Berner Beben – «Hauptstadt»-Brief #236
Donnerstag, 26. Oktober 2023 – die Themen: Reitschule-Jubiläum; Wein aus Muri; Luginbühl wird Stiftungsratspräsident von Bühnen Bern; Wolf-Abschuss; Museum des Kapitalismus; Schulprovisorium; Champions-League; Orient Express Film Festival.
Die Meinungen über die Reitschule gehen auseinander. Für die einen ist sie ein wichtiges kulturelles Zentrum in Bern. Für die anderen ein Schandfleck, der baldmöglichst geschlossen gehört.
So oder so ist die Reitschule längst eine Stadtberner Institution. Mit dem Reitschulfest feiert sie dieses Wochenende ihr 36-jähriges Bestehen.
Damals, Ende Oktober 1987, war das Gebäude kurzfristig besetzt worden. Eine Nacht lang feierten rund tausend Personen eine illegale Party in der sogenannten «Straf-Bar». Eine Woche später folgte ein noch grösseres – nun bewilligtes – Fest mit Auftritten von Polo Hofer, Stephan Eicher und Züri West. Rund 10’000 Personen waren angeblich vor Ort.
Gefordert wurde ein autonomes Jugendzentrum (AJZ). Als solches war die Reitschule Jahre zuvor bereits kurzfristig genutzt worden. Damals fiel das AJZ jedoch vor allem durch Chaos und Drogenabhängige auf. Als ein Punk im Drogenrausch einen Kranich aus dem Tierpark Dählhölzli stahl und diesen vor der Reitschule briet, liess die Stadt die Reitschule polizeilich räumen.
Erst mit der Straf-Bar-Nacht im Oktober 1987 wurde ein AJZ in der Reitschule wieder aktuell. Wer wie ich zu jung ist, um diese Zeit selbst erlebt zu haben, erhält im Dokumentarfilm «Berner Beben» einen Eindruck von der turbulenten Zeit. Das Zeitdokument, aus einer dezidiert linken Perspektive erzählt, wird im Rahmen des Reitschulfest-Programms gezeigt. Auf Youtube ist der Film frei verfügbar.
Das Alternativprogramm zum Reitschulfest findest du im Bärner Nachtläbe – den handverlesenen Ausgehtipps der «Hauptstadt».
Die weiteren Themen des Tages:
- Berner Wein: Bordeaux, Toskana und Rioja sind die bekanntesten Weinbaugebiete der Welt. Die meisten Schweizer Weine kommen aus dem Wallis, dem Tessin und der Waadt. Der Kanton Bern? Höchstens eine Randregion. Jill Maria Blum möchte das ändern. In Muri hat sie einen 2,3 Hektar grossen Weinberg angelegt. In zwei Jahren sollen die Trauben der 11’500 Reben erstmals zu Wein verarbeitet werden. Mein Kollege Nicolai Morawitz hat die Jungbäuerin besucht.
- Kultur: Werner Luginbühl wird neuer Stiftungsratspräsident von Bühnen Bern. Das gab die Stadt heute Morgen bekannt. Luginbühl war von 1998 bis 2008 Regierungsrat des Kantons Bern, ab 2007 bis 2019 vertrat er den Kanton im Ständerat. Luginbühl war lange Mitglied der SVP, ehe er mit der Abspaltung der BDP 2008 die Partei wechselte. Aktuell ist er Präsident der Eidgenössischen Elektrizitätskommission und warnte in dieser Rolle vergangenes Jahr vor einem Strom-Engpass. Sein Amt wird Luginbühl per Januar 2024 antreten. Er löst Nadine Borter ab, die das Vierspartenhaus nach fünf Jahren verlässt.
- Wolf: Der Regierungsrat hat einen Wolf im Berner Jura zum Abschuss freigegeben. Das Tier hatte zuvor innerhalb von drei Monaten 36 Nutztiere gerissen. Abgesehen von einem Fall mit drei Ziegen seien die Tiere jedoch nicht ausreichend geschützt gewesen. Trotzdem erlaubt der Regierungsrat nun den Abschuss bis zum 24. Dezember. Wie der Kanton mitteilt, stützt er sich dabei auf eine kurzfristige Massnahme des Uvek – des Amtes von Bundesrat Albert Rösti (SVP). Rösti stand jüngst wegen einer möglichen Lockerung der Abschuss-Richtlinie in der Kritik.
- Museum des Kapitalismus: «Arbeit» heisst eine neue Ausstellung in der Zwischennutzung am Stadtberner Eigerplatz. Darin werden Aspekte wie unbezahlte Arbeit oder die Herstellung von Jeans, Laptops und Smartphones in Billiglohnländern thematisiert. Die Kurator*innen haben sich zum Ziel gesetzt, Kapitalismuskritik auf eine interaktive Weise zu vermitteln. Als Vorbild diente ihnen dabei ein Museum in Berlin. Meine Kollegin Lea Sidler hat die Ausstellung besucht.
- Schulprovisorium: Weil die Volksschule Kirchenfeld ab Sommer 2025 saniert wird, plant die Stadt ein Provisorium auf dem naheliegenden Gaswerkareal. Eine Sanierung unter laufendem Schulbetrieb sei nicht möglich, schreibt die Stadt in einer Mitteilung. Das Provisorium soll zwei dreigeschossige Schulgebäude sowie eine Traglufthalle für den Schulsport enthalten und Platz für zwölf Klassen bieten. Die Kosten sind aktuell noch unbekannt; die Stadt rechnet aber damit, dass eine Volksabstimmung notwendig sein wird.
- Universität: Rund 2’700 Berner Studierende fordern eine Podcast-Pflicht für sämtliche Vorlesungen. Das teilt das Organisationskomitee mit, das die Petition lanciert und am Dienstag bei der Universitätsleitung eingereicht hat. Die Petitionär*innen betonen die bessere Vereinbarkeit von Studium, Arbeit und Familie sowie die barrierefreie Zugänglichkeit für Studierende mit Beeinträchtigungen als Vorteile der Podcasts. Die Uni-Leitung lehnte eine entsprechende Pflicht bisher ab.
- Fussball: Im ausverkauften Wankdorf lieferten sich die Young Boys gestern Abend über weite Strecken ein packendes Duell mit Manchester City. Trotzdem reichte es nicht zum Sieg: Das Spiel gegen das aktuell wohl beste Team der Welt endete mit 1:3 aus Berner Sicht.
PS: Dieser Tage findet in Bern das Orient Express Film Festival statt. Der heutige Film «Sieben Winter in Teheran» ist leider bereits ausverkauft. Für morgen gibt es aber noch Tickets. Etwa für «Schnee und der Bär» über eine Pflegerin in einer kleinen, abgelegenen Stadt in der Türkei, wo der Winter scheinbar endlos ist und plötzlich ein Mann verschwindet. Der Film startet um 20 Uhr im CineMovie.