Breitsch Spezial

Unsere Allmend

Die Freifläche der Allmend gehört zu den umstrittensten und emotionalsten Arealen der Stadt Bern. Wer nutzt sie, wer liebt sie? Ortstermin auf dem Land in der Stadt.

Menschen auf der Allmend fotografiert am Mittwoch, 23. April 2025 in Bern. (hauptstadt.be / Simon Boschi)
Einmalig in der Stadt Bern: Die Allmend, grosser, grüner Freiraum, steht unter Druck. (Bild: Simon Boschi)

Der Westwind bläst resolut. Ab und zu schüttet es an diesem kühlen Mittwochnachmittag Ende April sogar. Die Allmend befindet sich zwar nur 10 Minuten vom Stadtzentrum entfernt. Trotzdem fühlt man sich auf der weiten Grünfläche dem Wetter ausgesetzt wie irgendwo tief auf dem Land. Seit den 1970er-Jahren zerschneidet die Autobahn die Allmend in zwei Teile. Ihren Lärm hört man aber kaum, wenn man sich hinter dem Wäldchen des Allmendhügels aufs Bänkli setzt.

Die Allmend ist ein einmaliger Ort in der Stadt: Die grosse Grünfläche gehört der Allgemeinheit. Alle dürfen sie nutzen, niemand hat Exklusivrechte. Wer sind die Menschen, die man auf der Allmend antrifft? Die «Hauptstadt» verbringt Ende April einen Mittwochnachmittag auf der Grossen Allmend und spricht sechs Menschen an, die zufällig auf der Allmend unterwegs sind. Sie erzählen, was ihnen die Allmend gibt und was sie mit ihr verbinden.

«Könnte wilder sein»

Rudolf Kiener sitzt entspannt auf einem Bänkli unter den mächtigen Ästen eines Baumes, leicht erhöht am Hang der Allmend.

Menschen auf der Allmend fotografiert am Mittwoch, 23. April 2025 in Bern. (hauptstadt.be / Simon Boschi)
«Die Allmend ist Ruhepol und grüne Oase»: Rudolf Kiener. (Bild: Simon Boschi)

«Ich wohne im Breitsch, und die Allmend ist für mich ein Ruhepol und eine grüne Oase. Seit Jahrzehnten. Ich bin zwar oft im Ausland, aber wenn ich in Bern bin, meist am Samstag oder Sonntag, komme ich hierher, spaziere, setze mich auf das Bänkli, lasse den Blick schweifen und schaue den Menschen zu.

Es ist ein Multikulti-Ort, an dem viel passiert. Die Pakistaner spielen oft Cricket, dieses Jahr habe ich sie aber noch nicht gesehen. Menschen aus Afrika oder Asien halten Versammlungen ab. Man blickt in die Weite und sieht, wie das Wetter kommt. Und natürlich hat man die Stadien des SC Bern und der Young Boys im Blick – mich ziehts eher zum Eishockey.

Grosse Städte wie London, Barcelona oder New York haben ihre legendären Parks – Bern hat die Allmend. Mein Eindruck ist schon, dass es auf der Allmend immer etwas enger wird. Es hat mehr Leute, mehr unterschiedliche Gruppen, gleichzeitig wird da und dort wieder etwas abgezwackt. Und ich finde, die Allmend ist schon sehr, sehr sauber gemäht. Für meinen Geschmack könnte sie ruhig ein bisschen wilder sein.»

«Die Allmend ist auch für Profis»

Gerade hat der bissige Westwind ein bisschen nachgelassen. Unweit vom Sitzplatz von  Rudolf Kiener bereitet Thomas Jaggy seinen Gleitschirm für den nächsten Flug vor.

Menschen auf der Allmend fotografiert am Mittwoch, 23. April 2025 in Bern. (hauptstadt.be / Simon Boschi)
«Auf der Allmend kannst du dich ohne Konsumationszwang austoben»: Thomas Jaggy. (Bild: Simon Boschi)

«Wenn es nicht zu heftig windet, sind auf der Allmend oft zehn oder zwanzig Schirme unterwegs. Es gibt in der Stadt Bern zwei Flugschulen, die hier ihre Einführungskurse machen. Aber um einem Missverständnis vorzubeugen: Die Allmend ist nicht nur für Anfänger ein gutes Trainingsgelände, sondern auch für Fortgeschrittene. Man kann an diesen Hängen zwar nicht gross fliegen. Aber das Gelände ist ideal, wenn man das Handling des Gleitschirms am Boden üben will. Den Schirm zu beherrschen ist eine wichtige Voraussetzung, um gut und sicher fliegen zu können. Deshalb kommen auch Profis auf die Allmend, wenn sie ein kurzes Zeitfenster zum Trainieren haben. Voraussetzung ist, dass der Wind von Westen kommt. Bei Bise kann man auf der Allmend nicht fliegen.

Was wir mit dem Gleitschirm brauchen, ist etwas Platz und keine Störung durch Zäune oder Gebäude, die den Wind turbulenter machen. Die Allmend ist der einzige Ort in der Stadt Bern mit diesen Qualitäten. Auch ausserhalb der Stadt sind solche freie Flächen sehr selten. Der Boden gehört immer jemandem, der vielleicht nicht will, dass er betreten wird. Die nächstgelegenen Orte für ein Gleitschirmtraining sind Konolfingen oder Krauchthal. Auf die Allmend kann ich mit dem Velo kommen.

Mein Eindruck ist, dass die Platzverhältnisse hier enger werden – jetzt gerade wieder, weil Trainingsfelder für die Fussball-EM der Frauen abgesperrt worden sind. Die Allmend ist ein Ort, wo du hinkommen kannst und dich ohne Konsumationszwang und ohne irgendwo Mitglied sein zu müssen, austoben kannst. Ich finde das mega wichtig. Ich sehe Leute, die bräteln, ich selber spiele oft mit meinem Sohn Frisbee, obschon ich nicht aus diesem Quartier bin, sondern aus der Länggasse. Ich fände es extrem bedauerlich, wenn dieser wichtige Freiraum weiter eingeengt oder sogar verschwinden würde.»

«Wir brauchen ein grosses Feld»

Unten im flachen Teil der Allmend gönnt sich Aaron Keller in seiner American-Football-Montur eine kurze Verschnaufpause.

Menschen auf der Allmend fotografiert am Mittwoch, 23. April 2025 in Bern. (hauptstadt.be / Simon Boschi)
«Die Allmend ist wichtig für uns»: Aaron Keller. (Bild: Simon Boschi)

«Wir sind die U-19-Mannschaft der Bern Grizzlies. Wir trainieren zweimal in der Woche auf der Allmend, im Winter auf dem Kunstrasen, im Sommer hier auf dem Rugbyfeld. Die Heimspiele tragen wir entweder auf der Allmend oder drüben im Leichtathletikstadion aus. Jetzt gerade haben wir die verschiedenen Positionengruppen trainiert.

Ich gehöre zur Line, sozusagen der vordersten Front im Angriff. Wir sind die Schweren und Starken, wenn man es so sagen will. Wir versuchen, den Weg für die Running Backs freizubekommen oder den Quarterback – den Spielgestalter – zu schützen. Die Allmend ist ein guter und wichtiger Ort für uns. Wir brauchen Platz, ein grosses Feld. Im Moment sind wir mit den Trainern etwa 30 Leute, die hier trainieren. In den Matches spielen wir 11 gegen 11, aber wir wechseln ständig aus. American Football ist ein Sport für alle körperlichen Voraussetzungen. Es gibt die schweren und kräftigen Athleten, die dünnen und schnellen, aber auch die mittendrin. Wir können alle brauchen und haben für alle eine Aufgabe.»

Menschen auf der Allmend fotografiert am Mittwoch, 23. April 2025 in Bern. (hauptstadt.be / Simon Boschi)
Darum ist die Allmend grün

Auf der Allmend konzentrieren sich Geschichte und Konflikte der Stadt Bern auf aussergewöhnliche Art. Die Allmend gehörte im Alten Bern zu den kollektiv bewirtschafteten Äckern, als die Stadt noch nicht über die Aarehalbinsel hinausgewachsen war. 1852 teilten die Einwohnergemeinde und die Burgergemeinde ihren Besitz auf. Die Burger erhielten das vermeintlich wenig lukrative Agrarland ausserhalb der Aareschleife. Doch die Stadt wuchs, ehemalige Stadtfelder, etwa der Spitalacker oder der Breitenrain, wurden gefragtes Bauland. Und machten die Burgergemeinde reich.

Die Allmend jedoch blieb grün. Die Stadt hatte sie 1875 den Burgern abgekauft, weil sie militärisches Übungsgelände brauchte. Das ist längst Geschichte. 1933 wurde die Allmend im ersten Grünraumplan mit einem Überbauungsverbot belegt. Heute ist sie ein seltenes kollektives Juwel – eine grosse, frei zugängliche Freizeitfläche.

Aber Kämpfe toben unentwegt um sie – zwischen öffentlichen und privaten Interessen. In den letzten Jahrzehnten hat der öffentliche Raum auf der Allmend Federn gelassen – an  Sport- (Eis- und Curlinghalle, Kunstrasenfelder) oder Messegebäude (Infrastruktur von Bernexpo). Bei Grossanlässen werden Teile der Allmend als Parkplätze genutzt. Würde der Autobahn-Zubringer Wankdorf («Spaghettiteller») ausgebaut, müsste ein Teil des Wäldchens auf dem Allmendhügel weichen. Der Druck auf die Allmend ist auch deshalb gross, weil der öffentliche Grünraum zum Perimeter des Entwicklungsschwerpunkts Wankdorf gehört. Das ist eine der wirtschaftlich dynamischsten Zonen des Kantons Bern.

Auffallend ist, dass die Verteidiger*innen der Allmend auch mit dem seit 1992 rot-grünen Gemeinderat häufig in Konflikt stehen. Aktuell läuft eine besonders zähe Auseinandersetzung. Die Young Boys möchten seit Jahren Trainingsfelder auf der Allmend. Nun wäre die Grossbank UBS bereit, ein unterirdisches Parkhaus für über 1000 Autos bei der neuen Festhalle zu finanzieren. Bestehende oberirdische Parkplätze auf der Allmend könnten so ersetzt werden, womit Platz für die YB-Felder entstünde.

Während Dialog Nordquartier, die offizielle Quartiervertretung, diesen Deal ablehnt, vertritt der gewerbenahere Leist Bern Nord eine zustimmende Position. Die Stadtregierung versucht mit einer aufwändigen Testplanung, einer Lösung näher zu kommen. (jsz)

«Es ist ein Rasen für alle»

Laura Schreurs hat einen strengen Nachmittag auf der Allmend. Die frühere YB-Fussballerin, die wegen einer Verletzung ihre Karriere beenden musste, leitet zwei Trainings für Nachwuchsfussballer*innen hintereinander.

Menschen auf der Allmend fotografiert am Mittwoch, 23. April 2025 in Bern. (hauptstadt.be / Simon Boschi)
«Die Allmend ist ein aussergewöhnlicher Ort»: Laura Schreurs. (Bild: Simon Boschi)

«Ich bin hier als Trainerin des Selectionteams des Fussballverbands Bern-Mittelland. Wir machen ein regionales Fördertraining für die besten Mädchen und Jungs der Alterskategorien U-10 und U-11, also der Jahrgänge 2014 und 2015. Normalerweise finden die Trainings auf der Bodenweid statt, jetzt weichen wir für einige Mittwochstrainings auf die Allmend aus. Wir machen zwei Trainings à eineinhalb Stunden, jeweils mit einem besonderen Fokus. Heute haben wir vor allem 1:1-Situationen offensiv geübt. Also wie ein*e Stürmer*in allein mit dem Ball ein*e Verteidiger*in umspielt und zu einer Torchance kommt. Um die Mädchen zu fördern, lassen wir sie so lange wie möglich mit den Jungs spielen.

Als ich vor 15 Jahren selbst in diesem Alter war, war ich als Mädchen noch eine Ausnahme. Heute höre ich aus den Klubs, dass es immer mehr Girls-Teams gibt. Langsam spüren wir auch in den Fördertrainings, dass mehr Mädchen Fussball spielen. Gleich leite ich eine Trainingseinheit nur mit Mädchen, das ist für mich ein speziell schöner Moment. Ich finde, die Allmend ist ein wichtiger und aussergewöhnlicher Ort. Es ist ein Rasenplatz, den alle betreten und nutzen dürfen. Das ist recht selten, ich sehe in der Stadt viele Schilder, auf denen steht: Rasen betreten verboten. 

Ich habe mit der Allmend auch eine persönliche Geschichte. Während Corona, als es nicht möglich war, Mannschaftssportarten zu betreiben, bin ich mit zwei Kolleginnen regelmässig auf die Allmend gekommen, um individuell zu trainieren. Es war toll für mich, dass es diese Möglichkeit gab. Das grosse Feld hier ist auch sehr cool, obschon ich auch ehrlich sein will. Der Rasen ist nicht ideal, um gut Fussball zu spielen. Kunstrasen ist da besser.»

«Der Wind ist eine Herausforderung»

Jael Meyer hat klamme Finger, die Ultimate-Frisbee-Spielerin hat über eine Stunde Wind, Regen und Kälte getrotzt.

Menschen auf der Allmend fotografiert am Mittwoch, 23. April 2025 in Bern. (hauptstadt.be / Simon Boschi)
«Die Allmend ist für alle gut erreichbar»: Jael Meyer. (Bild: Simon Boschi)

«Wir trainieren hier Ultimate Frisbee mit dem U-14-Team der Flying Angels. Ich bin Trainerin bei diesem Nachwuchsteam, spiele aber selber auch aktiv beim Frauenteam. Vereinfacht gesagt geht es bei Ultimate Frisbee darum, das Frisbee in der Endzone des gegnerischen Teams am Feldende fangen zu können und so Punkte zu machen. Bei den Erwachsenen ist das Spielfeld 100 Meter lang und etwas schmaler als ein Fussballfeld.

Ultimate Frisbee ist ein sehr fairer Sport. Wir spielen ohne Schiedsrichter, und Körperkontakt ist nicht zugelassen. Am Ende eines Spiels zählen nicht nur die Punkte, sondern auch, wie fair man gespielt hat. Um gut zu spielen, ist eine Kombination aus Ausdauer, Wurftechnik und Übersicht wichtig – schnell zu rennen bringt nichts, wenn man taktisch an den falschen Ort läuft.

Wir trainieren auch beim Marzili und in der Schönau, aber die Allmend ist für uns angesichts der Platzknappheit in Bern ein wichtiger Ort. Die Allmend ist für alle mit dem ÖV gut erreichbar. Klar, oft weht hier wie heute starker Wind, das ist in unserem Sport eine Herausforderung. Aber von einem Training unter schwierigen Bedingungen kann man viel profitieren.»

«Wir müssen exakt arbeiten»

Für Robin Beck ist die Allmend weder Erholungs- noch Trainingsort. Er arbeitet hier – unter Umständen ziemlich schweisstreibend.

Menschen auf der Allmend fotografiert am Mittwoch, 23. April 2025 in Bern. (hauptstadt.be / Simon Boschi)
«Wenn auf der Allmend die Sonne brennt, geht es an die Substanz»: Robin Beck. (Bild: Simon Boschi)

«Ich arbeite bei Immobilien Stadt Bern. Wir sind auf der Allmend unter anderem zuständig für das Aufzeichnen der fixen Sportfelder mit Farbe. Im Moment zeichnen wir drei Fussballfelder, drei Cricketfelder, ein Rugbyfeld sowie das Frisbeefeld. Normalerweise sind es sogar ein Fussballfeld sowie zwei Kleinfelder mehr. Aber die fallen im Moment weg, weil Trainingsplätze für die Fussball-EM der Frauen abgesperrt sind.

Wir müssen die Felder sicher zweimal pro Woche nachzeichnen. Im Hochsommer, wenn das Gras nicht so schnell wächst und seltener gemäht werden muss, kann es auch etwas weniger häufig sein. Wenn die Farbe ganz weg ist und man die Felder neu zeichnen muss, ist das ein anspruchsvoller Job. Allein für das Rugbyfeld brauchen wir drei Stunden, pro Fussballfeld rechnen wir mit zwei Stunden.

Wenn die Sonne brennt, geht das an die Substanz. Sinn macht der Aufwand nur, wenn wir exakt arbeiten. Deshalb sind Plifix-Markierungen in den Boden eingelassen. Zwischen ihnen spannen wir Schnüre, um mit der Maschine eine gerade Linie ziehen zu können. Natürlich spielt auch das Wetter eine Rolle. Es hilft, wenn es nach dem Zeichnen nicht gerade regnet. Dann kann die Farbe eindringen, und sie bleibt länger sichtbar. Wir verwenden Markierfarbe aus umweltfreundlichen Komponenten: Wasser, Titandioxid, Binde- und Konservierungsmittel.»

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«Hauptstadt» in der Kirche

Vom 22. bis zum 25. April hatte die «Hauptstadt» ihre Redaktion in die Markuskirche im Breitenrainquartier verlegt. Die Kirche wird im Moment experimentell zwischengenutzt, bis das Umbauprojekt startet. Wir haben jeden Morgen um 9 Uhr im Kirchenschiff unsere tägliche Redaktionssitzung abgehalten und durch den Tag dort gearbeitet und diskutiert.

Es war eine intensive Woche – für uns und für das Berner Nordquartier: Am Freitag, 25. April, wurde die neue Festhalle eröffnet. Wir haben die Aussenwoche in der Markuskirche genutzt, um tiefer in Themen einzutauchen, die den Breitsch beschäftigen. Und um das Gastroangebot im Breitsch auszutesten. Unsere Beiträge zum Breitsch publizieren wir in den nächsten Tagen fortlaufend. Du findest sie in diesem Dossier.

Was uns besonders freute, waren die Besuche und engagierten Gespräche bei Grill&Bier am Donnerstagabend, das wir zusammen mit Pfarrer Tobias Rentsch veranstaltet haben. (jsz)

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Diskussion

Unsere Etikette
Barbara Ringgenberg
06. Mai 2025 um 05:36

Danke für den spannenden Artikel mit den sympa Bildern... Ich habe beim Vorbeifahren jeweils den Eindruck, die Grünfläche der Allmend werde immer kleiner... Ich wünsche mir eine Bewahrung oder sogar Vergrößerung des Rasens und etwas mehr Stadtparkcharakter wäre schön.