Start-up fürs Sterben – und fürs Leben

In Riedbach im Westen Berns baut die Stiftung Allani in einem Bauernhaus ein Hospiz für lebenslimitierend erkrankte Kinder und ihre Familien auf. Ein abenteuerliches Pionierprojekt: Es geht um viel Geld. Und viel Herz.

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Keine unwirklich erstarrte Idylle: das Allani-Haus (rechts) in Riedbach bei Bern. (Bild: Severin Nowacki)

Ein Idyll? Das mächtige Bauernhaus steht mitten im Weiler Riedbach, der zur Stadt Bern gehört, aber wirkt, als befände es sich weit auf dem Land. Um das Haus stehen Obstbäume und ein putziges Stöckli, der Blick hat Raum, in die Ferne zu schweifen, über die abgeernteten Felder hinüber zur Autobahn Bern-Murten. Man hört sie nicht, aber sieht die vorbeirasenden Fahrzeuge. 

«Ich finde, das ist ein toller Ort hier. Schön, ruhig, aber keine unwirklich erstarrte Idylle. Man schaut von hier auch auf das geschäftige Leben, wie es immer weitergeht», sagt Simone Keller. Sie ist Pflegefachfrau in der pädiatrischen Intensivpflege an den Kinderkliniken des Inselspitals. Als Mitglied des Stiftungsrats und Projektleiterin Betrieb und Organisation gehört sie zur Kerngruppe, die das Allani-Kinderhospiz aufbaut.

Nähe zur Insel

Auf dem langen Weg von der Idee zur Realisierung rückt das Ziel in Sichtweite: Seit 2016 verfolgt Allani die Vision, ein Kinderhospiz einzurichten, Ende 2023 will die Stiftung das Haus in Riedbach in Betrieb nehmen. 

Simone Keller steht jetzt in der modern umgebauten, coolen Küche und sagt: «Dieses Haus ist ein Glücksfall.» Schon nur dank seiner strategischen Lage: In 10 Minuten wäre man im Inselspital, sofern ein medizinischer Notfall das nötig machen würde:  «Das ist sehr wichtig für die Eltern, für ihr Vertrauen in unser Angebot, das es in dieser Art in der Schweiz bisher nicht gibt.»

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Ein Kinderhospiz sei ein grosses Bedürfnis, sagt die erfahrene Kinderpflegefachfrau Simone Keller. (Bild: Severin Nowacki)

Einst war der frühere YB-Fussballer Guillaume Hoarau in der eingebauten grosszügigen Wohnung im heutigen Allani-Haus eingemietet. Der Besitzer überliess das Haus der Stiftung danach ein Jahr zur Probe, ehe es Allani dank der Finanzierung durch die Heinz Schöffler-Stiftung und die katholische Kirche Region Bern für 4,5 Millionen Franken kaufen konnte.

Es geht nur mit Spenden 

Jetzt steht das Pièce de résistance an: der Umbau des Bauernhauses zu einem Hospiz mit acht Kinderpflegezimmern, dazu die Sanierung des Stöcklis, in dem vier Elternzimmer eingerichtet werden. Die Stiftung rechnet mit Kosten von rund 5,9 Millionen Franken, die Stand heute zu rund der Hälfte mit Spenden gedeckt sind, wie Geschäftsführer André Glauser sagt. Den Rest des Geldes muss Allani bei Stiftungen und Institutionen aufbringen.

Das Benefizkonzert

Am kommenden Sonntag, 28. August, 17 Uhr, spielt das Schweizer Mediziner-Orchester, bestehend aus 70 musizierenden Ärzt*innen, im Casino Bern ein Konzert mit Stücken von Edvard Grieg und Pjotr Tschaikowsky. Es dirigiert Johannes Schlaefli. Der Reinerlös der Veranstaltung sowie der von den Ärzt*innen gesammelte Betrag von 17’500 Franken geht an die Stiftung Allani Kinderhospiz Bern. Tickets gibt es hier. Direkt an Allani spenden kann man hier.

Die Spendenfinanzierung wird auch im späteren Betrieb eine zentrale Rolle spielen. Ein Kinderhospiz ist in der Schweiz etwas Neues, es ist weder Spital noch Spitex, pfannenfertige Finanzierungsmodelle und -schlüssel gibt es nicht.

Die Finanzierung ist ein Abenteuer auf unwegsamem Gelände. Denn bei Allani geht man davon aus, dass in den nächsten Jahren mindestens 50 Prozent der Betriebskosten von rund 3,4 Millionen Franken über Spenden gedeckt werden müssen. Die andere Hälfte soll über IV und Krankenkassen finanziert werden. Inwiefern sich der Kanton dereinst an den Kosten beteiligen wird, ist offen.  

Deshalb ist es für Allani wichtig, strategische Seilschaften zu bilden. Als neues Angebot auf dem Gesundheitsmarkt könnte das Hospiz von Spitälern oder der Spitex auch als Konkurrenz – zum Beispiel bei der Suche nach ohnehin knappen Fachkräften in der Pflege – wahrgenommen werden. Doch Inselspital, Kinderspitex und die Berner Haus- und Kinderärzte haben Anfang 2021 mit Allani eine Interessengemeinschaft gegründet mit dem Ziel, im Kanton Bern ein Versorgungskonzept für pädiatrische Palliative Care aufzubauen.

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Im Allani-Haus werden Eltern 24 Stunden bei ihren Kindern sein können, wenn sie das wollen. (Bild: Severin Nowacki)

Mindestens so viel Neuland wie in finanziellen Belangen betritt Allani bei der Ausgestaltung des Angebots. Ein Hospiz für die palliative Betreuung von Kindern mit lebenslimitierenden Krankheiten gibt es in der Schweiz – im Gegensatz zum europäischen Ausland – bisher nicht. Zwei weitere Projekte mit ähnlicher Stossrichtung wie Allani sind in Zürich und Basel unterwegs, aber erst in Planung. 

Auch als Tapetenwechsel

In der Schweiz sterben vier von fünf betroffenen Kindern in Intensiv-Abteilungen von Spitälern. Simone Keller kennt die Realität der Kinderintensiv-Abteilung aus ihrem Arbeitsalltag, sie hat im Inselspital täglich mit schwerkranken Kindern und ihren Eltern zu tun: «Das Bedürfnis nach einem Ort, ergänzend zu den Spitalstrukturen, der Unterstützung und Sicherheit bietet, ist gross», sagt sie. Allani schliesst eine Versorgungslücke.

Anders als Erwachsenen-Hospize will Allani – benannt nach einer altanatolischen Sonnengöttin – nicht ausschliesslich ein Ort zum Sterben sein. Von den acht Zimmern sind vier für Kinder vorgesehen, die - eventuell mit ihren Familien – mehrere Tage oder Wochen im Hospiz verbringen, zum Beispiel nach einem oder als Tapetenwechsel bei einem längeren Spitalaufenthalt. Zwei Zimmer sind Kindern vorbehalten, die regelmässig einen oder zwei Tage pro Woche eine Tagesstruktur brauchen, etwa, weil die Eltern arbeiten. Weitere zwei Zimmer bietet Allani für Kinder an, die ihren letzten Lebensabschnitt hier verbringen und sterben.

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In der Wohnung, in der einst YB-Star Hoarau wohnte, wird wildes Kinderleben einziehen. (Bild: Severin Nowacki)

Wenn man sich den künftigen Alltag im Allani-Haus vorstellt, fragt man sich schnell, wie das gehen wird. Es wird kein leiser und auch kein nur trauriger Ort werden.

Nicht ohne Freiwillige

Die Geschwister eines kranken Kindes werden vielleicht da sein, herumrennen und Dinge anstellen im Haus oder im grosszügigen Garten. Eltern treffen sich zu Kaffee und Kuchen und finden Momente der Entspannung in ihrem anstrengenden Leben mit einem schwerkranken Kind. Es kann sein, dass gleichzeitig hinter der Tür eines anderen Zimmers ein Kind stirbt. Geht das zusammen, für Eltern und für Kinder?

«Ja», sagt Simone Keller. Das Allani-Projektteam hat in den letzten Monaten mehrere Lichtblick-Wochenenden veranstaltet. Einzelne Familien konnten mit ihren kranken Kindern in den ersten bereits bestehenden Zimmern im Allani-Haus ein Wochenende verbringen. Eine Art Pilotversuch für den künftigen Betrieb des Hospizes.

Es gab ziemlich wilde Rollstuhlrennen und Zeltübernachtungen im Scheunenboden. Und praktische Erfahrungen, wie anforderungsreich der Betrieb des Allani-Hauses sein wird: Neben den voraussichtlich 20 Vollzeitstellen (davon 13 in der Pflege) wird der Betrieb stets auf die Mitarbeit von Freiwilligen angewiesen sein.

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Leben und Sterben werden sich im Allani-Haus berühren. (Bild: Severin Nowacki)

Kürzlich rief das Allani-Team die Teilnehmenden der Lichtblick-Wochenenden zu einer grossen Réunion zusammen. Ein Kind, das letzten Frühling dabei war, ist in der Zwischenzeit gestorben. Trotzdem wollte dessen Vater an der Lichtblick-Zusammenkunft dabei sein. «Das hat mich sehr berührt», sagt Simone Keller. Die Zeit im Allani-Haus habe das Gefühl dieses Vaters gestärkt, nicht allein, sondern in einer Gemeinschaft aufgehoben zu sein.

Vielleicht gerade darum, weil das Allani-Haus Leben und Sterben so eng und natürlich zusammenführt, wie es sonst fast nie passiert.

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