Bern in Bildern
Die Fotos von Kari*n Scheidegger haben den «Hauptstadt»-Brief über den Jahreswechsel begleitet. Zum Abschluss stellt Kari*n sich vor – und wir zeigen die ganze Bilderserie.
Ich bin 47jährig, wohne in der Berner Matte und arbeite seit 2004 selbständig als Fotograf_in. Mein Fokus ist Portrait- und Reportage-Fotografie. Ich erledige einerseits Auftragsfotografie für verschiedenste Auftragsgebende und Medien und setze eigene Kunstprojekte um. Für meine freien Arbeiten schöpfe ich die Inspiration meist aus der Gegenwart: Ich suche nicht nach Geschichten, die Geschichten finden mich.
So wie zum Beispiel die Geschichte über die indischen Holcim Arbeiter*innen, die mich von 2013 – 2020 in Atem hielt. Daraus ist das Buch «Rich Lands of Poor People» entstanden, das ich 2020 publiziert habe. Es ist ein fotografischer Essay und persönlicher Erfahrungsbericht; eine Auseinandersetzung mit der eigenen Ohnmacht und ein Versuch, die Welt in ihrer Komplexität zu verstehen.
Ein Erfahrungsbericht darüber, wie ich die Grenzen der Pressefreiheit erreichte und mir im Anschluss ein Reiseverbot für Indien auferlegt wurde. Anhand meiner eigenen Geschichte wird eine viel grössere und komplexere Geschichte sichtbar.
Eigenbezeichnung Fotografix
Im Jahr 2020 ist der Fotoband «Wir/Nous» herausgekommen, eine Arbeit mit dem Kollektiv der Streikfotografinnen, die schweizweit den feministischen Streik 2019 fotografisch festgehalten haben. Seit der Publikation dieses Buchs benutze ich das Wort «Fotografix» als meine berufliche Eigenbezeichnung.
Im Rahmen dieses Projekts war ich gefordert, mich selbst nicht auszuradieren und zu lernen, für non-binäre Sichtbarkeit ein- und aufzustehen. Ebenso für das Projekt 50-50-50.ch, das im Jahr 2022 mit dem 2. Platz in der Kategorie «Portrait» an der «Swiss Press Photo» ausgezeichnet wurde.
Non-binäre Sichtbarkeit
Dieses Sichtbarmachen von non-binären Menschen und Themen prägt aktuell meine Arbeit, mit dem Projekt #ThisIsWhatNonBinaryLooksLike / Swiss Edition. Dabei versuche ich jene Bilder zu kreieren, die mir selber während meinem Wachsen und Werden gefehlt haben, da ich mein non-binäres Selbst, selten in öffentlicher Darstellung widerspiegelt sah.
Gleichzeitig verarbeite ich dabei die Erfahrungen aus den beiden feministischen Projekten, wo ich versuchte für non-binäre Sichtbarkeit einzustehen, jedoch dieser Teil in der öffentlichen Berichterstattung meist ausradiert wurde und immer wieder an binäre Grenzen stiess.
«Techno hilft» als Impuls
Die Bilder, die ich für den Hauptstadt-Brief zusammengestellt habe, sind alles Bilder aus dem Archiv. Sie sind meist als Nebenprodukte von anderen Fotoserien entstanden oder es sind Alltagsschnappschüsse. Vom Dach meines Ateliers an der Mattenhofstrasse beobachte ich oft den Himmel und die Wetterveränderungen. Zwei Bilder stammen auch aus dieser Serie.
Ausgangslage für die Serie war das Bild «Techno hilft» vom Schneetreiben auf dem Vorplatz der Reitschule. Das ist entstanden, als ich einen Lichttest machte, für eine Band, die nebenan im Rössli aufgetreten war, die ich fotografieren sollte. Dieser eine Licht-Test-Schnappschuss habe ich schlussendlich viel mehr verwendet, als das eigentliche Foto, das ich an diesem Abend aufgenommen hatte.
Visuelle Stimmigkeit
Thema der Serie war «Bern ohne Sandstein» und ich wusste, dass ich, neben dem «Techno hilft»-Bild, diverse schöne Bern-Stimmungsbilder mit schönen Lichtstimmungen in meinem Archiv hatte. Zuerst habe ich nach rein visuellen Kriterien mein Archiv durchforstet. Ich hatte dann einen Ordner mit rund 40 Bildern. Dann gab es mehrere Runden des Reduzierens. Dabei hatte ich keine formellen Vorgaben, sondern suchte nach visueller Stimmigkeit im Ensemble der Bilder.
Ich reduziere und schiebe die Bilder so lange hin und her bis sich dieses Gefühl von Stimmigkeit in mir manifestiert. Es ist nie ein logischer Entscheid, sondern immer rein visuell, je nachdem, was die Betrachtung bei mir auslöst. Natürlich strebe ich dabei auch nach fotografischer Perfektion, wobei manchmal auch «imperfekte» Bilder perfekt sein können.
Die gesamte Serie löst bei mir ein wohliges Gefühl von Stimmigkeit aus – so sehe ich meine Stadt – so drücke ich mich fotografisch aus, und es freut mich, diesen Blick mit der Öffentlichkeit zu teilen.
Mein fotografischer Blick
Wenn ich durch die Stadt gehe, wünschte ich mir oft, ich hätte eine Kamera in mein Auge eingebaut. Auch wenn ich keine Kamera dabeihabe, bleibt mein fotografisches Auge stets aktiv. Ich sehe Dinge, nehme Lichtstimmungen und Details wahr und wünschte mir, ah – jetzt – das wär doch gerade das perfekte Foto. Jedoch viele dieser Fotos schiesse ich dann nur in meinem Geiste, da ich in dem Moment vielleicht keine Kamera dabei habe.
Wenn ich eine Kamera dabeihabe, dann fange ich in meinen Alltags-Schnappschüssen und Stadtbetrachtungen oftmals auch Gefühle ein. Meist manifestiert sich dies in einer speziellen Lichtstimmung, so wie die Bilder vom Atelier-Dach.
Das Lieblingsbild?
Es fällt mir schwer zu sagen, welches Bild mir am besten gefällt – jedes dieser Bilder widerspiegelt einen speziellen Moment, und alle diese Momente und Begebenheiten sind in sich wertvoll. Aber ich denke, ich bleibe beim «Techno hilft»-Bild – es war das erste Bild, das mir in den Sinn gekommen ist, als ich über diese «Bern ohne Sandstein» Serie nachgedacht habe.
Ich habe es das erste Mal im Rahmen eines PIXMIX verwendet, wo ich mit dem Titel «winning the bonus but loosing the planet» über Gegenwartskrisen der Menschheit referiert hatte. Im Lichte der gegenwärtigen Herausforderungen der Menschheit, fand ich «Techno hilft» eine passende Analogie.
Die defekte Pocket-Kamera
Ich wünsche mir weiterhin spannende Momente der Gegenwart, die mir zu interessanten Bildern und inspirierenden Begegnungen verhelfen. Manchmal entfaltet ein Bild auch erst im Nachhinein / Jahre später seine Wertigkeit (so wie die Flamingos im Tierpark) – dieses Bild hat die Hauptstadt-Serie dann perfekt abgerundet, obwohl dieses Bild, seit es aufgenommen wurde, auf einer Festplatte geschlummert hatte.
Jahrelang habe ich immer eine analoge Pocket-Kamera mit mir herumgetragen, diese Kamera hat viele meiner Alltagsstimmungsbilder eingefangen (so wie zum Beispiel das Bild vom Felsenauviadukt mit den Bergen im Hintergund). Aktuell ist diese Kamera defekt und so nehme ich – als Person ohne Smartphone – nicht mehr so viele Alltagsstimmungsbilder auf wie auch schon.
Diese Aktivität wünsche ich mir vermehrt wiederaufzunehmen. Immer eine Kamera mit mir zu tragen, damit ich diese speziellen Momente, die sich mir offenbaren und ein Gefühl oder eine interessante Stadtansicht prägen, auch einfangen kann.