Quo vadis, Herr Cassis? – Askforce-Selection #32
Warum will jemand seinen oder ihren Namen nicht in der Zeitung lesen? Die unbestechliche Askforce antwortet mit der erstmals berechneten Zauberformel des Bundesrats Ignazio Cassis.
Zeitungen zitieren zuweilen Zeitgenoss*innen, ohne deren Namen zu nennen. Die Blätter weichen stattdessen auf Formulierungen wie diese aus: «... möchte seinen Namen nicht in dieser Zeitung lesen.» Diese Unsitte ist unserer werten Fragestellerin Frl. Zoccoli aufgefallen. Sie fragt aufmüpfig: «Warum muss uns ein Name vorenthalten werden, nur weil eine einzige Person ihn nicht in der Zeitung lesen will?»
Die Askforce nennt sich selber «Berns bewährte Fachinstanz für alles, die Antworten auf Fragen liefert, die viele nicht zu stellen wagen». Mit anderen Worten: Keine Frage ist zu abwegig. Das ist eine Aufforderung an alle Hauptstädter*innen: Deckt die Askforce mit euren lebenswichtigen Fragen ein – an diese Adresse: [email protected].
Über 20 Jahre lang erschien die Askforce wöchentlich im Bund und erarbeitete sich den Ruf, die schrägste Kolumne der Schweiz zu sein. Als Bund und BZ im Herbst 2021 fusionierten, verschwand die Askforce aus dem Traditionsblatt, verewigte sich in einem Buch und tauchte als Startup Anfang 2022 wieder auf.
Wir wissen genau, was Frl. Zoccoli denkt. Die Person, die zwar einer Zeitung Auskunft gibt, dann aber ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will, könnte am Erscheinungstag die Zeitung einfach ungelesen ins Altpapier legen. Oder eine andere Zeitung lesen. Oder wenn die Person etwas Zotiges über einen Politiker ins Journalist*innen-Mikrofon diktiert hat, aber ihren eigenen Namen nicht in der Zeitung lesen will, könnte sie ja am Erscheinungstag nur den Sportteil lesen. So denkt Frl. Zoccoli.
Wäre die Welt eine einfache, wäre die Sache damit bereits geklärt. Aber Frl. Zoccoli denkt eben zu kurz. Steht der eigene Name in der Zeitung – zum Beispiel Hans Müller – , dann lesen ihn ja auch Müllers Nachbar*in, seine Jasskolleg*innen, seine Ex-Geliebten und seine Steuerberater*innen. Steht der eigene Name in der Zeitung, entfaltet sich also eine beachtliche Aussenwirkung.
Nirgendwo weiss man das besser als im Eidgenössischen Departement des Äusserns (EDA). Es ist für Müllers Problem zuständig. Das «den eigenen Namen nicht in der Zeitung lesen wollen» ist im EDA sogar absolute Chefsache. Das hat uns Chef Cassis persönlich bestätigt.
Auf unseren Wunsch hin hat sich Chef Cassis zudem am 3. September 2023 im gut erschlossenen Tessiner Dorf Sant’Antonino mit Worten des Trostes an all die Müllers und Zoccolis gewandt: «Ich lese keine Zeitungen mehr. Es nützt mir nichts. Sie geben mir nichts, absolut gar nichts. Und da ich sie nicht mehr lese, bin ich dreimal schneller.» Im Originalwortlaut: «Da quando non lo faccio più, vado tre volte più forte.»
Es sind magistrale Worte, die die Welt verändern. All das aufklärerische Gesülze von «lesen bildet» ist entkräftet. Den eigenen Namen nicht in der Zeitung lesen zu wollen, ist dabei bloss ein erstes, zartes Erwachen. Erst Zeitungen generell nicht mehr zu lesen, zündet den Turbo – und macht dreimal schneller. Überhaupt rein gar nichts mehr zu lesen, ist dann bereits die Erleuchtungsstufe – und macht fünfmal schneller. Das Lesen gar nicht erst zu lernen, macht sogar siebenmal schneller.
Wäre also Mujinga Kambundji absolut illiterat, könnte sie die 100 Meter dank der Cassis’schen Zauberformel in 1,56 Sekunden zurücklegen. Ärgerlich wäre dabei bloss, dass es niemand erführe, obschon es in der Zeitung stünde.
Askforce-Selection #32, 30. Oktober 2023