«Die Velobrücke ist gestorben»

Die Stadt Bern rechnet in Zukunft mit Defiziten und Schulden. Eine Steuererhöhung versucht Finanzdirektor Michael Aebersold trotzdem zu vermeiden. Er will stattdessen auf Investitionen verzichten.

Michael Aebersold fotografiert am 31.01.2023 in Bern. (liveit.ch / Manuel Lopez )
«Wir müssen alle Investitionen überprüfen und auf Sachen verzichten, die nicht zwingend sind», sagt Berns Finanzdirektor Michael Aebersold. (Bild: Manuel Lopez)

Die Stadtberner Finanzen sind rot. Finanzdirektor Michael Aebersold (SP) präsentierte am Donnerstag das Budget 2024 mit einem Minus von 37,2 Millionen Franken. Auch in den Folgejahren rechnet die Stadt mit zweistelligen Millionen-Defiziten. Und die Verschuldung steigt: Von den geplanten Investitionen über 141 Millionen Franken will die Stadt 90 Millionen mit Schulden finanzieren.

Ein Ende der Schuldenwirtschaft ist nicht abzusehen, denn die Stadt wächst und die Ansprüche steigen. In der Investitionsplanung sind bis 2031 jährlich über 100 Millionen Franken vorgesehen. «Die Schulden bereiten uns Sorgen», sagte darum Finanzverwalter Reto Rutschi vor den Medien. Diese werden laut Berechnungen der Stadt Ende 2027 bei 1,8 Milliarden Franken liegen. 

Die Einnahmen hingegen entwickeln sich gut: Die Steuererträge wachsen. Für 2024 budgetiert die Stadt Rekordeinnahmen in der Höhe von 568 Millionen Franken. «Die Stadt hat ein Ausgaben-, nicht ein Einnahmenproblem», sagt Steuerverwalter Moritz Jäggi.

Was brächte eine Steuererhöhung?

Kurz gesagt: Die Finanzen der Stadt sind nicht im Lot. Wollen die links-grüne Mehrheit in Regierung und Parlament das Niveau der Ausgaben weiter so hoch halten, braucht es mittelfristig wohl eine Steuererhöhung. 

Ein kleines Rechenbeispiel dazu: Will man das Budget 2024 solid ausfinanzieren, bräuchte Bern einerseits zusätzliche 37 Millionen Franken, um das Defizit auszugleichen und andererseits 20 Millionen, um der Verschuldung entgegenzuwirken. Die Stadt müsste also rund 57 Millionen Franken zusätzlich einnehmen. Dazu müsste der Steuerfuss der Stadt per 2024 von 1,54 auf 1,69 erhöht werden. Pikanterweise hätte Bern damit den gleichen Steuerfuss wie die Gemeinde Ostermundigen, mit der man fusionieren will.

Michael Aebersold fotografiert am 31.01.2023 in Bern. (liveit.ch / Manuel Lopez )
SP-Gemeinderat Michael Aebersold wünscht sich mehr Hilfe vom Kanton: «Statt der geplanten Steuersenkung, sollte der Kanton die Städte finanziell entlasten.» (Bild: Manuel Lopez)

Der zuständige SP-Gemeinderat Michael Aebersold will eine Steuererhöhung aber vermeiden. Stattdessen möchte er ein zusätzliches Sparprogramm über jährlich 20 Millionen Franken aufgleisen, das ab 2026 greifen soll. 

Doch das allein genügt nicht. «Wir müssen auch alle Investitionen überprüfen und auf Sachen verzichten, die nicht zwingend sind», sagte Aebersold anlässlich der Budgetpräsentation. Ein erstes Projekt der Stadt ist dieser Feststellung bereits zum Opfer gefallen: «Die Velobrücke über die Aare ist gestorben», so Aebersold. Wichtig seien auch Kostenreduktionen. So sucht die Stadt aktuell nach einer günstigeren Variante zu den teuren Bernmobil-Unterständen. 

Hilferuf an den Kanton

Einen Hilferuf richtet Aebersold zudem an den Kanton. «Statt der geplanten Steuersenkung, sollte der Kanton die Städte finanziell entlasten», sagt er. Diese seien einerseits Wirtschaftsmotoren, müssten andererseits aber einen übermässig grossen Teil der Wachstumskosten tragen. 

Fraglich ist, ob Aebersolds Worte in Kantons- und Stadtparlament auf Anklang stossen. Der Drang der bürgerlichen Mehrheit im Kanton hin zu einer Steuersenkung ist gross. Und die städtischen Regierungsparteien SP und Grüne zeigen wenig Sparwillen. In ihren Medienmitteilungen zum Budget 2024 verlieren sie zumindest kein Wort bezüglich möglicher Sparmassnahmen oder Verzichtsplanungen. Stattdessen thematisieren sie Investitionen in Bildung und Klimaschutz.

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Diskussion

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Anton Koller
17. Juni 2023 um 12:16

Es ist ja klar, weshalb Michael Aebersold keine Steuererhöhung will: Weil diese einer Volksabstimmung bedarf - und da würde sie nie und nimmer gutgeheissen. Man erinnere sich an die entsprechenden Abstimmungen zu Beginn der Rot-Grün-Mitte-Zeit in den Neunzigerjahren: Da wurden die städtischen Budgets mit höheren Steuern so oft abgelehnt, bis am Schluss der Kanton die Steueranlage festlegen musste. Dies war (in den damaligen Messeinheiten) eine Erhöhung auf 2,3 statt auf RGM gewünschte 2,4. Diese kantonal festgesetzte Höhe der Stadtberner Gemeindesteuer gilt bis heute.

Kaspar Wyss
16. Juni 2023 um 17:18

Ich blicke schon lange nicht mehr durch, was es mit den ominösen "20 Millionen Überschuss" auf sich hat. Die Zahl geistert ja schon länger in der Finanzdirektion herum; die letzten beiden Jahre gab es kumuliert einen Überschuss von 20 Millionen, also 20 Millionen "zu wenig" - müssten diese demnach nicht berücksichtigt werden, also ab nun 23 Millionen Überschuss, wenn aufs Jahrzehnt gerechnet wird (oder wie lange braucht es den Überschuss überhaupt)? Aber Moment, die Rechnung hat in den letzten beiden Jahren 46 bzw. 66 Millionen besser abgeschnitten als budgetiert, das ist schon fast ein Trend - müssten wir das nicht auch berücksichtigen? Und wenn die Fusion mit Mundigen kommt sieht plötzlich sowieso alles wieder ganz anders aus...

Mein persönliches Fazit: das 20-Millionen-Ziel taugt vor allem dafür, dass insbesondere die Tamedia auch einen Rechnungsüberschuss noch schleichtschreiben kann...

Manuel C. Widmer
15. Juni 2023 um 16:03

Wie wäre es denn, wenn die Stadt (v.a. der Stadtrat) nicht immer versuchen würde, bei allen Leistungen das Maximum anzubieten z.B. Betreuungsschlüssel, ...) und nicht jedes finanzielle Zicken des Katons aufzufangen versuchen würde? Man könnte schon viel sparen, wenn man auf diesen dauernden Leistungsausbau verzichten würde. Der Kanton lacht sich ja mittlerweile ins Fäusten, weil er weiss, wie er die Stadt (eben, den Stadtrat) dazu bringt, für ihn stellvertretend einzuspringen...