Wein aus Muri

Wer an regionalen Weinbau denkt, dem fällt nicht als erstes die Region Bern ein. Doch geht es nach Jill Maria Blum, wird Muri bald auf der Landkarte des Berner Weins auftauchen.

Winzerin, Landwirtin und Betriebswirtin Jill Maria Blum in ihrem Rebberg fotografiert am Dienstag, 10. Oktober 2023 in Muri / Guemligen. (Hauptstadt / Manuel Lopez)
Will mit der Natur arbeiten, die ihr den Rhythmus vorgibt: Jill Maria Blum. (Bild: Manuel Lopez)

Ein milder Herbsttag im Oktober. Während andernorts Winzer*innen mitten in der Weinlese stecken, geht Jill Maria Blum langsam durch ihre Reben, kontrolliert die Triebe und gibt ihnen durch Schnüre die gewünschte Form. Trauben sind in diesem Jahr noch keine gewachsen.

Jill Maria Blum ist Winzerin, gerade mal 28 Jahre alt – und geht voll ins Risiko: Sie investiert Geld – den Betrag will sie nicht beziffern – aus dem Familienvermögen, um eine Wiese, auf der vor kurzem noch Kühe weideten, in einen Weinberg zu verwandeln.

Es geht ihr dabei um mehr als nur den Anbau von Trauben, mit denen einmal ein edler Tropfen hergestellt werden soll. «Dank des Weins habe ich meinen Platz in der Landwirtschaft gefunden», sagt Blum. Es sei ihr «Lebensprojekt».

Winzerin, Landwirtin und Betriebswirtin Jill Maria Blum in ihrem Rebberg fotografiert am Dienstag, 10. Oktober 2023 in Muri / Guemligen. (Hauptstadt / Manuel Lopez)
Unten die Aare, oben Muri: Der 2,3 Hektar grosse Weinberg Blums. (Bild: Manuel Lopez)

Die ersten Weinpflanzen fanden am 19. und 20. Mai ihren Weg nach Muri. Jill Maria Blum weiss das Datum noch genau, denn mehrmals musste der Pflanztag wegen der schlechten Witterung verschoben werden. Als es dann soweit war und die 11‘500 Weinpflanzen von einem Lohnunternehmen eingesetzt wurden, halfen auch viele Freund*innen mit. «Sehr verbindend» sei das gewesen, sagt Blum rückblickend. Keine*r von ihnen hatte einen landwirtschaftlichen Hintergrund und doch wollten sie dabei sein, Hand anlegen, wenn Blum ihren Traum vom eigenen Rebberg in die Realität umsetzt.

Blum blickt auf das 2,3 Hektar grosse Areal. Es gehört zu einer Landwirtschaftszone, die sich oberhalb des Aarebads in Muri inmitten einer der vornehmsten Wohngegenden der Region befindet.

Von der Kuhwiese zum Pinot Noir

Blum war in der dreijährigen Ausbildung zur Winzerin, die sie am Murtensee absolvierte, als sie zum ersten Mal mit ihren Eltern über ihren «Wunsch nach Selbstständigkeit» sprach. Die Eltern von Blum sind Bauern, Land war vorhanden. Dieses grosse Stück Wiese in Muri machte schliesslich den Anfang, hier wachsen nun Pinot Noir und Souvignier Gris Rebsorten. 

Und doch: Der Grund und Boden war erst die halbe Miete. Es folgten Anfragen beim Kanton, der prüfen musste, ob sich das Gebiet überhaupt für den Weinbau eignete. Denn die 28-Jährige ist Pionierin. In diesem Umfang hat vor ihr noch niemand in Muri Wein angebaut. Auch in der Stadtregion Bern sucht ihr Projekt seinesgleichen – wenn Blum ihr Ziel erreichen kann, wird sie dereinst 20‘000 Flaschen Wein abfüllen. 2025 sollen die ersten Flaschen auf den Markt kommen, zwei bis drei Jahre später dann die gesamte Produktionsmenge erreicht werden.

Winzerin, Landwirtin und Betriebswirtin Jill Maria Blum in ihrem Rebberg fotografiert am Dienstag, 10. Oktober 2023 in Muri / Guemligen. (Hauptstadt / Manuel Lopez)
Betriebswirtin, Landwirtin und auch Winzerin: Jill Maria Blum. (Bild: Manuel Lopez)

Es gibt zwar noch weitere Winzer*innen zwischen Aare und Bantiger, doch die bewegen sich in anderen Dimensionen: Matthias Rindisbacher beispielsweise baut mit einer Gruppe am Wyssloch-Hang in der Nähe des Paul-Klee-Zentrums Wein an. Im Frühjahr dieses Jahres füllte er den ersten Jahrgang ab – 3500 Flaschen. Auch die eben für die SVP neu in den Nationalrat gewählte Katja Riem kultiviert auf dem Sandstein reichen Boden am Hättenberg in Ostermundigen Wein. Dies auf einem Areal von 0,9 Hektar. Zusammen mit ihrem Team hat sie 2022 fast 10'000 Flaschen abgefüllt. In der Regel bewege man sich aber in einem Bereich von 9'000 Flaschen, sagt der Winzerbetrieb auf Nachfrage. 

Hohe Ansprüche

Nicht nur bei den Mengen, auch bei den Sorten hat Blum klare Vorstellungen: Einen kräftigen Rotwein will sie herstellen und zwei sortenreine Weissweine – sowie jährlich einen «Überraschungswein», der ihr Raum zum Experimentieren lässt. 

Ihre Weine möchte sie als regionales Produkt vermarkten und damit Restaurants in der Nähe beliefern. Der Grossteil soll aber im Direktvertrieb und über einen Webshop abgesetzt werden. Auch über den grafischen Auftritt hat sie sich Gedanken gemacht: «Bestimmt hundert Etiketten habe ich schon entworfen» – in diesem Winter will sie zusammen mit einer Grafikerin am finalen Auftritt arbeiten. 

Etiketten, Website, Social Media, Flyer: Die Ansprüche an eine Jungunternehmerin sind auch in diesem Bereich hoch. Blum gefällt gerade diese Vielseitigkeit ihres Berufs. Und obwohl sie noch keine 30 Jahre alt ist, kann sie schon viel Erfahrung vorweisen.

Mit 22 hat sie das Betriebswirtschaftsstudium beendet, dann arbeitete sie als Skilehrerin in Österreich, machte die Ausbildung zur Winzerin und kann sich seit diesem Jahr auch eidgenössisch geprüfte Landwirtin nennen.

Winzerin, Landwirtin und Betriebswirtin Jill Maria Blum in ihrem Rebberg fotografiert am Dienstag, 10. Oktober 2023 in Muri / Guemligen. (Hauptstadt / Manuel Lopez)
Die Reben werden zusammengebunden, um ihnen die gewünschte Form zu geben. (Bild: Manuel Lopez)

Weinbau im Klimawandel

Ihre Eltern haben einen Rinder-Mastbetrieb in Jegenstorf und auch wenn sie im Weinberg «die grosse Freiheit» spürt, möchte Blum den Betrieb später einmal übernehmen. Da ihre Schwester einen anderen Berufsweg eingeschlagen hat, ist sie in der Familie die einzige mögliche Nachfolgerin. Ein zweites Standbein könnte sie absichern gegenüber den Unwägbarkeiten des Weinbaus. Denn die gibt es, vor allem in Zeiten des Klimawandels.

Am 12. Juli diesen Jahres wollte Jill Maria Blum gerade zum Gurtenfestival starten, als ein heftiger Hagelsturm über Bern zog. Einen Schauer in dieser Intensität habe es seit 40 Jahren nicht gegeben, sagt sie. «Es war ein grosser Rückschlag». Die noch jungen Rebstöcke erlitten Verletzungen. «Sie sehen zuerst nur wie Nadelstiche aus», erklärt Blum. Aber nach und nach reissen diese Wunden auf. Ihre Pflanzen konnten sich zwar vom Unwetter erholen, doch die kleine Narben bleiben. Die Winzerin überlegt bereits, Hagelnetze als Schutz zu installieren.

Dennoch ist sie von ihrem Standort überzeugt. Der Boden sei «extrem nährstoffreich», in einer Mischung aus Lehm, Sand und Kies. Der Hang biete zudem eine lange Sonnenscheindauer und trotzdem die Kühle des nahen Waldes am Aarehang. Der Fluss mindere das Risiko für grossen Frost.

Blum setzt auf eine biologische Weinproduktion – eine Tendenz, die sie im gesamten Weinland Schweiz beobachtet. Junge Winzer*innen drängen mit neuen Ideen im Anbau und Marketing auf den Weinmarkt. Und dieser wird weiblicher. Blum hat eine Erklärung dafür: Marketing, Buchhaltung, die Arbeit mit Pflanzen und Maschinen – viele Frauen reize es, diese verschiedenen Aspekte des Weinbaus produktiv miteinander zu verschmelzen. 

Wer Blum zuhört, spürt, dass sie noch etwas anderes in den Bann zieht, das grundsätzlicher nicht sein könnte: Die Arbeit mit der Natur, die einem gibt, und im nächsten Moment wieder alles vernichten kann.

tracking pixel

Diskussion

Unsere Etikette
Maja Balmer
27. Oktober 2023 um 05:59

Wow, viel Kraft und Freude Jill für ihren Weinberg! Berufung leben sollte für uns alle der Weg sein, nicht bloss Beruf als Arbeit.