Wabern Spezial

Auf den hinterletzten Baum genau

Kaum ein Land ist so exakt kartografiert wie die Schweiz. Zu Besuch bei Swisstopo.

Impressionen des Bundesamt für Landestopografie (swisstopo) mit dem Online-Medium Hauptsadt, in Wabern am 14.08.23
Das Bundesamt für Landestopographie in Wabern bildet die Schweiz in allen möglichen Facetten ab. (Bild: Daniel Bürgin)

Im Bundesamt für Landestopografie trägt man anscheinend gerne Karohemden. Vielleicht, weil man Raster liebt. Tobias Providoli bringt eine schwarze Brille. Er ist Leiter der Abteilung «Topografisches Landschaftsmodell», sein Dialekt aus dem Wallis und sein Hemd in winzige Quadrate unterteilt.

Durch die Brille erscheint in einem zweigeteilten Bildschirm das Berner Münster von oben, dreidimensional. So arbeitet Tobias Providoli.

Manche Menschen können wegen einer Sehschwäche trotz Brille und Stereo-Bildschirm kein räumliches Bild erkennen. «Dann kommen sie als Topograf*innen bei uns nicht in Frage», sagt er. Denn die dreidimensionalen Luftbilder der Schweiz sind die Grundlage für sehr vieles, was bei Swisstopo gemacht wird.

Alle drei Jahre die ganze Schweiz von oben

Das Bundesamt für Landestopografie hat ein Jahresbudget von rund 84 Millionen Franken und beschäftigt etwa 400 Mitarbeitende. Die meisten von ihnen arbeiten im hellen Hauptsitz mitten in Wabern.

Das Amt verfügt auch über zwei Flugzeuge. Mit ihnen wird jährlich ein Drittel der Schweiz überflogen, in vordefinierten parallelen Linien und nur bei klarem Wetter. Ausgerüstet mit Kameras bilden sie alle drei Jahre das gesamte Land neu von oben ab, aus verschiedenen Blickwinkeln, sodass daraus ein dreidimensionales Bild entstehen kann.

Im Flachland und im Jura geschieht das mit einer Bodenauflösung von zehn Zentimetern, in den Alpen sind es 25. Würde man also ein rotes Quadrat von zehn auf zehn Zentimeter auf den Münsterplatz zeichnen, dann wäre das auf den Bildern erkennbar, erklärt Tobias Providoli, während er in seinen Bildschirm guckt.

Genauso wie alles andere, was mindestens zehn mal zehn respektive 25 mal 25 Zentimeter gross ist: Parkplätze, Bäume, Ampeln, Schachtdeckel, Gletscherspalten.

Impressionen des Bundesamt für Landestopografie (swisstopo) mit dem Online-Medium Hauptsadt, in Wabern am 14.08.23
Mit dem Stereo-Bildschirm arbeiten Topograf*innen an einem dreidimensionalen Modell der Schweiz. (Bild: Daniel Bürgin)

Aus dem Bildmaterial erschaffen die Topograf*innen von Swisstopo in Präzisionsarbeit das Topografische Landschaftsmodell: ein dreidimensionales Abbild der Schweiz.

Damit wird das Kartenmaterial hergestellt, das das Bundesamt für Landestopografie der Bevölkerung auf einer Online-Plattform gebührenfrei zur Verfügung stellt. Kostenpflichtig, aber immer weniger bedeutend, sind nur die Papierkarten. Auch sie werden in Wabern gedruckt.

Die aufbereiteten Geodaten sind in ihrer Fülle und Präzision weltweit pionierhaft.

Jede Strasse, jedes Hausdach, jeden Pfad und jeden Baum im Land zeichnen die 34 Topograf*innen von Swisstopo digital nach. Grösstenteils von Hand, einige Prozesse sind automatisiert. 

Die Arbeit hört niemals auf. Denn die Schweizer Landschaft verändert sich ständig: Häuser werden gebaut oder abgerissen, Bäume gefällt, Strassen geteert, Seen gestaut, Gletscher schmelzen. Die Topograf*innen tragen alles nach. Detailgetreu bis auf den Bodenbelag jeder noch so ländlichen Zufahrtsstrasse.

Häufig kommen Zivilpersonen dabei dem Flugzeug-Bildmaterial zuvor: Schweizer Geodaten hätten eine beträchtliche Fangemeinde, erzählt Tobias Providoli.

Oft meldeten sich gewissenhafte Bürger*innen bei Swisstopo mit Differenzen, die sie zwischen Karte und realer Welt entdeckt haben. Dann passen Tobias Providoli und sein Team die Daten an. Manchmal schicken sie zuerst noch «einen Operateur ins Feld», um zu überprüfen, ob es stimmt, was die privaten Geodaten-Fans zu entdecken geglaubt haben.

Das Land in 860 Varianten

Auf der Plattform map.geo.admin können die Geodaten von Swisstopo mit den verschiedensten Zusatzinformationen angezeigt werden, mit sogenannten «Layers».

Das Angebot ist immens – und dementsprechend auch nicht ganz einfach zu bedienen: map.geo.admin ist so nerdig, wie es klingt. «Ein paar verregnete Sonntage braucht es schon, um das zu begreifen», sagt Joël Vorburger, Mitarbeiter der Kommunikation, als er auf einem Grossbildschirm einige Tricks demonstriert.

Impressionen des Bundesamt für Landestopografie (swisstopo) mit dem Online-Medium Hauptsadt, in Wabern am 14.08.23
Wer weiss, wie's geht, findet auf map.geo.admin eine Unmenge an Informationen. Zum Beispiel, wo die Schweizer Seen wie tief sind. (Bild: Daniel Bürgin)

Was die meisten kennen: Wanderwege, ÖV-Haltestellen.

Was viele kennen: Skitourenrouten, Wildruhezonen.

Was einige kennen: Luftbilder von allen Jahren seit 1946, anzeigbar im Direktvergleich.

Was kaum jemand kennt: Die exakten Tiefen aller grösseren Schweizer Seen, so genau grafisch dargestellt, dass im Zürichsee versunkene Schiffswracks zu erkennen sind.

Oder: Alle Unfälle ab 2011, abrufbar nach Standort, mit Beschreibung, Wochentag und Uhrzeit des Unfalls.

Die Plattform bietet aktuell etwa 860 (!) verschiedene «Layers». Und sie wird laufend erweitert. Seit März 2021 sind alle Geodaten online zugänglich, gratis und so exakt wie sonst wohl nirgends auf der Welt. Nur in einem kleinen Land sei so etwas überhaupt denkbar, heisst es in Wabern.

Aber eine nerdige Plattform ist nicht das einzige, was Swisstopo macht.

Auf einer App sind die gängigsten Funktionen von map.geo.admin benutzer*innenfreundlich aufbereitet. Für alle, die vor allem Wanderungen und weniger Raumplanung oder Klimarecherchen betreiben wollen. 

Einfacher zu bedienen ist auch die Webseite www.sonnendach.ch, eine Kooperation von Swisstopo und zwei weiteren Bundesämtern. Wer sich überlegt, Solarzellen aufs Hausdach zu montieren, kann hier die eigene Adresse eingeben. Swisstopo kennt die Neigung jedes Schweizer Hausdachs. Sie wird kombiniert mit Wetterdaten. Das Resultat: Eine Angabe, wie gut sich welche Seite des Eigenheims für Solarzellen eignet.

Und auf www.glamos.ch können wir den Schweizer Gletschern beim Schmelzen zuschauen. Hier wird nicht nur die Länge, sondern auch das Volumen, das sie verlieren, mit Bohrungen erfasst und grafisch dargestellt. Auch dieses Projekt basiert auf Geodaten von Swisstopo.

Scannen für die Ewigkeit

Im Gegensatz zu den Topograf*innen, die ständig aktualisieren müssen, wird dem Team von Kurt Röthlisberger die Arbeit irgendwann ausgehen. Aber noch stört ihn das nicht. Er beschäftigt sich schliesslich mit der Vergangenheit, nicht mit der Zukunft.

Der Leiter der Abteilung «Luftbildscan» arbeitet im Untergeschoss. Er erzählt von Scannern wie andere von Grosskindern. Wie alle Mitarbeiter, die an diesem Tag durch das Bundesamt führen, scheint er seinen Job zu lieben. Sein tiefrotes Hemd ist hell kariert.

Vier grosse Scanner lesen hier unermüdlich alte Luftbildaufnahmen ein. Röthlisberger erklärt ihre unterschiedlichen Qualitäten. An der Wand hängt ein Poster im Stil eines Filmcovers. Darauf Röthlisberger, sein Team und ein Scanner.

Impressionen des Bundesamt für Landestopografie (swisstopo) mit dem Online-Medium Hauptsadt, in Wabern am 14.08.23
Neben Digitalem und Scans: Auch die Papierkarten von Swisstopo werden in Wabern gedruckt. (Bild: Daniel Bürgin)

Seit 1926 wird die Schweiz mit Flugzeugen von oben fotografiert. Zuvor skizzierten Topograf*innen die Karten direkt im Gelände. Swisstopo digitalisiert sämtliche der historischen analogen Luftbilder. 2010 hat das Bundesamt damit angefangen. Über 500'000 Bilder wurden bisher eingescannt. Heute sind alle Luftbilder seit Aufnahmebeginn online verfügbar: Ein digitales Archiv der Schweizer Landschaft über fast hundert Jahre, in Hochauflösung.

Röthlisberger und sein Team scannen jetzt weitere Bestände, zum Beispiel von Universitäten oder anderen Bundesämtern. Es seien noch genügend Luftbilder da, um die Abteilung bis 2035 zu beschäftigen. Dann werden wohl auch die Scanner nicht mehr so gut mitmachen, sagt Röthlisberger.  

Wen interessierts?

Es ist ein gewaltiger Fundus an Informationen über die Schweiz, der das Bundesamt für Landestopografie sammelt, darstellt, zugänglich macht und ständig aktualisiert. 

Nur: Wissen die Menschen davon? Werden die akribisch aufgearbeiteten Daten überhaupt genutzt?

Kommunikationsleiter Raphaël Wyss sagt: «Das ist ein grosses Thema bei uns. Wir fliegen teilweise unter dem Radar der Öffentlichkeit.» Ein Bundesamt könne keine kommerzielle Werbung machen für seine Tätigkeiten. Doch Swisstopo müsse Wege finden, ihre Arbeit als Dienstleistung für die Bevölkerung noch bekannter und zugänglicher zu machen. 

Denn die Daten seien nicht nur eine Goldgrube für Forscher*innen und Nerds, sondern oft auch schlicht nützlich: Zum Beispiel, um herauszufinden, wo in der Stadt Bern es noch verfügbare E-Scooter, Publibikes oder Mobility-Autos gibt.

Du hattest keine Ahnung, dass dafür eine eigene Schweizerkarte existiert? Hatte ich auch nicht.

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