«Wir haben die Komplexität unterschätzt»
Kündigungen, Krankschreibungen, ein Pendenzenberg. Die Einführung der neuen Software in zwei städtischen Ämtern ist ein Debakel. Ein Bericht zeigt: Das liegt nur zu einem kleinen Teil an der IT.
Die guten Neuigkeiten zuerst: Die neue zentrale Software «Citysoftnet» im städtischen Sozialamt und im Amt für Erwachsenen- und Kindesschutz muss weder neu aufgesetzt noch ersetzt werden. Sie kann weiterlaufen. Und auch der Zeitpunkt der Einführung vor einem Jahr sei «auf Basis von erfüllten Go-Live Kriterien» erfolgt, wie es in einem externen Bericht von Price Waterhouse Coopers (PWC) heisst.
Die Stadt präsentierte den Bericht am Dienstag den Medien. Er wurde vom Gemeinderat auf die Forderung der Kommission für Soziales, Bildung und Kultur (SBK) in Auftrag gegeben.
An Citysoftnet wurde elf Jahre geplant. Seit einem Jahr wird die Software in beiden Ämtern der Stadt Bern eingesetzt. Entwickelt wurde sie gemeinsam mit den Städten Zürich und Basel, die sie allerdings noch nicht eingeführt haben.
Und das gehört auch zu den guten Nachrichten: Die beiden Städte sind weiterhin mit an Bord, sie helfen, das riesige Projekt mitzufinanzieren, für das allein Bern schon über 20 Millionen Franken ausgegeben hat, weil mehrere Nachkredite nötig waren. Diese Woche hat Zürich mitgeteilt, dass es die Software 2025 einführen will. Basel soll danach folgen. Zuvor hatten die beiden Städte die Einführung vertagt, weil sie in Bern so viele Probleme mit sich brachte.
«Mitarbeiter*innen kamen sich alleine vor»
Damit zu den schlechten Neuigkeiten. «Wir haben die Umsetzung unterschätzt», räumte Gemeinderätin Franziska Teuscher (Grünes Bündnis) an der Medienkonferenz ein. «Unsere Mitarbeiter*innen kamen sich alleine vor, die Unterstützung, die sie in dieser Situation gebraucht hätten, war ungenügend.»
Bei der Einführung kam es zu Turbulenzen. Die Software war zu langsam, es folgten Pendenzenberge, die immer noch nicht ganz abgetragen sind. Ein Hauptgrund dafür lag bei Problemen des Hosting-Anbieters, wie im Bericht steht. Die Konsequenzen mussten allerdings die Mitarbeiter*innen sowie Klient*innen der beiden Ämter tragen. Mitarbeitende konnten Zahlungen nicht auslösen, was in einigen wenigen Fällen gar dazu führte, dass Klient*innen aus der Zusatzversicherung der Krankenkasse ausgeschlossen wurden.
Das Resultat: In beiden Ämtern kam es zu überdurchschnittlich vielen Kündigungen und Krankschreibungen, wie schon an einem Medientermin im letzten September bekannt wurde. Der neue Bericht zeigt ausserdem auf, dass Mitarbeiter*innen zusätzlich zum Tagesgeschäft, bei dem sie mit vulnerablen Menschen zu tun haben, die neue Software testen sollten. Zum Teil wurden sie auf der neuen Software geschult, um andere weiterzubilden, hatten in der Zwischenzeit aber schon wieder gekündigt. So funktionierte der Wissenstransfer nicht.
Der Bericht kommt zum Schluss, dass die Mitarbeitenden bei dieser grossen Veränderung in Richtung Digitalisierung nicht genügend mitgenommen wurden. Sie erhielten zu wenig Betreuung, sie wurden zu wenig informiert, warum es die Software braucht, was sich für Probleme stellen können, was es schliesslich bedeutet, ein Amt komplett digital umzustellen.
«Wir haben die Komplexität unterschätzt», sagte auch Gemeinderat Reto Nause (Mitte), zu dessen Direktion das Amt für Erwachsenen- und Kindesschutz gehört. Dies, obwohl Citysoftnet laut dem Bericht mit «anderen Projekten von ähnlicher Grösse» vergleichbar sei, «was die Komplexität bei der Umsetzung anbelangt.»
Taskforce im Einsatz
Der Bericht enthält konkrete Empfehlungen, wie die Stadt auf die nun herrschende Situation reagieren könnte. So brauche es etwa «Business Analyse Kompetenzen», also Schaltstellen zwischen IT und normalem Personal. «Ab Mitte 2025 wollen wir in der Sozialdirektion Business-Analysten einführen, damit wir Mitarbeiter*innen im Transformationsprozess besser mitnehmen und begleiten können», sagte Franziska Teuscher.
Es brauche aber auch mehr Kommunikation und bessere Schulungen. Die Stadt hat eine Taskforce eingesetzt, um diese Baustellen anzugehen. Sie wird präsidiert von Reto Nause. Operativ leitet sie Claudia Hänzi, die auch Leiterin des Sozialamts ist. «Die Hauptherausforderung ist nicht technischer Art, sondern organisationaler und menschlicher Natur», sagte Hänzi an der Medienkonferenz. «Wir wollten hauptsächlich mit bestehendem Personal arbeiten. Im Nachhinein müssen wir erkennen, dass wir besser schon zu Beginn der Programmierarbeiten zusätzliches Personal aufgeboten hätten.»
Nun wird es einen weiteren Nachkredit brauchen, um die zusätzlichen Schaltstellen zu finanzieren. Auch finanziell wäre es günstiger gewesen, schon zu Beginn das Personal besser mitzunehmen. Zumal bereits beim IT-Debakel ab 2018 rund um die Einführung der Schulinformatikplattform Base4Kids (die auch aus technischer Sicht mangelhaft war) dasselbe kritisiert worden war.
Man habe «Base4Kids» unterschätzt, mit zu wenigen Personalressourcen begleitet und die Projektorganisation mangelhaft aufgegleist, befand der Bericht von Rechtsanwalt Ueli Friederich aus der Kanzlei «Recht und Governance» im Jahr 2022.
Immerhin: Diesmal scheint wenigstens die IT-Lösung mittelfristig ein Erfolg zu sein.