Geld

An YB-Umfragen teilnehmen? Nur mit Kryptowallet!

Die Young Boys experimentieren als erster deutschsprachiger Fussballclub mit der Blockchain-Technologie. Wer zahlt, kann als Fan im Club mitbestimmen. Das stösst auch auf Kritik.

_DSC9225
Steuert die YB-Offensive im Krypto-Business: Digitalchef Reto Steffen. (Bild: Danielle Liniger)

«Welcher YB-Spieler soll seine Spotify-Playlist veröffentlichen?» oder «Wie soll das Matchplakat für das Abschiedsspiel von Marco Wölfli aussehen?»

Über Fragen wie diese können Fans der Berner Young Boys abstimmen. Vorausgesetzt, sie haben zuvor einen sogenannten YB-Token erworben und mit einer Kryptowährung bezahlt. Der Verein erhofft sich von seiner Offensive im digitalen Markt mehr Partizipation, mehr Interaktion, mehr Bindung. Aber natürlich auch zusätzliche Einnahmequellen.

Das öffnet neue Perspektiven, aber auch neue Konflikte. Als erster Club im deutschsprachigen Raum setzt YB auf die Blockchain-Technologie. Die Verantwortlichen träumen bereits von der Möglichkeit eines virtuellen Stadionbesuchs. Die Fans hingegen kritisieren die Vermarktung der Mitbestimmungsrechte und befürchten eine Ungleichbehandlung.

Was bedeutet Blockchain?

Unter einer Blockchain versteht man das System einer verteilten, dezentralisierten Datenbank. Sie ist zum Beispiel Voraussetzung dafür, dass eine elektronische Geldüberweisung vollzogen werden kann, ohne dass eine Bank als Vertrauensträgerin dazwischengeschaltet sein muss. Ohne Blockchain keine Kryptowährung. Technisch gesehen sind in einer Blockchain Datenblöcke kettenartig verknüpft. Jeder Blockchain-User verfügt über die Informationen der gesamten Kette. Somit bietet die Technologie ein transparentes und sicheres System, das ohne eine dritte Partei auskommt. Eine Blockchain kann verschiedene Informationen speichern und ist so vielfältig anwendbar.

Dienstagnachmittag, Mitte Dezember im Stadion Wankdorf. Durch die Fensterfront des Büros sieht man den Kunstrasen des BSC Young Boys; das Stadion ist leer. Hier geht es um ein anderes Spielfeld – YBs Ambitionen, sich auf digitalen Märkten zu etablieren

«Be more than a fan»

Personifiziert wird dieses Geschäftsfeld durch Reto Steffen, er ist YBs Chief Digital Officer. Warum YB mit Blockchain und Kryptowährung operiert, erklärt er so: «2020 lancierten wir eine Partnerschaft mit Socios, um unsere Fans vermehrt in Entscheide zum Alltag im Verein miteinbeziehen zu können.»

DSC_0301
YB möchte mit seiner Digitalstrategie auch die Herzen der Fans ansprechen. (Bild: Danielle Liniger)

Socios – das ist das Unternehmen, das die YB-Token herausgibt. Auf der Socios-Webseite prangt in Grossbuchstaben der Slogan: «Be more than a fan». Daneben ein Bild von Superstar und Neo-Weltmeister Lionel Messi. Der Grund: Socios bietet Fan-Token diverser Sportvereine an – darunter auch von Messis Arbeitgeber Paris Saint-Germain oder seinem Ex-Klub FC Barcelona.

Ohne Token läuft nichts

Die Token kann man sich wie digitale Jetons vorstellen. Sie berechtigen die Erwerber*innen dazu, fortlaufend von exklusiven Angeboten zu profitieren oder über Entscheidungen im Verein mitzubestimmen. Das erlaubt es den internationalen Grossklubs, auch Fans ausserhalb des Stadions, der Stadt oder des Landes an sich zu binden.

Was genau ist ein Token?

Token basieren auf einer bereits existierenden Blockchain. Token können sehr unterschiedliche Funktionen annehmen: Sie können als Zahlungsmittel, Vermögensanlage oder als eine Art Eintrittskarte zu gewissen digitalen Produkten dienen. Einen Token kauft man mit Kryptogeld. Der YB-Token, der letztlich auf der Ethereum-Blockchain basiert, erlaubt unter anderem die Teilnahme an exklusiven Umfragen.

Wer einen Fan-Token will, muss zuerst auf der Socios-App die Kryptowährung Chiliz kaufen. Die erworbenen Chiliz-Coins werden in einem digitalen Portemonnaie, einer Wallet, gespeichert. Sie können für den Kauf von Fan-Token verwendet werden, die ebenfalls in der Wallet abgelegt werden. 

«Chiliz basiert auf einer Blockchain, ganz ähnlich wie die Kryptowährung Bitcoin», sagt Christian Cachin, Professor für Informatik an der Universität Bern. Er forscht seit Jahren auf diesem Gebiet. Zusammen mit den Doktorand*innen Jovana Micic und Luca Zanolini erklärt er die Funktion von Token. «Die Blockchain-Technologie ermöglicht es, dezentral festzuhalten, wer Besitzer*in eines digitalen Guts ist.»

Die Kritik des Fans

Fans sehen die digitalen Angebote von YB auch kritisch. «Je mehr Fan-Token eine Person besitzt, desto grösser kann ihre Entscheidungskraft sein. Ganz egal, ob die Person jemals im Stadion war oder überhaupt ein ernsthaftes Interesse am Verein hat», sagt zum Beispiel Marco Heuberger.

Der St. Galler besitzt seit rund zehn Jahren eine YB-Saisonkarte und beschäftigt sich in seiner Freizeit mit der Verschmelzung des modernen Fussballs mit der digitalen Welt. «Für viele Fans ist es ein besorgniserregendes Zeichen», sagt er, «wenn ein Verein versucht, die Meinung und das Engagement seiner Fans zu monetarisieren.»

GIF Geld Schwerpunkt
Themenschwerpunkt Geld

Was machen wir mit Geld? Und was macht Geld mit uns? Das ist die inhaltliche Klammer des Schwerpunktthemas, zu dem wir Anfang Januar zahlreiche Artikel veröffentlichen.

Heuberger besitzt zwei YB-Token. Gekauft habe er sie einst aus Neugierde, wie er heute sagt. An einer Abstimmung habe er aber erst einmal teilgenommen: «Bei der Gestaltung des Auswärtstrikots für die aktuelle Saison habe ich meine Stimmen abgegeben.»

Nebst der Tatsache, dass Besitzer*innen von YB-Token möglicherweise gar keinen Bezug zum Verein haben, stört ihn, dass sich Wohlhabende mehr Mitspracherecht erkaufen können, indem sie mehr Token besitzen.

Die Replik des YB-Digitalchefs

YB-Digitalchef Reto Steffen kontert diese Kritik: «Ursprünglich lag der Preis für einen YB-Token bei zwei Franken, mittlerweile liegt er bei 40 Rappen. Damit sind die Token für alle Fans erschwinglich.» Zudem habe YB sämtlichen Saisonkartenbesitzer*innen im Sommer 2021 einen Gratis-Token angeboten.

DSC_0356
Reto Steffen sieht keine Belege, dass sich Kryptospektulant*innen Einfluss bei YB erkaufen. (Bild: Danielle Liniger)

Von einer Dominanz durch reiche Kryptospekulant*innen, will Steffen nichts hören. «Selbst wenn sich Einzelne massenhaft mit Token eindecken würden, sind die Umfragen so gestaltet, dass diese höchstens mit dem Gewicht von beispielsweise 10 Token abstimmen könnten.»

Anfänglich seien entgegen der Erwartung des Clubs tatsächlich viele Token an Personen im Ausland verkauft worden, sagt Steffen. «Doch mittlerweile sind die meisten Besitzer*innen aus der Umgebung.»

Die digitalen Panini

«Die Lancierung der Fan-Token betrachten wir primär als Einstieg in die Blockchain-Technologie», sagt Steffen. Er glaubt, dass in Zukunft kein Club mehr darum herumkomme, sich mit dieser Technologie zu befassen. Die Young Boys haben gar ein eigenes Blockchain-Team aufgebaut. 

Nach den Fan-Token 2020 lancierte YB im Folgejahr das nächste digitale Grossprojekt: Non-Fungible Token, kurz: NFTs. Um diese gab es in den letzten Jahren einen regelrechten Hype in Kryptokreisen. Die Young Boys verkaufen seither über die eigene Website jede Saison digitale Autogrammkarten der Spieler. Diese können anschliessend auf einem digitalen Marktplatz gehandelt werden.

Was ist ein Non-fungible Token?

NFT: Bei diesen nicht-fungiblen Token handelt es sich um eine Art Token, der die Inhaber*innen-Rechte an einem einzigartigen Vermögenswert festhält. Er dient so als Echtheitszertifikat, das zweifelsfrei festhält, wem der Vermögenswert gehört. YB bietet vor allem signierte Sammelkarten als NFT an. Wenn du besser verstehen willst, wie das NFT-Business funktioniert: Höre den NFT-Podcast der Redaktion «das Netz», den die «Hauptstadt» veröffentlicht hat. 

Mit einem Belohnungssystem sollen die Sammler*innen zu zusätzlichen Käufen angespornt werden. Halbsaisonkarten, Schals oder YB-Token sind zu erhalten.

Wie viel Geld nimmt YB ein?

Die grosse Frage ist natürlich, wie viel Geld YB mit seinem Vorstoss auf die digitalen Marktplätze verdient. Ende 2020, als die Young Boys die ersten Blockchain-basierten Produkte verkauften, sprach CEO Wanja Greuel in Medieninterviews davon, dass YB damit einen hohen sechsstelligen Betrag einspiele. Gegenüber der «Hauptstadt» hält Digital-Chef Steffen fest, dass YB mit den Blockchain-Aktivitäten pro Saison rund 20’000 Franken verdiene.

Der Club bewirbt die NFTs auf seiner Website mit den folgenden Worten: «Fans sind Besitzer von seltenen Sammelstücken und können von möglichen Wertsteigerungen profitieren.» Dennoch dienen die NFTs nicht als Spekulationsobjekte. Dafür ist das bisherige Interesse zu klein. Dies sieht auch Doktorand Luca Zanolini von der Universität Bern so: «Wer YB-NFTs kauft, sollte das tun, weil ihm das Projekt gefällt und nicht, weil man sich davon Gewinne erhofft.»

Mittlerweile setzt YB das Blockchain-Wissen nicht nur für die eigenen Marketingangebote ein. Neben den digitalen Autogrammkarten gibt es neu auch Comic-Bienen als NFTs. Der Erlös fliesst in ein Projekt des Imkerverbands «BienenSchweiz», blockchainbasiertes Spendensammeln also.

62a98c23adf879712b4d0ede_Ybees_1
Die sogenannten «YBees» kosten zwischen 20 und 300 Franken pro Stück. (Bild: zvg)

Christian Cachin von der Universität Bern sieht in der breiteren Verwendung der Blockchain-Technologie Potenzial. «Blockchaingestützte Transaktionen bieten im Gegensatz zu herkömmlichen Zahlweisen mehr Transparenz und Sicherheit», sagt er.

Cachin kann sich vorstellen, dass in Zukunft digitale Tauschbörsen entstehen werden, wo Fans untereinander Sammlerstücke oder Token völlig losgelöst vom physischen Standort handeln können. Dem pflichtet auch die Doktorandin Micic bei: «In Zukunft wird sich vieles aus der analogen Welt in die digitale Welt verschieben.»

Wie sieht es aber mit nicht-digitalen Gütern aus? Wird die YB-Wurst in Zukunft nur noch mit Token aus dem digitalen Wallet bezahlt? Vermutlich nicht.

62f372d537dc73d2d7619448_box3u – 2
Die digitale YB-Wurst gibt es noch nicht. NFT-Autogrammkarten hingegen schon. (Bild: zvg)

YBs Digitalchef Steffen spricht von einer zweispurigen Strategie. Einerseits solle es beispielsweise Tickets weiterhin am Schalter zu kaufen geben. Andererseits würden die erworbenen Blockchain-Kenntnisse schrittweise auch in andere Geschäftsbereiche integriert werden.

Gegen den Schwarzmarkt

Beispielsweise planen die Young Boys 2023 die Einführung einer blockchainbasierten Ticket-App, die es erlauben soll, zweifelsfrei festzuhalten, wer der oder die rechtmässige Besitzer*in eines Tickets ist.

So wird die erlaubte Weitergabe der Tickets einfacher und sicherer; gleichzeitig soll der Schwarzmarkt ausgetrocknet werden. Gemäss Reto Steffen würden sich mittelfristig zahlreiche weitere Möglichkeiten im Digitalen bieten, etwa der Einstieg ins Metaverse, also eine virtuelle Welt, in der man sich treffen kann.

Der YB-Digitalchef schliesst nicht aus, dass man sich in ein paar Jahren in einer digitalen Version des Wankdorfstadions bewegen kann. «Vielleicht wird es in Zukunft möglich sein, ein Gespräch im Metaverse mit dem Mittelfeldspieler Fabian Rieder zu gewinnen», sagt Steffen.

Spagat zwischen analog und digital

Für die «Hauptstadt» posiert Reto Steffen im Erdgeschoss des Stadions. Hinter ihm hängt ein überdimensionales Foto aus der Meisternacht 2018. Damals wurde YB erstmals seit 32 Jahren Schweizer Fussballmeister. Seitdem scheinen die Young Boys wie erwacht.

Auf und neben dem Feld stehen sie an der Spitze, doch gerade in seiner Rolle als Digital-Pionier sieht sich der Klub zu einem Spagat zwischen analoger und digitaler Welt gezwungen. Es stellt sich die Frage, wie es gelingen kann, zwischen Krypto-Sammlern und Fans im YB-Schal zu vermitteln. Die Antwort darauf wird YB in keiner Umfrage finden.

tracking pixel

Diskussion

Unsere Etikette
Manuel Reinhard
18. Januar 2023 um 19:40

« Beispielsweise planen die Young Boys 2023 die Einführung einer blockchainbasierten Ticket-App, die es erlauben soll, zweifelsfrei festzuhalten, wer der oder die rechtmässige Besitzer*in eines Tickets ist.»

Leider sitzen die Young Boys da einem Marketing-Bären auf. Es braucht keine Blockchain, um die Inhaberschaft von Tickets zu verwalten. Eine vollständige Digitalisierung des Ticketingprozesses erreicht dieses Ziel auch mit herkömmlichen Technologien. Unkomplizierter und effizienter.