Berner Barrieren im Veloverkehr

Die «Hauptstadt» hat nach Barrieren im öffentlichen Raum gefragt, Velofahrende meldeten sich mit neuralgischen Punkten. Verbesserungen lassen dort auf sich warten.

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Herausfordernde Engstelle: Velofahrende am Hirschengraben – von Schanzen- und Laupenstrasse kommend. (Bild: Danielle Liniger)

Wo wird dir der Alltag von Barrieren erschwert? Diese Frage stellte die «Hauptstadt» in Zusammenarbeit mit dem gemeinnützigen Medienhaus Correctiv Anfang April. Teilnehmende haben insgesamt 65 Orte als Teil dieser Bürger*innen-Recherche in einer Karte verzeichnet. Erstaunlich viele der Kritikpunkte betreffen auf der Barrierekarte den Veloverkehr und nicht die Barrierefreiheit an sich. Dies ist der erste Artikel, der die Rückmeldungen aufbereitet.

Die «Hauptstadt» hat vier Velospots ausgewählt, zu denen vergleichsweise viele Rückmeldungen eingingen. Was läuft dort schief und was kann die selbst ernannte Velo-Hauptstadt dagegen unternehmen?

Wir haben bei Eva Krattiger nachgefragt, die seit November die städtische Fachstelle Fuss- und Veloverkehr leitet. Krattiger war während fünf Jahren für die Junge Alternative JA! im Stadtrat und sass unter anderem bis 2022 in der Verkehrskommission. 

Eine kurze Aufdatierung – angefangen mit dem grössten Sorgenkind:

1. Hirschengraben

«Als Velofahrer wird man immer schräg angeschaut, als Fussgänger nerven die Velos in der Menschenmenge», schreibt ein*e Nutzer*in auf der Barrierekarte. Und:  «Es isch dert immer es huere Puff u müesam!». 

Die Rückmeldung dürfte vielen Berner*innen – vor allem zu Stosszeiten – aus der Seele sprechen. An der Überquerung zu Schanzenstrasse und Laupenstrasse kreuzen sich Fuss- und Tramverkehr, was keine einfachen Voraussetzungen sind. Eine klare Veloroutenführung fehlt. Erst im Rahmen der Bahnhofsanierung soll sich daran etwas ändern. Dann wird die Führung des Fuss- und Veloverkehrs baulich getrennt und die Querung des Bubenbergplatzes für den Veloverkehr gleich an mehreren Stellen deutlich verbessert. Bis das Projekt abgeschlossen ist, dauert es aber noch mindestens fünf Jahre.

«Es kommt eine schwierige Zeit auf uns zu», sagt Eva Krattiger. Baustellen seien oft eine Herausforderung, weil sie eine Veränderung der Routenführung und Platzverhältnisse bedeuteten. Kurzfristig wird sich an dem Ort die Lage für Velofahrende und Fussgänger*innen eher verschlechtern als verbessern. Der Grund: Der Bau des unterirdischen Bahnhofseingangs beim Bubenbergdenkmal wird den ohnehin knappen Platz für alle Verkehrsteilnehmer*innen am Hirschengraben noch schmälern. Ausserdem wird sich die Routenführung laut Krattiger sehr wahrscheinlich mehrmals ändern, was für Verkehrsflüsse immer eine Herausforderung darstellt. 

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Zwischen 2014 und 2022 hat sich die Zahl der Velonutzenden in Bern um rund 60 Prozent erhöht. (Bild: Danielle Liniger)

Solange das Projekt «Zukunft Bahnhof Bern» und der Richtplan «Stadtraum Bahnhof Bern» nicht umgesetzt sind, will die Stadt die aktuelle, leicht anarchistisch anmutende, Veloroutenführung an dem Ort unangetastet lassen. Dies mit der Begründung, dass Bauarbeiten schon bald begännen.

Bei Fahrradfahrenden ist an diesem Nadelöhr also (weiterhin) viel Geduld und Vorsicht nötig. Krattiger räumt ein, dass die selbst ernannte Velohauptstadt am Hirschengraben noch nicht so weit ist, um ihre im Masterplan festgelegten Standards einzuhalten.

2. Waisenhausplatz

Ähnlich komplex ist die Lage am Waisenhausplatz. Auch hier treffen Fuss-, Velo- und Lieferverkehr aufeinander, auch hier ist die Verkehrsführung aktuell unübersichtlich und es steht eine grössere Sanierung an.

«Eine absolute Zumutung», kommentiert ein*e Leser*in auf der Barrierekarte die Lage. Und: «Es braucht eine sichere Veloverbindung durch die Innenstadt». 

Die Sanierung von Bären- und Waisenhausplatz, welche in fünf Jahren abgeschlossen sein soll, sieht zumindest eine klare Trennung von Verkehr und Aufenthaltsflächen vor. Eine Veloschnellroute oder Ähnliches wird aber auch dann nicht Realität. Fuss- und Veloverkehr werden sich auf der gleichen Fläche bewegen, erklärt Krattiger. 

Grundsätzlich sei in der Innenstadt gegenseitige Rücksichtsnahme aufgrund der vielen Fussgänger*innen und Velofahrer*innen unabdingbar, so Krattiger. Das gilt insbesondere für die nächsten fünf Jahre: Denn solange will die Stadt in Hinblick auf die Bauarbeiten das geltende Verkehrsregime unangetastet lassen.

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Ab 2027/28 sollen Waisenhaus- und Bärenplatz saniert werden. Der entsprechende Kredit wurde im Mai 2025 von der Stimmbevölkerung angenommen. (Bild: Danielle Liniger)

Der Korridor entlang von Bären- und Waisenhausplatz ist für den innerstädtischen Veloverkehr wichtiger als zunächst angenommen werden könnte. Wer von Nord nach Süd, zum Beispiel aus der Lorraine in Richtung Helvetiaplatz unterwegs ist, wird wahrscheinlich diese Strecke benutzen. Auch weil die Alternativroute über Bollwerk, Bubenbergplatz und Hirschengraben wie erwähnt einige Problemstellen aufweist.

3. Helvetiaplatz/Thunplatz/Burgernziel

Verschieben wir das Zentrum der Aufmerksamkeit über die Kirchenfeldbrücke in Richtung Helvetiaplatz und Kirchenfeld: «Ein Grosskind wurde von einem viel zu schnell fahrenden E-Bike-Fahrer angefahren», schreibt eine Person auf der Barrierekarte.

Immer wieder kommt es zu brenzligen Situationen zwischen Velofahrenden, die hinter der Tramhaltestelle durchfahren und Trampassagieren. Die SVP brachte das Thema des «gefährlichen Mischverkehrs» zuletzt im Stadtrat in einer Motion zur Sprache. 

Auch bei Krattiger sind einige negative Rückmeldungen eingegangen. Bereits diesen Sommer werden die schnellen E-Bikes auf dem Trottoir zwischen Helvetiaplatz und Burgernziel verboten – die Stadt nutzt dabei eine Verordnungssänderung auf Bundesebene. Geplant seien ausserdem Sensibilisierungsmassnahmen, um die neu geltenden Regeln zu erklären und die gegenseitige Rücksichtnahme zu fördern.

Die Stadt will die Engstelle laut Krattiger auch baulich verändern. Ein entsprechender Kredit werde voraussichtlich noch in diesem Jahr in den Stadtrat kommen. Geplant sei, eine abgetrennte Umfahrung für Velos zu schaffen. «Ein Vorbild dafür ist die sanierte Tramhaltestelle Kursaal», so Krattiger. Ebenfalls Teil des Kredits ist die Jungfrau- und Marienstrasse. Sie sind stadteinwärts für den Veloverkehr relevant. Hier sind aktuell beide Strassenseiten mit Autoparkplätzen gesäumt, was für den Veloverkehr zu Unsicherheiten führen kann. Pro Velo Bern erfasste dies bereits 2020 als Problem. Laut Krattiger soll dort mehr Platz für den Veloverkehr geschaffen werden.

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Velofahrende, Fussgänger*innen und Trampassagiere kommen an dieser Engstelle am Helvetiaplatz zusammen. (Bild: Danielle Liniger)

Obwohl oder vielleicht gerade weil es sich um einen der wohlhabendsten Teile der Stadt handelt, hat sich im Raum Thunstrasse-Thunplatz-Burgernziel in Sachen Veloinfrastruktur in den letzten Jahren vergleichsweise wenig getan. Der Gemeinderat spricht von einem «verkehrstechnisch schwierigen Perimeter». Und meint den Abschnitt zwischen Helvetiaplatz und Burgernziel. Hier hat die Stadt schon vor zehn Jahren versucht, in einem «Gesamtprojekt» den grossen Wurf zu wagen, buchstabiert mittlerweile aber zurück.

Krattiger erklärt die neue Strategie: «Wir wollen die Situation etappiert und Stück für Stück verbessern.» Angefangen wird beim Helvetiaplatz. Am Thunplatz und Burgernzielkreisel werden Verbesserungen für Velofahrende laut der Stadt aktuell «vertieft geprüft und womöglich umgesetzt». An beiden Orten brauche es Gesamtsanierungen, um Velofahrenden das Leben zu erleichtern, so Krattiger. Man sei dort auch vom Sanierungsbedarf Bernmobils abhängig, um keine Ressourcen zu verschwenden, erklärt die Leiterin der Fachstelle. Das Ziel beim Burgernzielkreisel: ein Umbau des Knotens nach niederländischem Vorbild. Wann und in welchem Umfang saniert werde, sei aber noch ungewiss.

4. Weitere Berner Velo-Hürden

Ebenfalls in die Barrierekarte Eingang gefunden hat die Lorrainestrasse. Ein*e Nutzer*in merkt an, dass Autofahrer*innen dort zu schnell unterwegs sind und auf der Höhe des Lagerwegs Vorfahrtsregeln missachten. Gerade für Eltern und ihre Kinder sei der Abschnitt gefährlich.

Von Seiten der Stadt heisst es dazu, dass gegen eine Begegnungszone in der Lorraine derzeit eine Einsprache hängig sei. Solange dieses Verfahren laufe, so Krattiger, könne die Stadt nichts Weiteres unternehmen. Einsprachen seien nun mal ein «mächtiges Instrument». 

Ein*e Velofahrende*r fühlt sich ausserdem auf der Seftigenstrasse unsicher. In Richtung Wabern habe sie kaum Platz mit dem Velo und werde dann zwischen Autos und Tramgleisen eingeklemmt.

Das Problem sei bekannt, so Veloexpertin Krattiger. Für Abhilfe dürfte die Gesamtsanierung der Seftigenstrasse sorgen – ein Projekt zwischen der Stadt Bern, der Gemeinde Köniz und dem Kanton. Im Zuge dessen wird nicht nur das Tram in Richtung Kleinwabern verlängert, sondern auch abgesetzte Velowege in beiden Richtungen gebaut. «Das wird deutliche Verbesserungen geben», ist sich Krattiger sicher. Der Baubeginn ist für Anfang 2029 vorgesehen. Auch hier werden für Velofahrende also noch einige Jahre ins Land gehen, bis sich an der gegenwärtigen Situation etwas ändert.

5. Epilog: Verleiht Fernwärme Schub?

Bern hat in den vergangenen Jahren einiges für seine «Velo-Offensive» getan: Von Velo-Hauptrouten über gedeckte Velo-Stationen bis hin zu öffentlichen Luftpumpen. In Anbetracht der vielen Bau- und Engstellen scheint der Velo-Offensive jetzt die Luft auszugehen. Krattiger sieht das erwartungsgemäss anders: 

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Wer hier in Richtung Wabern abbiegt, trifft auf der Seftigenstrasse aktuell auf unsicheres Velo-Terrain. (Bild: Danielle Liniger)

«Die Veloförderung hat einen unverändert hohen Stellenwert für die Stadt.» Sie ordnet zugleich ein: «Wir sind mittlerweile an einem Punkt, an dem vergleichsweise einfache Dinge, also Farbmarkierungen auf dem Asphalt, umgesetzt sind. Jetzt geht es langsamer voran, weil öfter gebaut werden muss.» Krattiger hat dabei zum Beispiel vom Autoverkehr baulich getrennte Velospuren oder Veloknoten nach holländischem Vorbild im Sinn. Einfachere Sofortmassnahmen würden aber auch weiterhin umgesetzt. Sie denkt dabei an die Radstreifen an der Muri- und Murtenstrasse 2024 oder die Velostrasse auf der Freiburgstrasse 2025. 

Krattiger geht davon aus, dass der Ausbau der Fernwärme im Westen der Stadt diesen Velo-Bauprojekten Schub verleihen wird. Der Plan: Haben die Bagger erst einmal den Asphalt aufgerissen, um Fernwärmerohre zu installieren, wird auch der Strassenraum für Velofahrende aufgewertet. Die Stimmbevölkerung hat 2023 einem entsprechenden Kredit von rund 48 Millionen Franken zugestimmt. Für die Umsetzung dieser anstehenden Bauprojekte dürfte es kein Nachteil sein, dass in Person von Matthias Aebischer der ehemalige Präsident von Pro Velo Schweiz seit diesem Jahr die Führung in der für Veloverkehr zuständigen Direktion für Tiefbau, Verkehr und Stadtgrün übernommen hat.

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Diskussion

Unsere Etikette
Silvia Weibel
23. Juni 2025 um 01:54

“Ein Vorbild dafür ist die sanierte Tramhaltestelle Kursaal.” Oje, diese Lösung hat sich in der Praxis ja überhaupt nicht bewährt.

Andreas Stalder
18. Juni 2025 um 12:14

Betr. Problempunkt Hirschengraben-Bubenbergplatz: Der unmöglichste Ort für Velofahrende (und auch für Fussgänger, wegen gewissen Velofahrenden) in Bern. Es fehlt im Süden dieser Achse an ausreichenden Veloabstellplätzen und dieses Problem wird mit der Baustelle am Hirschengraben noch massiv zunehmen. Aus dieser Sicht istes völlig unverständlich, wieso alle Velostationen nördlich dieser Achse angesiedelt oder geplant werden.

Thomas Schneeberger
17. Juni 2025 um 22:35

Das letzte Bild hat nichts mit der Seftigenstrasse zu tun, sondern zeigt die gleiche Stelle unten am Hirschengraben wie das zweite Bild.

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