Abstimmen für den Papierkorb
Die Angst vor dem Kanton hat die Könizer Parteien geeint. Eindringlich werben sie für ein Ja zum Budget mit Steuererhöhung. Nur hebelt die finanzielle Zwangslage die demokratische Mitbestimmung von vornherein aus.
Kleiner Spoiler: Die Steuern in Köniz werden erhöht. Egal, wie die Budget-Abstimmung am kommenden Sonntag ausgeht. Sagen die Könizerinnen und Könizer Ja zur Vorlage, erhöht die Gemeinde den Steuerfuss von 1.49 auf 1.58 Einheiten. Sagen sie Nein, werden die Steuern ebenfalls erhöht. Einfach durch den Kanton, der einmalig in den ungeregelten Finanzhaushalt eingreifen würde. Warum überhaupt noch abstimmen gehen?
Kleiner Reminder: Zweimal hat die Könizer Stimmbevölkerung die Erhöhung der Steuern bereits abgelehnt. Zunächst im November 2019 den moderaten Vorschlag von 1.54 Zehntel, womit die Gemeinde mit Bern gleichgezogen hätte – 60,4 Prozent Nein-Stimmen. Dann nochmals zwei Jahre später, als eine Erhöhung auf 1.60 vorgeschlagen wurde; zwar höher als Bern, aber immer noch tiefer als Biel und Thun und der kantonale Durchschnitt von 1,71. Ausserdem zeitlich auf sechs Jahre befristet – 57,7 Prozent Nein-Stimmen. Mit einer ungewöhnlich hohen Stimmbeteiligung und auffällig wenig leeren Stimmzetteln. Köniz hatte gesprochen.
Zählt denn die Meinung des Stimmvolks nichts? Kurz gesagt: Nein. Nicht, solange es nicht die Richtige ist. Denn Köniz hat seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten, ein massives finanzielles Problem, das sich durch die wiederkehrenden roten Zahlen ständig verschlimmert. Die Einnahmen können die Ausgaben nicht decken. Und da es bei den Ausgaben durch frühere Sparrunden und kantonale Vorgaben kaum mehr Spielraum gibt, müssen die Einnahmen steigen. Es braucht eine Steuererhöhung, es geht nicht anders. Deshalb wird das Volk gefragt, bis es Ja sagt. Oder bis der Kanton kommt.
Neue Einigkeit
Dass es nicht ohne Steuererhöhung geht, sagen inzwischen alle Könizer Parteien. Beziehungsweise «ALLE KÖNIZER PARTEIEN», wie sie es in der gemeinsamen Kampagne gerne schreiben. Dabei wird grosszügig unterschlagen, dass die Ortsparteien von FDP und SVP noch bei der letzten Abstimmung lautstark das Gegenteil behaupteten. Und dass auf dem Weg bis zum «ALLE» eine Gemeindepräsidentin über die Klinge springen musste. Denn jetzt geht es darum, Einigkeit zu demonstrieren. Würde der Kanton eingreifen und das Budget für Köniz festlegen, hätte nicht die Stimmbevölkerung versagt. Sondern die Politik: Als es noch Handlungsspielraum gab, nutzten die Parteien die Zeit nicht für eine sachliche Diskussion, sondern für Polemik.
Stimmen gegen eine Steuererhöhung zu gewinnen, ist einfach. Das Gegenteil ist es nicht. Das bekommen die Parteien, die Finanzkommission und der Gemeinderat zu spüren. Vorbildlich tingelten sie gemeinsam durch die Ortsteile von Köniz, um die Bevölkerung über die Vorlage zu informieren und gemeinsam zu diskutieren. Es kamen jeweils nur etwa acht bis zehn Personen. Denn was gibt es noch zu diskutieren?
«Selbstbestimmt» mehr Steuern zahlen
Für die Politiker*innen in Köniz mag es einen Unterschied machen, ob der Kanton eingreift oder nicht. Sie betonen, dass der budgetlose Zustand von Köniz bei einem Nein zur Steuererhöhung noch länger andauern würde, nämlich bis der Kanton sich festlegt. Bis dann kann die Gemeinde keine Investitionen oder Beiträge an Vereine tätigen. Ausserdem sei unklar, ob die Steuererhöhung in diesem Fall nicht noch höher ausfallen würde. Aber ob es für die Bürger*innen einen Unterschied macht? Fühlen sie sich «selbstbestimmt», wenn sie sich zu einer Steuererhöhung durchringen, die sie explizit nicht wollten? Nur damit sie nicht vom Kanton «fremdbestimmt» werden, der dasselbe umsetzen würde? Demokratie stösst in Zwangslagen an ihre Grenzen.
Der Könizer Drang zur politischen Willensäusserung scheint dennoch ungebrochen. In der vorigen Woche ist der Briefkasten der Gemeinde vor lauter Abstimmungscouverts regelrecht übergequollen.
Oder vielleicht reicht einfach das Geld nicht mehr für eine regelmässige Leerung.
Annatina Foppa hat als freie Journalistin bei der «Berner Zeitung» ein besonderes Interesse an Köniz entwickelt. Den Beruf hat sie vor Jahren gewechselt, die Faszination ist geblieben. Für die «Hauptstadt» rückt sie monatlich die «Nebenstadt» Köniz ins Zentrum.