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(Bild: Jörg Kühni)

Ein skurriler Blick von oben

Die Theatergruppe «VOR ORT» führt im Humanushaus Beitenwil bei Rubigen das Stück «Baron auf den Bäumen» gemeinsam mit Menschen mit Behinderung auf. Eine skurrile Inszenierung, die manchmal komisch und manchmal sehr schön ist.

Es gehört zur Arbeitsweise der Berner Theatergruppe «VOR ORT», ein Stück passend zu einem Ort auszuwählen und dessen Geschichte in die Inszenierung einzubauen. Für das 50-Jahre Jubiläum des Humanushaus inszeniert die Gruppe nun rund um die Anlage das Stück «Baron auf den Bäumen» von Italo Calvino. Es spielt vor 300 Jahren. Ebenfalls vor 300 Jahren wurde das «Schlössli Beitenwil» in Rubigen erbaut. Es ist mittlerweile das Haupthaus der sozialtherapeutischen Wohn- und Arbeitsgemeinschaft für Menschen mit Unterstützungsbedarf und spielt eine beachtliche Rolle im Stück. Fast alle Rollen werden von den Menschen, die im Humanushaus wohnen oder dort unterstützt werden, verkörpert. 

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Schluss mit der Dekadenz: Die Torte stürzt und Cosimo lebt bald im Baum. (Bild: Matthias Spalinger/zvg)

Das Stück handelt vom jungen Adligen Cosimo (Dominique Jann), der sich aus lauter Überdruss am Lebensstil der Familie entscheidet, auf den Bäumen zu leben. Bis zu seinem Tod kommt er nicht mehr herunter. Spielort sind neben dem «Schlössli» der Friedhof, der seit 2002 zum Humanushaus gehört, die Felder und der Rosengarten rund ums Humanushaus.

Nahe dem Publikum

Auf dem Weg zum Aufführungsort begegnen wir einem Holzfäller, der mit dem Beil theatralisch einen gefällten Baum bearbeitet. Eine kleine Einstimmung auf die Zeit vor 300 Jahren, die dazu beiträgt, die Inszenierung des «Barons auf den Bäumen» einnehmend zu machen. Auf dem Rundgang, den das Publikum während der Aufführung zurücklegt, treten immer wieder originelle Randfiguren auf. Ein Dieb huscht getarnt als Tanne vorbei. Ein Maler malt in abstraktem Stil eine adlige Dame. 

Ein bisschen erinnern die kurzen Sequenzen an Dorftheater. Aber sie machen das Stück zugänglich und stellen eine Nähe zu den Schauspieler*innen her. Und sie bringen uns zum Lachen.

Auf dem  Friedhof bewegen sich die Figuren frei durch die Zuschauer*innen, sprechen mal mit dem Publikum oder sinnieren zwischen den Bäumen, Sträuchern und Gräbern. Vorsichtig werden wir Zuschauer*innen in dieses Stück und seine Welt hereingeholt.

Einmal Perspektive wechseln 

Noch im Friedhof begegnen wir dem Protagonisten. Cosimo ist eine Mischung aus Held und Anti-Held. Der Schauspieler Dominique Jann stellt ihn gleichzeitig verletzlich und arrogant dar. Als feinfühligen Adligen, der auf seine Privilegien verzichtet und zugleich als verwöhnten jungen Mann, der von den Bäumen aus auf alle herab schaut.

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Ab und zu gibt es im Baum Besuch. (Bild: Matthias Spalinger/zvg)

Vom Leben auf den Bäumen erzählt das Stück aber noch mehr. Cosimo entdeckt Dinge, die er zuvor nicht wahrgenommen hat und vieles erscheint durch die Distanz plötzlich skurril. «Baron auf den Bäumen» schwankt zwischen Komik und Ästhetik.

Das sieht man auch in den Bildern, die die Inszenierung entwirft. Gartenfeen tanzen mit farbigem Kopfschmuck und Blättern an den Händen durch den Rosengarten. Sie rufen Cosimo, der auf einem samtenen Stuhl in der Baumkrone hockt, mit seltsam hohen Stimmen. Ein grosser weisser Luftballon steigt wie ein Mond neben dem Haus auf, begleitet von Fensterläden, die im Takt der melancholischen Musik tanzen, und einer Sängerin, die aus dem Garten ins Publikum singt.

Die märchenhafte Inszenierung passt zum Autor Calvino. Er schrieb neben berühmten Theaterstücken auch italienische Volksmärchen und schuf damit ein Grundlagenwerk ähnlich den Grimm’schen Märchen im deutschsprachigen Raum.

Zarte Ernsthaftigkeit

Dank der Komik und den phantastischen Elementen können im Stück auch ernsthafte Themen verhandelt werden, ohne dass die Inszenierung an Leichtigkeit verlieren würde. Die Vorstellung brennender und gerodeter Bäume versetzt Cosimo in einen Fiebertraum. Und als sich Cosimo in seine Nachbarin Viola verliebt, positionieren sich die Spieler*innen der Reihe nach vor dem Mikrofon und erzählen sehr authentisch von ihren eigenen Vorstellungen von Liebe.

Am Ende der Aufführung meint eine Person im Publikum, sie müsse aus dieser Welt erst wieder auftauchen. Dabei lohnt es sich, noch ein bisschen darin zu verweilen.

Noch bis am 16. September wird das Stück «Baron auf en Bäumen» in Beitenwil gespielt. Nächste Vorstellungen, jeweils um 19:00: Fr. 01.09/ Sa. 02.09/ Do. 14.09/ Fr. 15.09/ Sa. 16.09

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