«Alle Brücken hinter mir sind kaputt»
Die Iranerin Zoya Mahallati exponiert sich in der Öffentlichkeit mit künstlerischen Darbietungen. Ihr Asylgesuch wurde abgewiesen, im Iran fürchtet sie Verfolgung. Dieses Wochenende tritt sie an der Flüchtlingssession auf.
Oktober 2022. Eine Frau steht bei einer Demonstration auf der Bühne auf dem Bundesplatz. Sie trägt ein rotes Kleid und tunkt ihre Haare in rote Farbe. Damit beschmiert sie ein Foto des geistlichen Führers Ayatollah Ali Khamenei, und zerreisst es schliesslich. Mit der Menge ruft sie «Jin – Jiyan – Azadi!». Frauen – Leben – Freiheit, die Worte des Aufstands gegen das iranische Regime.
Gut einen Monat zuvor hat dieselbe Frau vor der iranischen Botschaft eine selbstgemachte Skulptur zerstört. Die Skulptur zeigte eine traurig aussehende kurdische Frau ohne Kopftuch.
Hinter den Aktionen steckt Zoya Mahallati. Die Darbietungen haben in den hiesigen Medien für Aufsehen gesorgt. Wer ist diese Frau, die sich so stark exponiert? Warum macht sie das?
Die «Hauptstadt» besucht Zoya Mahallati in einer WG an der Effingerstrasse. Sie lebt hier gratis in einem Zimmer. Einmal am Tag reist sie ins abgelegene Enggistein bei Worb, wo sie offiziell in einem Rückkehrzentrum untergebracht ist und ihre Anwesenheit bezeugen muss. Denn eigentlich müsste Zoya Mahallati zurück in den Iran. Dort blühen ihr für solche Aktionen im Ausland schwerwiegende Sanktionen, im schlimmsten Fall die Todesstrafe. Doch ihr Asylgesuch hat die Schweiz abgewiesen.
Die Feministin im Iran
Zoya Mahallati ist Kurdin und im Iran geboren. Sie studierte dort Kunst und erschafft auch heute noch Keramikskulpturen und malt. Ihre Ausstellungen, die feministisch geprägt waren, wurden von der iranischen Regierung verhindert. Sie arbeitete als Dozentin an einer Hochschule, später Kunstlehrerin an einer Primarschule in ihrer Heimatstadt Sanandaj. Der Bildungsbereich wird vom iranischen Regime beobachtet. Denn eine Lehrerin hat Einfluss auf die Gesinnung der Jugend. Nachdem die Sittenpolizei Mahallatis Primarschule kontrolliert hat, wurde sie entlassen.
Mahallati ist eine Feministin und eine Nonkonformistin. Nach der Heirat wollte sie nicht mit ihrem damaligen Mann in eine gemeinsame Wohnung ziehen. Daraufhin rächte sich ihr Mann, indem er verbreitete, dass sie bisexuell sei. Im Iran sind sexuelle Handlungen zwischen Gleichgeschlechtlichen illegal und können mit dem Tod bestraft werden.
Ohne Zukunftsaussichten und mit nichts zu verlieren, flüchtete Mahallati 2015 in die Schweiz.
Schweiz – Schweden – Schweiz
Hier ersucht sie im September 2015 um Asyl. Sie ist zu diesem Zeitpunkt 28 Jahre alt. Rund vier Jahre später, im Juli 2019, erhält sie einen negativen Bescheid, den sie anfechtet. Im März 2022 wird die Beschwerde abgewiesen.
Zoya Mahallati hat sich bis dahin ein Leben in der Schweiz aufgebaut. Sie ist vom Durchgangszentrum Aeschiried in eine Wohngenossenschaft in der Stadt Bern gezogen, hat an der Hochschule der Künste Bern Workshops und Weiterbildungen besucht und selbst Workshops geleitet. Das Festival der Kulturen Bern zeichnet sie gar mit dem ersten Preis für ihre Keramik aus.
Ein halbes Jahr nach dem negativen Entscheid beginnen die Aufstände im Iran aufgrund der Ermordung von Mahsa Amini. In der Schweiz ist die Solidarität gross, Demonstrationen werden veranstaltet und Zoya Mahallati ist mittendrin.
Stolz zeigt sie auf ihrem Instagramprofil Videos von ihren Performances, denn die oben erwähnten sind nicht ihre einzigen Aktivitäten. Sie hielt letzten September eine Rede an einer Kundgebung auf dem Bahnhofsplatz über die Situation im Iran. In einem Interview mit CH Media trägt sie ein Shirt, auf dem zwei Frauen abgebildet sind – eine mit und eine ohne Kopftuch. Ihre Aktionen und das mediale Interesse daran bleiben für sie nicht ohne Folgen. Im Iran werden ihre Aktivitäten in der Schweiz beobachtet, im November 2022 wird ihr Vater in Sanandaj vom iranischen Geheimdienst festgenommen. Ihre Familie informiert sie darüber und fordert sie auf, in den Iran zurückzukehren.
Sie hat Angst und verlässt tatsächlich die Schweiz. Sie flüchtet aber nach Schweden zu ihren Verwandten, weil sie sich dort sicherer fühlt.
Doch Schweden nimmt sie nicht auf. Das Dublin-Abkommen verpflichtet sie, in die Schweiz zurückzukehren – an einen Ort, an dem sie eigentlich nicht bleiben darf.
Kein Zurück
«Mein Land hat mein Leben zerstört. Ich bin hierher gekommen, weil ich dachte, es würde besser werden», sagt Zoya Mahallati. «Alle Brücken hinter mir sind kaputt.» Sie stehe im Iran auf einer schwarzen Liste. Sie sagt, sie fürchte, von der Regierung verhaftet oder gar getötet zu werden, wenn sie zurückkehre.
Aufgeben kommt für Mahallati nicht in Frage. Sie hat kürzlich ein neues Asylgesuch eingereicht. Aufgrund der veränderten Umstände im Iran und ihren exilpolitischen Aktivitäten hofft sie, als Flüchtende anerkannt zu werden.
Danach hat sie viel vor. Wenn sie wieder Kraft habe, möchte sie die grosse Solidarität, die sie von vielen Menschen erfahren habe, zurückgeben. Sie möchte geflüchtete Frauen, die ähnliches wie sie erlebt haben, unterstützen. Und sie möchte an der Hochschule der Künste Bern studieren. Dort könne sie ganz sie selbst sein. Am 10. Juni wird sie an der Flüchtlingssession teilnehmen. Sie wird wieder eine Performance zeigen. Sie könne sich am besten mit Kunst ausdrücken, sagt sie. Was das für eine Performance sein wird, verrät sie nicht. Aber möglichst viele Menschen sollen sie sehen und davon hören, sagt sie.
Seit 2021 führt die Schweiz eine Flüchtlingssession durch. Hier können geflüchtete Menschen jeden Alters, die mindestens ein B1-Niveau auf Deutsch, Französisch oder Italienisch aufweisen, teilnehmen und ihre Bedürfnisse an das Parlament tragen.
Letztes Jahr haben die Teilnehmenden die zehn wichtigsten Vorstösse demokratisch priorisiert und einem Podium aus Politiker*innen und Fachpersonen präsentiert. Diese nahmen die Vorstösse entgegen, kommentierten sie und lassen sie künftig in die politischen und öffentlichen Debatten einfliessen.
In der diesjährigen Session geht es um folgende sechs Themen:
Verbesserung des Aufenthaltsstatus (Abgewiesene und F-Status)
Bildung für alle
Psychologische Begleitung während dem Asylprozess
Familienbesuche mit F-Ausweis im Schengenraum
Familiennachzug erweitern
Faire Behandlung von Kindern unabhängig von Aufenthaltsstatus