«Es ist gut, wenn man den anderen zuhört»
Der neuste Film von Piet Baumgartner kommt am 1. Mai in die Kinos. «Bagger Drama» erzählt die Geschichte einer Familie, in der zu wenig kommuniziert wird. Der Berner Regisseur erzählt, was ihn inspiriert hat.
Der Film «Bagger Drama» handelt von einer Familie, deren Tochter respektive Schwester bei einem Kanu-Unfall ums Leben gekommen ist. Vater, Mutter und Sohn verarbeiten diesen Verlust alleine und auf unterschiedliche Art und Weise. Kommuniziert wird selten in dieser Familie.
Wenn gesprochen wird, dann am ehesten über den eigenen Betrieb. Dort werden Bagger vermietet, verkauft oder repariert. Bagger sind ein wichtiges Element im Film und werden ballettähnlich inszeniert. Obwohl die Geschichte traurig ist, gibt es immer wieder humorvolle Stellen. Zum Beispiel, wenn der Vater dem Sohn mit Stolz die neue automatische Einparkhilfe vorführt.
Die Geschichte ist in Bern verortet und hat trotzdem internationale Anerkennung erhalten: Am San Sebastián Film Festival mit dem New Directors Award und mit zwei Max-Ophüls-Preisen. Nun kommt der Film des Berner Regisseurs Piet Baumgartner am 1. Mai 2025 ins Kino.
Baumgartner hat das Drehbuch geschrieben und Regie geführt. Die Geschichte ist fiktional, basiert aber auf autobiographischen Erlebnissen des Künstlers.
Ihr Film ist «autofiktional». Was heisst das?
Piet Baumgartner: Der Film ist stark inspiriert vom kleinen Ort im Berner Seeland, wo ich aufgewachsen bin. Es gibt viele Anhaltspunkte zu meiner eigenen Biografie. Auch meine Schwester ist vor 15 Jahren aus heiterem Himmel gestorben. Das war tragisch für uns alle und hat die Familie auf einen Nullpunkt gesetzt.
Das klingt traumatisch.
Das war es. Zudem macht man dort, wo ich aufgewachsen bin, viel mit sich selbst aus. Das hat sich bei uns gerade in diesem Krisenfall gezeigt. Es haben uns die Worte gefehlt. Und wenige Worte tragen manchmal zu Missverständnissen bei. Und manchmal wird daraus Wut oder Hass. Ich habe gelernt: Es ist gut, wenn man den anderen zuhört.
Dann erzählen Sie eine wahre Geschichte.
Nicht nur. Meine Eltern hatten zusammen einen Familienbetrieb – nicht mit Baggern, sondern eine kleine Metallbau-Firma. Wir haben oft am Mittagstisch darüber gesprochen. Und für meinen Vater war es wirklich schwierig, als ich sagte, ich will das nicht übernehmen. Aber es gibt im Film auch dramaturgische Punkte, die es bei uns so nicht gab. Auch die Figuren selbst sind fiktionalisiert. Das sind nicht mehr mein Vater und meine Mutter. Ich kann auch nicht so gut Bagger fahren wie Schauspieler Vincent Furrer (er spielt Daniel, den Sohn der Familie).
Und welche Gemeinsamkeiten teilen Sie mit der Figur Daniel?
Ich bin selber auch schwul. Dort, wo ich aufgewachsen bin, gibt es keine Vorbilder, die das vorleben. Man kannte das damals nicht auf dem Dorf: Schwulsein. Das hatte zur Konsequenz, dass ich mir meinen eigenen Weg suchen musste. Wenn du auf dem Land als queere Person aufwächst, ist das erstmal mit viel Scham behaftet. Ich glaube, am Anfang will jedes Kind «normal» sein und immer so, wie die anderen. Das hat seine Zeit gebraucht, bis ich gemerkt habe, dass es ganz gut so ist, wie es ist.
War das Schreiben des Drehbuchs für Sie also auch eine Verarbeitung Ihrer Geschichte?
Ja, es war schon zu einem gewissen Teil Therapie für mich. Ich habe die Idee über zehn Jahre mit mir herumgetragen. Ich habe geschrieben und wieder weggelegt. Aus unterschiedlichen Gründen, zum Beispiel finanziell, oder weil Theaterprojekte dazwischen gekommen sind. Zu Beginn hatte ich das Gefühl, der Film müsse sofort raus. Im Nachhinein finde ich es ganz gut, dass es so lange gedauert hat.
Warum?
Es geht mir darum, die verschiedenen Seiten zu zeigen. Mich interessieren mehr diejenigen, die noch leben, als die, die gestorben sind. Mich interessiert, wie sie miteinander umgehen. Ihre verschiedenen Arten zu trauern. Da versteht man manchmal die andere Person nicht, weil man selbst anders trauert. Wenn jemand stehen bleiben und jemand vergessen will, sind es zwei sehr gegensätzliche Formen von Trauer.
Konnten Sie sich aufgrund der langen Entstehungsdauer des Films besser in die Figuren hineinversetzen? Ich habe den Eindruck, niemand ist nur positiv oder negativ dargestellt.
Es gab bei mir schon einen Moment, als ich die Eltern plötzlich als «normale» Menschen gesehen habe, die auch Fehler haben. Und es war mir wichtig, dass die Figuren dreidimensional sind. Ich wollte die Geschichte über mehrere Jahre erzählen, damit man die Änderungen mitbekommt. Wie sich die Trauer verändert. Es gibt ja dann auch Tage, an denen man nicht mehr daran denkt. Dann gibt es wieder den Todestag, an dem man sich trifft oder daran denkt. Man wird natürlich mit der Zeit viel sanfter. Ich verstehe durch diesen Film auch mehr, warum meine Eltern so mit ihrer Trauer umgehen.
Wie haben Ihre Eltern eigentlich auf den Film reagiert?
Es war mir wichtig, dass wir den Film zusammen schauen. Wir sassen alleine in diesem Kino, das ich extra gemietet hatte. Danach haben wir diskutiert. Diese Offenheit rechne ich ihnen sehr hoch an. Ich habe das Gefühl, es ist ein schöner Abschluss eines Kapitels unserer Familiengeschichte geworden.
Warum sind Bagger im Film so präsent?
Ich habe mir gedacht, wenn es in dieser Familie um das Nicht-Kommunizieren untereinander geht, brauche ich unbedingt ein Element, das dagegen hält. Etwas Visuelles, das auch fein und grazil und vielleicht auch poetisch ist. Ich habe 2015 ein Video gemacht mit dem Musiker Rio Wolta («Through my street»). Dort haben zwei Bagger in einer Kiesgrube getanzt.
Wie war das?
Wir haben gemerkt, wie schön und poetisch diese riesigen Monstermaschinen sind. Wenn man die Bagger von ihren Arbeitssituationen löst, sind sie sehr schnell fragil und zerbrechlich. Manchmal habe ich das Gefühl, Bagger «schnurren» fast mehr miteinander als Menschen.
Wie sind die Choreografien für den Film entstanden?
Ich habe mir kleine Spielzeugbaggerli gekauft und bei der involvierten Baggerfirma nachgestellt, wie ich mir die Szenen vorstelle. Zuerst fragten sie sich wohl, was wir da machen. Das schien ja gar keinen Sinn oder Zweck zu haben. Und irgendwann haben sie mich aber verstanden und waren ganz offen. Sie haben mir ihre Tricks gezeigt und gesagt, was sonst noch alles möglich wäre. Das war eine extrem schöne Zusammenarbeit.
Der Film könnte also Bauarbeitern gefallen?
Es ist ein bisschen Familiengeschichte, ein bisschen Technik, ein bisschen Queerness. Aber was ich bei der Vorpremiere gemerkt habe: Plötzlich sitzt eine queere Person neben einem Baggerfahrer und die fangen an, zusammen zu reden. Vielleicht kann der Film verschiedene Bubbles zusammenbringen. Und das freut mich. Ich glaube, es ist ganz wichtig, dass wir nicht aufhören, miteinander zu reden.
Der 40-Jährige ist im Berner Seeland aufgewachsen. «Bagger Drama» ist der erste Langspielfilm des Künstlers. Bekannt wurde er unter anderem mit dem SRF-Dokumentarfilm «The Driven Ones» über Studierende des Masterprogramms «Strategy and international management» der Hochschule St. Gallen (HSG). Baumgartner schreibt auch fürs Theater. Er ist gerade aus einem halbjährigen Stipendienaufenthalt in London nach Zürich zurückgekehrt, in dem er an neuen Theaterstücken gearbeitet hat. «Das ist der grosse Luxus, den man sonst nicht hat in dieser Branche, die viel zu schlecht bezahlt ist. Ich habe die beiden grossen Filmprojekte abgeschlossen, an denen ich jahrelang gearbeitet habe. Nun war ein guter Zeitpunkt, um Kraft zu tanken und Inputs zu sammeln.»