Wer füllt die Lücke?
Das Berner Literaturfest, die grösste Literaturveranstaltung im Kanton, wird es in Zukunft nicht mehr geben. Das bietet Chancen für Neues – aber man muss sie packen.
Die Hauptstadt der Literatur ist Bern sicher nicht. Das bekannteste Literaturfestival der Schweiz findet in Solothurn statt. Literaturhäuser gibt es in anderen Städten, doch nicht in Bern. Die grösste literarische Veranstaltung in der Bundesstadt war bisher das Berner Literaturfest. Um die 40 Autor*innen kamen jeden zweiten Sommer nach Bern, um in der Stadt und an verschiedenen Standorten im ganzen Kanton während sechs Tagen mit verschiedenen Formaten Literaturfans zu begeistern.
Zum letzten Mal 2020. Ein weiteres Literaturfest wird es nicht geben, wie das Veranstaltungsteam um Hans Ruprecht letzte Woche mitgeteilt hat. Der Trägerverein des Festivals hat sich bereits aufgelöst. Der Grund: Das Festival hatte mehr Geld bei der Stadt beantragt, weil es ausbauen wollte. Als es nicht direkt den ganzen Betrag bekam, schmiss das Team den Bettel hin.
Natürlich, das Berner Literaturfest hatte ein gut kuratiertes Programm mit nationalen und europäischen Aushängeschildern; 2020 lasen Andrej Kurkow (Ukraine), Judith Hermann (Deutschland) oder Lukas Bärfuss (Schweiz). Und es hatte treue Besucher*innen. Vor Corona, im Jahr 2018, besuchten 4500 Interessierte das aufwändige, aber eher traditionell ausgerichtete Festival. Zum Vergleich: Bei den Solothurner Literaturtagen waren es 2019, im Jahr vor Corona, 17’800 Besucher*innen während drei Tagen. 70 Künstler*innen traten dort insgesamt auf.
Bleibt das Aprillen
Doch wenn der Platzhirsch nicht mehr ist, bieten sich Chancen für Neues. Will jetzt Aprillen, das einzig verbliebene Literaturfestival, ausbauen? Die Veranstaltungsreihe findet immer im April im Schlachthaus Theater statt (das nächste Mal vom 27.-30. April 2022, das Programm wurde eben bekannt gegeben). Das Aprillen konzentriert sich vor allem auf Schweizer Autor*innen und Performer*innen und bietet eine Mischung aus etabliertem Literaturschaffen und Neuentdeckungen.
Tabea Steiner und Sandra Künzi veranstalten das Festival und sind selber Autorinnen. «Wir bedauern natürlich, wenn es weniger Literaturveranstaltungen gibt», sagt Sandra Künzi. Gleichzeitig begrüsse sie es, dass dadurch Platz für Neues entstehen kann. Ob und wie das Aprillen ausbauen wird, ist derzeit noch offen. «Wir sind in den letzten neun Jahren organisch gewachsen, das hat sich bewährt», sagt Künzi. Jahr für Jahr sind neue Formate dazugekommen. Seit 2018 eine Mittagslesung, in diesem Jahr erstmals eine Familienlesung zum Schweizer Kinder- und Jugendbuchpreis.
«Wir sind keine Einzelkämpferinnen.»
Sandra Künzi, Organisatorin Aprillen
Im Schlachthaus Theater, das Platz für 130 Gäste bietet, fühlen sich die Organisatorinnen mit ihrem Festival wohl. An 14 Veranstaltungen während vier Tagen treten jeweils um die 20 Autor*innen auf. «Wenn wir wirklich wachsen möchten, müssten wohl weitere Lokalitäten oder Partner*innen dazukommen und auch unsere Struktur müsste sich anpassen», sagt Sandra Künzi. Die Festivalmacherinnen wollen diese Aspekte in Ruhe prüfen. «Wir sind keine Einzelkämpferinnen.»
Geld wäre da
6000 Franken hat das schlank organisierte Aprillen von der Stadt Bern für das diesjährige Festival bekommen. Beim zweijährlichen Berner Literaturfest betrug die Unterstützung 40’000 Franken. Dazu kommen bei beiden Festivals zusätzliche Gelder von diversen anderen Unterstützer*innen sowie vom Kanton, der nur unterstützt, wenn die Stadt das auch tut (Subsidiaritätsprinzip).
Geld ist ein massgeblicher Faktor, warum das Berner Literaturfest nicht weiter existiert. Das Festival hätte ausbauen wollen auf eine jährliche Ausgabe und hat dafür im letzten Herbst 55’000 Franken pro Jahr beantragt. Nur: Die Stadt sprach nicht das ganze Geld, sondern jährlich 25’000. Das hätte immerhin einen Ausbau von 5000 Franken pro Jahr bedeutet.
Eine Einigung zwischen den beiden Parteien kam bekanntlich nicht zustande.
«Die gesprochenen 25'000 Franken gehen nicht verloren, sondern bleiben der Kulturförderung erhalten.»
Giulia Meier, Kultur Stadt Bern
Der nun nicht abgeholte Betrag von 25’000 Franken entspricht fast der Hälfte des Budgets, das die Stadt pro Jahr für Literaturveranstaltungen ausgibt. Den grösseren Teil des Budgets von 225’000 Franken machen Werkbeiträge, Druckkostenbeiträge und Stipendien aus.
Und was passiert nun mit dem nicht beanspruchten Geld? Giulia Meier, Fachspezialistin Theater, Tanz und Literatur bei Kultur Stadt Bern, sagt: «Die gesprochenen 25'000 Franken gehen nicht verloren, sondern bleiben der Kulturförderung erhalten».
Es ist ein Steilpass. Warum sollten die Gelder nicht ebenfalls im Bereich der literarischen Veranstaltungen gesprochen werden? Selten war der Moment günstiger, um ein neues Literaturformat in Bern zu lancieren oder ein bestehendes auszubauen. Man muss die Chance nur packen – und jetzt schnell vorwärts machen.
Dazu braucht es eine frische Idee, einen neuen Zugang, ein diverses Team und ein gutes Gesuch, das die städtische Literaturkommission überzeugt.