesem Rucksack in Zukunft im Ständerat zu mehrheitsfähigen Lösungen beitragen».
Auch Bernhard Pulver gibt sich selbstbewusst: «Meine Chancen stehen gut, aber es ist ein Wahlkampf mit vielen guten Kandidat*innen.» Er bringe als Regierungsrat einen politischen Leistungsausweis mit. Dort habe er etwa 2008 mit dem neuen Volksschulgesetz viel für die Vereinbarkeit von Familien und Beruf erreicht. Und er wolle in der Klimapolitik vorwärts machen. «Wir wissen, was technisch möglich ist, nun braucht es Allianzen und Brücken.»
Pulver plädiert klar für eine ungeteilte links-grüne Berner Ständeratsvertretung mit Flavia Wasserfallen und ihm. «Ich bin nicht bereit, dass man den Sitz von SVP-Kandidat Werner Salzmann als gegeben erachtet.» Eine linke Doppelvertretung wäre laut Pulver «aus Sicht der Gleichstellung und Diversität optimal».
Allerdings könnte er auch eine Frau im Ständerat verhindern. Dazu sagt Pulver: «Die Grünen haben in ihrer Fraktion deutlich mehr Frauen als Männer.» Und es brauche im Ständerat schlicht mehr Grüne. «Dafür trete ich an.» Zudem würde er im Ständerat auch LGBT-Menschen vertreten.
Zur Zusammenarbeit mit der SP hält er fest: «Ich fände ein vermehrtes gemeinsames Auftreten gut.» Wenn man diese im Vergleich zu früheren Wahlkämpfen zurückfahre, bedaure er das. Für den zweiten Wahlgang will sich Pulver mit der SP absprechen. Noch lässt er aber offen, was er macht, falls Flavia Wasserfallen im ersten Wahlgang vor ihm liegt: «Dann muss man die gesamte Konstellation analysieren.» Er wolle aber sicher nicht einen linken Sitz verhindern.
Das Lager gibt sich selbstbewusst und kämpferisch. Allerdings haben beide Kandidat*innen auch noch Hürden vor sich. So muss Wasserfallen wohl viel Arbeit investieren, um bei bürgerlichen Wähler*innen im Kanton bekannter zu werden. Und Bernhard Pulver hat in seinem Mandat als Verwaltungsratspräsident der Insel-Gruppe auch unpopuläre Entscheidungen gefällt. Die Schliessungen der Spitäler Tiefenau und Münsingen hat wohl linke wie bürgerliche Wähler*innen verärgert.
Kann der Grüne Pulver die SPlerin Wasserfallen im ersten Wahlgang schlagen? Dazu müsste Bernhard Pulver einen starken Wahlkampf hinlegen. Strateg*innen verschiedener Parteien, mit denen die «Hauptstadt» sprach, sehen Flavia Wasserfallen mit leichten Vorteilen. Sie habe mit der SP eine starke Hausmacht, zudem punkte sie als Frau. Die Gleichstellungsfrage sei bis weit ins bürgerliche Lager ein Thema, das mobilisiert.
Mehrere Aussenseiter
Höchstens Aussenseiter*innen-Chancen neben dem Favorit*innen-Trio haben die anderen bürgerlichen Kandidat*innen Jürg Grossen (GLP), Lorenz Hess (Mitte) und Sandra Hess (FDP). Ihre Ambition ist es, zu einer bürgerlichen Doppelvertretung beizutragen und die Linke aus der Berner Ständeratsvertretung zu verdrängen.
Für den zweiten Wahlgang wollen sich Mitte und FDP absprechen. «Im zweiten Wahlgang müssen wir auf bürgerlicher Seite die Kräfte konzentrieren», sagt Lorenz Hess. Dann müsse das Abkommen zwischen dem Freisinn und der Mitte spielen und sich die schlechter platzierte Kandidatur zurückziehen. «Das sollte man diesmal schlauer machen als vor vier Jahren, als Christa Markwalder ohne Absprache nochmal antrat.» Die entsprechenden Gespräche würden laut Hess nun geführt. «An mir soll es nicht liegen, das muss möglich sein.» Mit der GLP habe er sich aber noch nicht abgesprochen. «Um die Chancen für einen zweiten bürgerlichen Sitz zu erhöhen, müssten wir uns für den zweiten Wahlgang möglicherweise auch mit ihnen absprechen.» Auch GLP-Kandidat Jürg Grossen will solche Gespräche noch führen.
Finanziell halten sich die bürgerlichen Kandidat*innen trotz kleiner Chancen nicht zurück. Hess und Grossen wollen – wie die meisten Kandidat*innen – über 100 000 Franken einsetzen. «Ich will einen spürbaren Wahlkampf machen», sagt Grossen.