«Ich bin endlich frei»
Zoya Mahallati fürchtete sieben Jahre lang, in den Iran ausgeschafft zu werden. Nun kann sie aufatmen.
Zoya Mahallati ist fast nicht wiederzuerkennen. Die dunklen Ringe um ihre Augen sind heller geworden, sie trägt Lippenstift und winkt erfreut. Vor einem Jahr, das wird jetzt klar, war sie ein Schatten ihrer Selbst. Mehrmals während des Gesprächs damals brauchte sie eine Pause, weil ihre Gefühle sie überwältigten. Auch heute glänzen ihre Augen ab und zu, wenn sie erzählt. Sie ist aber gefasster und fröhlicher.
Die «Hauptstadt» hat über die Iranerin Zoya Mahallati berichtet, weil sie sich in der Öffentlichkeit immer wieder mit künstlerischen Darbietungen exilpolitisch exponiert hat. Sie hat im Oktober 2022 bei einer Demonstration auf der Bühne mit ihren zuvor in roter Farbe getunkten Haare ein Foto des geistlichen Führers Ayatollah Ali Khamenei beschmiert. Davor hat sie vor der iranischen Botschaft eine selbstgemachte Skulptur zerstört. Die Skulptur zeigte eine traurig aussehende kurdische Frau ohne Kopftuch.
Mahallati ist seit 2015 in der Schweiz. Das sind sieben Jahre, in denen sie in der Ungewissheit lebte, in der Schweiz bleiben zu dürfen. Diese Zeit hat an ihr genagt.
Damals stand der Entscheid aus, ob die Schweiz sie wieder zurück in den Iran schickt – obwohl sie dort politisch verfolgt werden würde. Mahallati war überzeugt, dass sie eine Rückkehr in den Iran nicht überleben würde.
Die Feministin
Zoya Mahallati würde nicht nur aufgrund ihrer exilpolitischen Aktivitäten verfolgt, bereits im Iran hatte die Regierung sie auf dem Radar.
Sie ist Kurdin und im Iran geboren. Mahallati studierte Kunst und erschafft auch heute noch Keramikskulpturen und malt. Ihre feministisch geprägten Ausstellungen wurden von der iranischen Regierung verhindert. Sie war ausserdem Kunstlehrerin. Der Bildungsbereich steht im Iran unter Beobachtung: Als Lehrerin habe man Einfluss auf die Gesinnung der Jugend, ist die Regierung überzeugt. Nachdem die Sittenpolizei Mahallatis Schule kontrolliert, wird sie entlassen.
Später, als sie heiratet, will sie nicht mit ihrem damaligen Mann in eine gemeinsame Wohnung ziehen. Daraufhin verbreitete ihr Mann, dass sie bisexuell sei. Im Iran sind sexuelle Handlungen zwischen Gleichgeschlechtlichen illegal und können mit dem Tod bestraft werden.
2015 flüchtet sie in die Schweiz und ersucht um Asyl. Vier Jahre später lehnen die Behörden ihr Gesuch ab. Sie ficht den Entscheid an, dieser wird 2022 erneut abgewiesen. Aufgrund ihrer exilpolitischen Aktivitäten in der Schweiz und der neuen Proteste im Iran im Herbst 2022 reicht sie ein drittes Asylgesuch ein.
Jetzt hat sie eine vorläufige Aufnahme erhalten – einen sogenannten F-Ausweis. «F wie Freiheit», sagt Mahallati.
Vorläufige Freiheit
Der Ausweis F erlaubt Personen, sich «vorläufig» in der Schweiz aufzuhalten. Er ist gegenüber der Aufenthaltsbewilligung in Form eines B-Ausweises schlechter gestellt. Zoya Mahallati erhielt F statt B, weil sie nach Ansicht der Migrationsbehörden wegen ihres Verhaltens nach der Ausreise zum politisch verfolgten «Flüchtling» im asylrechtlichen Sinne geworden ist. Mahallati habe sich erst nach ihrer Ausreise aus dem Heimatland politisch exponiert. Dadurch erfüllt sie die Flüchtlingseigenschaft. Das Schweizer Asylrecht lehnt in solchen Fällen das Asylgesuch jedoch ab. Denn Personen sollen nicht dazu ermutigt werden, sich exilpolitisch zu engagieren. Weil die Behörden aber keine Person in einen Staat ausschaffen dürfen, in dem sie verfolgt wird, gewähren sie eine vorläufige Aufnahme. Und nicht den B-Ausweis.
Im Vergleich zum B-Ausweis kann Mahallati mit dem F-Ausweis erst nach drei Jahren ein Gesuch für einen Familiennachzug stellen. Ausserdem kann sie den Kanton in den ersten fünf Jahren nicht wechseln.
Der F-Ausweis ist ein Jahr gültig und kann jeweils für ein weiteres Jahr beim Kanton beantragt werden. Einen positiven Bescheid erhält sie, wenn für sie weiterhin Gefahr in ihrem Heimatland droht.
Im Fall von Zoya Mahallati sei das keine Frage: Sie würde auch noch Jahre später aufgrund ihrer exilpolitischen Aktivitäten in ihrem Heimatland Iran verfolgt werden, würde sie zurückkehren müssen, sagt der Jurist Marek Wieruszewski von der Asylberatungsstelle Solidaritätsnetz Bern. Er hat Mahallati beim Asylgesuch geholfen.
Nach fünf Jahren mit dem Ausweis F kann Mahallati einen B-Ausweis beantragen.
Weitertanzen
Mit ihrem Ausweis darf Mahallati arbeiten und kann einen Reiseausweis beantragen. Damit konnte sie in diesem Jahr ihre Verwandten in Deutschland besuchen.
Arbeit hat Zoya Mahallati auch gefunden. In einer Notunterkunft, wo sie mit einem 50- Prozent-Pensum geflüchtete ukrainische Frauen betreut. Die Arbeit gefalle ihr, sagt sie, weil sie sich gut in die Situationen der Frauen einfühlen könne, da sie selbst ähnliches durchgemacht hat. Endlich könne sie etwas von der Hilfe, die sie von Schweizer*innen erfahren hat, zurückgeben. «Ich habe so viel Hilfe von Schweizer*innen erfahren. Und nun kann ich anderen helfen.»
Seit sie die vorläufige Aufenthaltsbewilligung erhalten hat, ist viel passiert. Mahallati wohnt nicht mehr in einer WG, sondern alleine in einem kleinen Studio, das sie dank der Unterstützung des Integrationsprojekts Café Mazay gefunden hat. Und sie sucht einen weiteren Job. Die Arbeit in der Notunterkunft ist befristet bis Ende September.
Das sei aber schwierig. Im Bewerbungsprozess hätten C- und B-Ausweise oft Vorrang, sagt Mahallati. Verzwickter wird die Sache, weil Zoya Mahallati oft Nachtschichten hat. Das mache es für sie schwierig, einen Deutschkurs zu besuchen. Womit sie wiederum attraktiver auf dem Arbeitsmarkt wäre.
Ihre Kunst gibt ihr viel Kraft. In letzter Zeit, seit sie arbeiten kann, ist sie aber auf der Strecke geblieben. Die Utensilien, die sie dafür benötige, seien zudem teuer. Ab und zu bleibt aber trotzdem Zeit für die Leidenschaft. So malte Zoya Mahallati für das Festival der Kulturen im März ein Bild von kurdischen Frauen, «die keine Männer brauchen und trotz aller Probleme weiter tanzen.»