Floskel der Scheinheiligen – Askforce-Selection #25

Die Ausgewogenheitsfloskel Einerseits-anderseits ist eine Plage. Weil man sich damit vor klaren Positionsbezügen drücken kann, diagnostiziert die Askforce.

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Der fragende Denkzustand der Askforce, wie ihn die Illustratorin Pia Zibulski sieht. (Bild: Pia Zibulski)

Einerseits möchten wir Schweizer*innen Munition an die Ukraine liefern, denn sie könnte dem Land helfen, den Krieg zu überleben. Anderseits ist die Lieferung von Schweizer Munition sehr gefährlich, denn sie könnte jemanden ernsthaft verletzen, was niemand wirklich wollen will. – Bis hier ist Abwägung einerseits ansatzweise argumentativ und anderseits schrecklich scheinheilig: Waffen und Munition werden ja nicht geschaffen und verkauft, um daraus subito Pflugscharen zu schmieden.

Letzte Chance: Frag die Askforce!

Seit September 2022 gibt die Askforce ein Gastspiel bei der «Hauptstadt» und kuratiert jeden Montag eine spezielle Selection. Mehrere Hauptstädter*innen haben diese Gelegenheit beim Schopf gepackt und der Askforce ihre Frage gestellt.

Wenn du diese Chance auch nutzen willst, dann musst du jetzt handeln: Das Gastspiel dauert nur noch bis zum astronomischen Frühlingsbeginn, der Tag-und Nachtgleiche am 21. März 2023. Der Askforce-Briefkasten für Fragen aus der «Hauptstadt»-Community ist hier: [email protected].! 

Über 20 Jahre lang erschien die Askforce wöchentlich im Bund und erarbeitete sich den soliden Ruf, die schrägste Kolumne der Schweiz zu sein. Im Angesicht der Fusion von Bund und BZ im Herbst 2021 verschwand die Askforce aus dem Traditionsblatt, verewigte sich in einem Buch und tauchte als Startup Anfang 2022 wieder auf.

Nicht ausgeschlossen, dass die Askforce nach der Tag- und Nachtgleiche am 23. September 2023 ihr Gastspiel bei der «Hauptstadt» wieder aufnimmt, um den Haupstädter*innen das Winterhalbjahr aufzuhellen. (jsz)

Vielleicht ist es die Scheinheiligkeit, über die sich Martin Z. aus Niederscherli so brutal aufregt. Zumindest aber geht ihm der inflationäre Gebrauch von «einerseits» und «anderseits» mächtig auf den Keks*. Seine Meinung: Die billige Einerseits-anderseits-Ausgewogenheit verbreite sich nur deshalb so epidemisch, weil man so nicht klar zu einer eigenen, eindeutigen Meinung stehen müsse – und dadurch weniger angreifbar bleibe. Martin Z. aber greift an, tritt der Einerseits-anderseits-Schwemme entgegen und stellt die Schuldfrage: «Wer hat damit angefangen?»

Diese klare Frage beantworten wir gerne. Aber wie so oft sind die Anfänge eher harmloser Natur. Am Anfang stehen die Brüder Einar und Anders Seitz. Unterschiedlicher hätten die in einer schwedisch-deutschen Familie Grossgezogenen nicht sein können. Einerseits pflegte sich Einar Seitz stets in den Vordergrund zu drängen («Einar wird gewinnen!»), anderseits bezog Anders Seitz mit durchaus vergleichbarer Impertinenz zu allem und jedem die Gegenposition («Anders machts anders!»).

Man kann sich leicht vorstellen, wie rasch da Einar Seitz und Anders Seitz zum lebenden Synonym fürs ewige und fruchtlose Hin und Her wurden. Und von da weg sickerten ihre Namen erstaunlich schnell in den deutschen Sprachgebrauch ein, mutiert zur  mehrgliedrigen Konjunktion «einerseits – anderseits». Eine Konjunktion übrigens, die noch heute das Trennende betont, denn zwischen «einerseits» und «anderseits» steht immer ein Komma. Oder ein Punkt.

Schliesslich schwappte «einerseits – anderseits» auch in die Schweizer Alltagssprache. Einerseits erfreut sich die Wendung seither grosser Beliebtheit. Anderseits forderten national gesinnte Sprachpfleger lange, auf Distanz zu Einar und Anders zu gehen, und empfahlen ihrerseits, stattdessen auf Hans und Heiri zu setzen. Aber «hansseits» und «heiriseits» vermochte als Alternative nie zu überzeugen. Und auch das daraus hervorgegangene «Hans was Heiri» ist recht bedeutungslos geblieben

Martin Z. wird uns beipflichten: Unter dem Strich bleibt es egal, ob wir uns mit  «einerseits – anderseits» oder mit anderen Floskeln um klare Aussagen drücken. Es ist Hans was Heiri oder – für unsere Leserinnen – Hanna was Heidi.

*) Für unsere alemannischen Leser*innen: Keks = Güetzi, Güetzli, Guetzli

Askforce-Selection #25, 13. März 2023

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Diskussion

Unsere Etikette
Regine Strub
14. März 2023 um 06:42

Cool

Priska Friedli
14. März 2023 um 05:42

mag ich!