Zur Johannisnacht leuchtet das Glühwürmchen

Das Glühwürmchen ist eigentlich ein Käfer und will mit seinem Leuchten nur eines: Verführen. Wo man das Glimmen in Bern beobachten kann, schreibt Wildtier-Kolumnistin Irene Weinberger.

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Illustration (Bild: Natalie Neff)

In den Nächten rund um den Johannistag am 24. Juni passiert Magisches auf dem Bremgartenfriedhof. Nach Einbruch der Dunkelheit beginnt es hier und da zu leuchten. Es sind kleine neongrüne Punkte, die konstant im Gebüsch glimmen: Glühwürmchen! 

Glühwürmchen sind wider ihren Namen keine Würmer, sondern gehören zu der umfassenden Gruppe der Käfer. Und so heisst das Glühwürmchen auf dem Bremgartenfriedhof eigentlich «Grosser Leuchtkäfer». 

Eine Ausnahmeerscheinung ist unser Glühwürmchen nicht. Weltweit gibt es fast 2000 Leuchtkäferarten. Zwar können auch die Larven leuchten, doch das Licht wird hauptsächlich in der Partnerbörse eingesetzt. Dabei lassen sich die Glühwürmchen nach dem System ihrer Partnerwerbung recht übersichtlich gruppieren: Manche Arten blitzen in Intervallen, andere senden ein langsames Glühen aus und die letzten verströmen unsichtbare Düfte.

Ein Leben für die Fortpflanzung

Der Grosse Leuchtkäfer gehört zu den «Glühern». In dieser Gruppe erzeugen die flügellosen Weibchen ein langanhaltendes Glühen, um die flugfähigen, aber nicht leuchtenden Männchen anzulocken. Erwachsene Glühwürmchen leben nicht sehr lange, und in diesen drei bis vier Wochen haben sie nur eines im Kopf: Sex. 

Nach Einbruch der Dunkelheit sitzen die Weibchen gut positioniert im Gebüsch. Am hinteren Unterleib der Weibchen befinden sich die Leuchtfelder, und so muss das Weibchen sein Hinterteil leicht verdrehen, um den vorbeifliegenden Männchen den leuchtenden Teil des Körpers präsentieren zu können. Wo Glühwürmchen vorkommen, schadet es daher nicht, das Kunstlicht für die Zeit der Flitterwochen abzulöschen, denn der Paarungserfolg bei den Glühwürmchen sinkt mit hellen, künstlichen Lichtquellen. 

Die sogenannte Bioluminiszenz – also die Lichterzeugung von Lebewesen – kann von Glühwürmchen aktiv ein- und ausgeschaltet werden. Finden sich zwei Glühwürmchen, löscht sie ihr Licht. Ein bis zwei Tage später legt die Glühwürmchendame bis zu 90 schwach leuchtende Eier an Graswurzeln oder unter Steine und Holz. Doch der Schlupf der Larven in knapp einem Monat erlebt die Mutter nicht mehr.

Schneckenschreck

Glühwürmchen machen wie viele andere Insektenarten eine Metamorphose durch, so wie die Raupe und der Schmetterling. Gleich der Raupe Nimmersatt geht es bei den Glühwürmchenlarven einzig und allein um Futter. Und Glühwürmchenlarven haben buchstäblich einen Mordshunger. Auf Schnecken. Ob gross oder klein, mit Häuschen oder ohne: Sie alle stehen auf dem Speiseplan. 

Kaum geschlüpft, ist die Glühwürmchenlarve ein Schneckenschreck. Trifft die herumkrabbelnde Larve auf eine Schleimspur, folgt sie ihr bis zur dazugehörigen Schnecke. Dann erfolgt der Angriff. Die Larve besitzt scharfe Beisszähne, die zudem über einen Tubus direkt mit dem Mitteldarm verbunden sind. Damit schafft es die Larve, Giftstoffe in die Schnecke einzuspritzen und sie zu lähmen. Nun folgt für die Larve ein Festmahl, das bis zu drei Tage dauern und bei dem sie sich komplett überfressen kann. Das muss sie dann in Ruhe verdauen, bevor die nächste Schnecke überhaupt verfolgt werden kann. 

Eilig hat sie es dabei nicht. Hierzulande leben Glühwürmchen zwei oder drei Jahre als Larven, bevor sie sich anfangs Juni verpuppen und das stille, zauberhafte Leuchten in diesen lauen Sommernächten wieder beginnt.

Glühwürmchen sind selten geworden. Sie scheinen auf praktisch alle wesentlichen Faktoren anfällig zu sein, die unsere natürliche Landschaft bedrohen: Zerstückelung der Landschaft, Bodenverdichtung, Kunstlicht, Pestizide. Wo sich Glühwürmchen wohlfühlen, ist die Biodiversität meist sehr hoch. So finden sich im Reich der Glühwürmchen oft seltene und gefährdete Tier- und Pflanzenarten – und auch dem Menschen gefällt es dort ausnehmend gut. Der Bremgartenfriedhof ist für unser Glühwürmchen eine lebenswerte Insel in der sonst für sie feindlichen Stadt Bern. 

Wer gerne in die nächtliche Welt der Glühwürmchen eintauchen möchte, darf Taschenlampe und Smartphone getrost zuhause lassen und bleibt idealerweise auf den Wegen. Es wäre jammerschade, wenn die verpaarten – und daher nicht mehr leuchtenden – Weibchen ein Ende unter einer Schuhsohle finden würden.

Zur Autorin

Die Bernerin Irene Weinberger ist als Biologin spezialisiert auf einheimische Wildtiere und das Konfliktmanagement zwischen Natur und Mensch.

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Diskussion

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Rudolf Alther
15. Juni 2022 um 10:16

vielen Dank für den witzig verfassten Beitrag! Eine Frage: was kann ich in meinem Garten tun, um Glühwürmchen anzulocken?