Warten auf das eigene Konto
Personen mit einem Beistand haben oft ein Durcheinander mit ihren Finanzen, weil die Stadt Bern eine rechtliche Vorgabe seit Jahren nicht umsetzt. Das kritisiert Ombudsfrau Mirjam Graf.
Ein Beistand verwaltet das Geld von Personen, die dazu selbst nicht in der Lage sind. In der Stadt Bern ist das Amt für Erwachsenen- und Kindesschutz dafür zuständig. Bei erwachsenen Klient*innen kümmern sich dort rund 30 Beistandspersonen um die Finanzen von rund 1400 Personen.
Pro Vollzeitstelle ist eine Beistandsperson für 85 Dossiers zuständig. Das gibt die Stadt auf Anfrage für einen Stichtag Ende 2024 an. Diese Zahl ist sehr hoch. Der Kanton Bern empfiehlt maximal 60 Dossiers pro Vollzeitstelle.
Zusätzlich haben in den vergangenen zwei Jahren Schwierigkeiten rund um die Einführung des Fallführungssystems Citysoftnet unter anderem im Amt für Erwachsenenschutz zu gravierenden Problemen wie Versäumnissen gegenüber Klient*innen, Überlastung von Mitarbeitenden und Kündigungen geführt.
Kurz: Die Bedingungen, unter denen Beistandschaften in der Stadt Bern geführt werden, sind grundsätzlich nicht einfach.
Finanz-Wirrwarr wegen Sammelkonto
Hinzu kommt eine weitere Gegebenheit, die in der Behörde immer wieder zu Fehlern führt: Das Geld von Verbeiständeten wird über Sammelkonten verwaltet. Die Behörden führen Vermögenswerte von verschiedenen Klient*innen also in einem allgemeinen Konto zusammen, um deren Finanzen abzuwickeln.
Das produziert offenbar häufig ein Durcheinander.
So geht es aus dem Tätigkeitsbericht der städtischen Ombudsstelle für das Jahr 2024 hervor. Bei der Stelle kann sich melden, wer ein Problem mit der Stadtverwaltung hat. Insgesamt behandelte die Ombudsstelle im vergangenen Jahr 319 neue Fälle. Rund jede fünfte Beanstandung kam aus der Direktion für Sicherheit, Umwelt und Energie, zu der das Amt für Erwachsenen- und Kindesschutz gehört.
Die Fälle, die bei der Ombudsstelle landeten, zeigen: Immer wieder fehlt verbeiständeten Personen der Überblick über ihre finanzielle Situation. In manchen Fällen wurden auch Budgets einzelner Klient*innen überschritten, sodass diesen danach plötzlich Ausgaben gekürzt werden mussten.
Mirjam Graf, Leiterin der Ombudsstelle, erklärt im Gespräch mit der «Hauptstadt»: «Teilweise wurden Budgets unbemerkt überzogen, sodass Klient*innen danach das Sackgeld gekürzt wurde oder das GA nicht mehr finanziert werden konnte.»
Über den aktuellen Vermögensstand ihrer Klient*innen könnten Beistandspersonen häufig nicht transparent Auskunft geben, so Graf. «Das ist sehr verunsichernd für die Betroffenen.» Sie befänden sich meist ohnehin in schwierigen Situationen.
Stadt setzt Bundesrecht seit über zehn Jahren nicht um
Dieses Problem ist alles andere als neu. Sammelkonten, wie sie die Stadt Bern führt, sollte es eigentlich seit mehr als zehn Jahren nicht mehr geben.
2013 trat eine nationale Verordnung in Kraft, die vorsieht, dass die Finanzen jeder verbeiständeten Person über ein individuelles Konto verwaltet werden. In der Verordnung war eine Übergangsfrist von zwei Jahren vorgesehen, in der die Behörden auf Individualkonten umstellen sollten. In der Stadt Bern ist diese Umstellung bis heute nicht passiert.
Mirjam Graf hat bereits vor einem Jahr im Interview mit der «Hauptstadt» auf dieses Problem hingewiesen. Im neuen Tätigkeitsbericht wählt sie scharfe Worte. «Für die Betroffenen und auch für die Mitarbeitenden ist diese Situation nicht haltbar», heisst es dort. Die Ombudsstelle habe den Eindruck, dass sich Beistandspersonen oft im «Blindflug» bewegten, was die aktuelle finanzielle Situation ihrer Klient*innen angehe.
Weshalb die wichtige Umstellung auf Individualkonten auch nach so vielen Jahren nicht erfolgt sei, habe die Ombudsstelle «nicht schlüssig eruieren» können.
Die Stadt begründet die Verspätung auf Anfrage der «Hauptstadt» mit den Problemen rund um Citysoftnet. Die Umstellung auf Einzelkonten sei «im Zusammenhang mit der Konzeption und Einführung des Fallführungssystems Citysoftnet verschoben worden mit der Absicht, diese Umstellung gleich in die neue Software einbauen zu können», schreibt Christian Ryser, Leiter des Amts für Erwachsenen- und Kindesschutz.
«Aus bekannten Gründen» habe man die Einführung von Citysoftnet aber nicht wie geplant umsetzen können. Dadurch habe sich auch die Umstellung vom Sammelkonto auf Individualkonten verzögert. Das Amt wolle sie aber zeitnah nachholen.
Ungewisse Zukunft
Citysoftnet wurde 2023 in Betrieb genommen, davor aber elf Jahre lang geplant. Während dieser Zeit war bereits klar, dass die Umstellung auf Einzelkonten geschehen muss.
Ombudsfrau Mirjam Graf findet: «Ideal wäre gewesen, in das Projekt Citysoftnet zu starten, wenn die Umstellung der Konten bereits erfolgt ist.»
Und ruhig wird es in den städtischen Behörden auch in den kommenden Jahren nicht: Der Kanton Bern will die Stadt voraussichtlich zwingen, das System Citysoftnet bis Ende 2030 abzustellen und auf ein neues, kantonales System zu wechseln. Das würde für die Berner Behörden erneut einen hohen Aufwand generieren.
Mirjam Graf befürchtet, dass die Umstellung so schnell nicht erfolgen wird. «Wie ich zu hören bekomme, ist die Eröffnung derart vieler neuer Bankkonten mit einem grossen administrativen Aufwand verbunden», sagt sie. Auch darüber hinaus habe das Amt viele Altlasten abzuarbeiten.