Inklusion

Viel mehr als ein Taxi

Vor fast 40 Jahren startete die Genossenschaft Betax aus idealistischen Gründen mit Behindertentransporten. Mittlerweile ist die Firma vollständig digitalisiert, hart am Markt – und nicht mehr wegzudenken für die Mobilität von Menschen mit Behinderungen.

Betax fotografiert am 20.03.2023 in Bern. (liveit.ch / Manuel Lopez )
Betax-Geschäftsführer Jürg Stampfli vor der Zentrale im Stöckacker. (Bild: Manuel Lopez)

«Wir sind nicht Taxifahrer, das hören wir gar nicht gern», sagt Fahrerin Barbara, als sie einen Gesprächsfetzen von den Vorübergehenden aufschnappt. Sie sitzt an einem runden Tischchen im Aufenthaltsraum der Genossenschaft Betax und nimmt einen letzten Schluck Kaffee, bevor sie sich für den nächsten Einsatz bereit macht. Barbara ist eine von rund 50 Fahrer*innen, die für die grösste Behindertentransportfirma in der Region Bern unterwegs sind.

Es ist 10 Uhr an einem Montagmorgen, die meisten Parkplätze rund um den Hauptsitz der Betax sind leer. Die Zentrale befindet sich mitten in einem Wohngebiet im Berner Stöckacker. Es fällt schwer, sich vorzustellen, dass hier manchmal um die 40 Fahrzeuge kreuz und quer ums Haus parkiert sind. Geschäftsleiter Jürg Stampfli sagt, dass es eigentlich zu wenig Platz gebe für die Fahrzeuge. «Wir sind in den letzten Jahren ordentlich gewachsen», findet Stampfli, der die Geschicke der Genossenschaft seit 2010 führt.

Themenschwerpunkt Inklusion

Was brauchen Menschen mit Behinderungen, damit sie gleichberechtigt am Arbeits- und Sozialleben teilhaben können? Was können wir alle zu einer inklusiveren Gesellschaft beitragen und was sind die Herausforderungen dabei? Diesen Fragen widmet sich die «Hauptstadt» in einem Schwerpunkt zu Inklusion.

Wir schreiben unter anderem über selbstbestimmtes Wohnen mit Assistenz und die entsprechende Gesetzeslage im Kanton Bern und sprechen mit einer Person im Autismus-Spektrum über Begrüssungsrituale und die Deutung von Gesichtsausdrücken. Nach dem Grundsatz «Nichts über uns ohne uns» arbeiten Journalist*innen mit und ohne Behinderungen an diesem Schwerpunkt mit. Längerfristig planen wir auch zu anderen Themen Texte aus der Perspektive von Journalist*innen mit Behinderungen zu publizieren.

Er führt durch die Räume. Neben Kästchen für die Mitarbeiter*innen und Kartonkisten mit Arbeitskleidung stehen einige Sofas. «Manche Fahrer nehmen in der Pause gerne ein Nickerchen», sagt Stampfli. Die Mitarbeiter*innen arbeiten in Früh- und Spätdiensten, sieben Tage die Woche. Pro Tag gibt es insgesamt um die 250 Aufträge. In den letzten drei Jahren wurde die IT auf den neuesten Stand gebracht. Gerade rechtzeitig, um in der Corona-Zeit den Betrieb ohne grossen Aufwand aufrecht zu erhalten. Im oberen Stockwerk arbeitet die Disposition mit den neuesten Programmen, die den Prozess des Bestellungseingangs, der Personal- und Fahrzeugplanung, Auftragserfassung bis zur Rechnungsstellung abbilden. So sind die Daten der Klient*innen digitalisiert und werden automatisch mit den verschiedenen Leistungserbringern wie IV, Suva oder Krankenkasse, die sie zuguthaben, abgeglichen.

Möglich wurde die Entwicklung einer neuen Dispositions- und einer Abrechnungssoftware durch zwei grosse Legate. Aus dem ordentlichen Budget hätte das Vorhaben nicht gestemmt werden können, sagt Stampfli, der nächstes Jahr pensioniert wird.

Betax fotografiert am 20.03.2023 in Bern. (liveit.ch / Manuel Lopez )
Wer in ein normales Taxi einsteigen könne, solle das unbedingt tun, rät die Betax. Denn es ist günstiger. (Bild: Manuel Lopez)

Es ist ein beeindruckender Wandel hin zu einem modernen Unternehmen. Seit 39 Jahren gibt es die Betax. Gestartet ist sie als idealistische, selbstverwaltete Genossenschaft mit 16 Angestellten, zwei eigenen Autos und drei Mietfahrzeugen. Zum Teil wurden Rollstühle damals auf dem Dach von VW-Bussen transportiert. Subventioniert wurde der Betrieb bis zur IV-Revision 2005 über Betriebsbeiträge von Stadt, Kanton und Bund – insgesamt 4 Millionen Franken im Jahr. Seither muss die Betax selber schauen, wie sie zu ihrem Geld kommt.

Was einige Jahre später fast zum Bankrott führte. Als Jürg Stampfli 2010 durch einen Putsch der Genossenschafter*innen in die Betax kam, war «die Bude kaputt», wie er sagt. «Der Ruf der Betax war am Boden», fügt er an. Die Firma hatte über 100’000 Franken Schulden. Stampfli kam ad interim, mit dem Auftrag zu sanieren oder den Betrieb ordentlich hinunterzufahren. Die Sanierung gelang – dafür mussten die Mitarbeiter*innen aber fortan auf ihren 13. Monatslohn verzichten.

Betax fotografiert am 20.03.2023 in Bern. (liveit.ch / Manuel Lopez )
Jürg Stampfli erklärt, Fahrer Remo kocht im Hintergrund Spaghetti Carbonara. (Bild: Manuel Lopez)

Jürg Stampfli nimmt an einem Tischchen im Aufenthaltsraum Platz. «Remo, musst du unbedingt jetzt kochen?», ruft er dann in Richtung Herd. Ein Fahrer wärmt gerade Spaghetti Carbonara in einer Bratpfanne. «Ja, jetzt, es geht schnell», sagt der ungerührt. Der Umgang in der Betax ist freundschaftlich und direkt. Es fällt auf, dass Jürg Stampfli alle Mitarbeiter*innen mit Namen begrüsst und für jede*n ein paar nette Worte übrig hat.

Schwierige Freizeitfahrten

«Natürlich, ein normales Taxi wäre günstiger», sagt Fabian Eggimann. Er ist bei der Betax zuständig für Marketing und Kommunikation und sitzt jetzt mit am Tischchen. «Darum fragen wir unsere Kunden immer: Seid ihr zu Fuss unterwegs oder braucht ihr spezielle Unterstützung? Falls nicht, könnt ihr auch in ein Taxi einsteigen? Dann tut das unbedingt.»

Etwa zweimal am Tag wechsle jemand so zu einem herkömmlichen Taxi. «Wir wollen die Taxis nicht konkurrieren», sagt Eggimann. Bei der Betax gibt es fixe Tarife, wie bei Taxis, nur teurer. Momentan liegt der Kilometerpreis bei 6.50 Franken, im Oktober ist er um einen Franken gestiegen. Je nachdem, was für eine finanzielle Unterstützung Menschen mit eingeschränkter Mobilität sonst noch von Leistungsträgern erhalten, bekommen sie von verschiedenen Seiten Beiträge für Fahrten zur Arbeit, Ausbildung oder zum Arzt. Doch vor allem die Finanzierung von sogenannten Freizeitfahrten ist nicht so leicht.

Betax fotografiert am 20.03.2023 in Bern. (liveit.ch / Manuel Lopez )
Fabian Eggimann (links) ist bei der Betax zuständig für Marketing und Kommunikation. (Bild: Manuel Lopez)

«Es geht doch um Teilhabe an der Gesellschaft, allen voran am sozialen Leben», sagt Jürg Stampfli. Freund*innen treffen, an ein Konzert gehen, die BEA besuchen. Diese Fahrten unterstützt im Kanton Bern die Stiftung BTB (Behindertentransport Kanton Bern), sie zahlt einen Beitrag an die Transportkosten. Der Anteil, den die Privatpersonen selber zahlen, beträgt aber immer noch ein Mehrfaches von einem Billett für den öffentlichen Verkehr.

Wenn sie in der Zentrale der Betax ein Fahrzeug bestellen, treffen die Kund*innen auf eine Fahrerin wie Barbara, die darin geschult wurde, wie man auf die Kund*innen eingeht, wie man einen Rollstuhl korrekt platziert, wie man jemanden im 12. Stock abholt und an einem anderen Ort im 8. Stock wieder absetzt. «Die Fahrer*innen müssen den Fahrgästen helfen», sagt Stampfli. Jährlich gibt es Weiterbildungen.

Betax fotografiert am 20.03.2023 in Bern. (liveit.ch / Manuel Lopez )
Die Betax startete in den 1980er Jahren als idealistisches Projekt. (Bild: Manuel Lopez)

Auch wenn es für den Beruf Betax-Fahrer*in keine spezifische Ausbildung braucht, seien längst nicht alle Interessent*innen dafür geeignet. «Es braucht viel Sozialkompetenz», sagt Geschäftsführer Stampfli. Neue Fahrer*innen durchlaufen ein internes Ausbildungsprogramm, bei welchem das erforderliche Wissen für den Transport von Mobilitätseingeschränkten vermittelt wird. Auch die Betax spüre den Fachkräftemangel, zurzeit sucht sie nach neuen Fahrer*innen. Neueinsteiger*innen verdienen 4200 Franken auf 100 Prozent. Das möge nach wenig klingen, sei aber in dieser Branche ein guter Lohn, sagt Stampfli. Die Betax als soziale Arbeitgeberin müsse ständig den Spagat machen. «Es darf nicht zu teuer für die Fahrgäste sein – und die Spender*innen müssen verstehen, wo ihr Geld hingeht.»

Betax fotografiert am 20.03.2023 in Bern. (liveit.ch / Manuel Lopez )
Das Fahrzeug ist bereit für den nächsten Einsatz. (Bild: Manuel Lopez)

Remo hat die Spaghetti inzwischen gegessen. Seine Pause ist zu Ende. Gleich fährt er zum nächsten Einsatz und wird eine Person dabei unterstützen, von A nach B zu kommen. Nicht wie ein Taxifahrer, sondern wie ein Mobilitätshelfer.

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