Die Entdeckung der Langsamkeit im Museumsquartier

Fünf Jahre nach der Lancierung zeigt sich, dass im Berner Museumsquartier dereinst kleinere Brötchen gebacken werden. Der Wiener Experte Dieter Bogner warnt Bern aber vor zu grosser Sparsamkeit.

Das Berner Historische Museum fotografiert in Bern am 21.06.2023. (Jana Leu)
Blick von der Treppe des Historischen Museums auf die kleine Brache, aus der dereinst das grüne Zentrum des Museumsquartiers werden soll. (Bild: Jana Leu)

Man wolle in der internationalen Museumsliga ganz vorne mitspielen, sagte Stadtpräsident Alec von Graffenried (GFL), als die Machbarkeitsstudie zum Museumsquartier vorgestellt wurde. Der damalige Burgergemeindepräsident Bernhard Ludwig doppelte nach: «Das feu sacré ist geweckt». Das war 2019. 

Jetzt laden Beat Hächler und Luc Mentha in eine schmucklose Baracke, gleich neben dem Historischen Museum. Dort hat sich der Trägerverein des Museumsquartiers eingemietet, hinter dem Mentha als Präsident und Hächler, Direktor des Alpinen Museums, als aktueller Vorsitzender des Vorstandsausschusses die treibenden Kräfte sind. Die Idee des Museumsquartiers im Kern: Elf im Kirchenfeld ansässige Kultur- und Bildungsinstitutionen wachsen zusammen und schaffen zwischen Helvetiaplatz und Kirchenfeldstrasse einen durchlässigen, urbanen Kulturraum.

Wie weit ist die Idee in der Praxis gediehen?

Aus dem Fenster der Baracke sieht man auf die kleine Brache zwischen dem Museum für Kommunikation und Naturhistorischen Museum. Hier soll einmal der Dreh- und Angelpunkt des neuen Museumsquartiers entstehen. Noch deutet nur eine Art Container-Büro an, dass das Museumsquartier hier aktiv ist.

Der Pavillon sei «under Construction», sagt Mentha. Ausserdem hat der Verein 2022 den Zaun zwischen den beiden Gebäuden niedergerissen, was bildgewaltig auf der Homepage dokumentiert wurde. Es folgte unter anderem die Errichtung einer temporären Vereinsküche, mit diversen Asthaufen und Wildhecken sollte «Mehr Natur!» gewagt werden. Im Sommer lädt der Verein überdies zum Museumsquartierfest ein.

Ein zentraler grüner Platz soll aus der heutigen Brache werden – Mentha skizziert einen Museumsgarten, von dem aus die Besucher*innen eines Tages die verschiedenen Eingänge der Museen erreichen können.

Das Berner Historische Museum fotografiert in Bern am 21.06.2023. (Jana Leu)
Zentraler Teil des Museumsquartiers: Das Historische Museum Bern am Helvetiaplatz. (Bild: Jana Leu)

Ausser beim Museum für Kommunikation müssen diese aber erst noch verschoben oder in den jeweiligen Gebäuden ergänzt werden. Bei der Gesamtsanierung des Historischen Museums ist das immerhin schon in der Planung berücksichtigt worden. Wenn alles fertig ist, soll eine «grüne Lunge» die Stadtbevölkerung zum Verweilen einladen. Es werde ausserdem neue Beizen geben, Platz für Konzerte und Tanzvorstellungen im Sommer. Mentha ist sich sicher: «That’s the place to be.»

Gemeinsames Ticketing geplant

Aus Sicht der Besucher*innen mindestens so wichtig ist, was Mentha und Hächler ebenfalls vorschwebt: Ein gemeinsames Ticketing, das den Eintritt in verschiedene Institutionen über mehrere Tage verteilt erlaubt – bereits in diesem Jahr soll an der Umsetzung gearbeitet werden.

Langwieriger ist dagegen die bauliche Entwicklung des Areals. Die Sanierung des Historischen Museums beispielsweise beginnt voraussichtlich erst 2027 und wird 2031 abgeschlossen sein. Beim Alpinen Museum sind die Planungen für einen Neubau auf dem Quartier-Areal erst angelaufen. Die Finanzierung ist allerdings noch ungewiss.

Die beiden Museumsstrategen machen deutlich, wo sich der Flaschenhals zwischen der grossen Idee Museumsquartier und der Berner Realität befindet: Der einst veranschlagte Investitionsbedarf von 250 Millionen Franken für das gesamte Quartier ist von der Politik noch nicht gesprochen worden. Die einzelnen Projekte sind unterschiedlich weit gediehen und haben verschiedene Geldgeber. Sprich:  Das Projekt ist komplex. Alles dauert länger, und es muss sparsamer kalkuliert werden. 

Finanzpolitische Zwänge

Der Verein Museumsquartier hat sich vorerst vier Jahre Zeit gegeben, um dem neuen «MQB» ein grundlegendes Profil zu geben. Diese Phase endet dieses Jahr. Mentha ist überzeugt: «Wir sind auf Kurs». Das bedeute eben auch, sich klar zu werden, was nicht gebaut werden solle. Es brauche zum Beispiel keinen zentralen Versammlungsraum, weil dieser schon in den beteiligten elf Institutionen ausreichend vorhanden sei. 

Der im Konzept vorgeschlagene grosse Durchgang vom Helvetiaplatz soll auch nicht gebaut werden. Für ein zentrales unterirdisches Depot fehlt zudem das Geld. Dabei wäre gerade dieses Projekt wichtig, damit die Sammlungen der verschiedenen Museen, die aktuell auf dem Stadtgebiet und der Agglomeration verstreut liegen, an einem Ort gebündelt werden können.

Dieser Ansicht sind nicht nur Mentha und Hächler, sondern auch der österreichische Museumsplaner Dieter Bogner. Er war eine treibende Kraft hinter dem Wiener Museumsquartier, das seit 2001 Besucher*innen empfängt. Es ist zum Anziehungspunkt für Wiener*innen und ausländische Tourist*innen geworden – und aus dem Stadtbild nicht mehr wegzudenken. Bogner war es auch, der im Auftrag der Burgergemeinde das Konzept zum Berner Museumsquartier ausarbeitete.

Die Entdeckung der Langsamkeit

Bern habe einen entscheidenden Vorteil gegenüber Wien, sagt Bogner der «Hauptstadt» am Telefon. Die Museen seien alle schon gebaut. In Wien mussten die alten Hofstallungen komplett saniert werden, und es wurden zwei Kunstmuseen neu errichtet.

Doch die räumliche Nähe mehrerer Museen allein schafft noch kein Museumsquartier – dieser Meinung ist auch Beat Hächler. Deshalb sei in den vergangenen drei Jahren in Bern viel Arbeit in den Aufbau einer «Zusammenarbeitskultur» investiert worden. Das sei schwieriger gewesen als zunächst angenommen.

Das Berner Historische Museum fotografiert in Bern am 21.06.2023. (Jana Leu)
Der Kubus-Anbau (rechts) des Historischen Museums. (Bild: Jana Leu)

Immerhin versammeln sich elf Institutionen mit ganz unterschiedlichen Strukturen und Geldgebern im Berner MQ. Da wären der Bund, der Kanton, die Stadt und die Burgergemeinde – und im Fall des Kommunikationsmuseum die Swisscom und Post. Rund 900 Mitarbeitende sind bei den Projektpartnern beschäftigt, zu denen auch die Nationalbibliothek und das Kirchenfeldgymnasium zählen. Um neue Verbindungen zu knüpfen, braucht es Zeit. Er sei inmitten einer «Entdeckung der Langsamkeit», sagt Luc Mentha.

Kein Pomp, sondern Pragmatismus

Doch was könnte nun konkret in einem solchen Museumsquartier passieren? Hächler stellt sich die Frage im Gespräch gleich selbst. Um das herauszufinden, haben sich aus den verschiedenen Museen Arbeitsgruppen gebildet. Einiges, was an diesen Workshops verhandelt wurde, sei auch ihm «nicht handfest genug» gewesen, sagt Hächler. Was sich aber herauskristallisiert habe: Man möchte das Spartendenken überwinden. 

Konkret: In diesen Tagen bricht Hächler für eine filmische Ausstellung im Alpinen Museum nach Grönland auf. Diese setzt sich mit dem Klimawandel, dem Tourismusboom und der Jagd nach Bodenschätzen auseinander. Dem Museumsquartiergedanken folgend, wird dazu das Historische Museum aus der eigenen Grönland-Sammlung aktuelle Fragen zur Dekolonialisierung Grönlands verhandeln. 

Wichtig sei auch, dass die Sammlungen der verschiedenen Museen durchlässiger und für das Publikum zugänglicher würden. Angedacht sind zum Beispiel thematische Führungen durch die Sammlungsdepots. Insgesamt stehen dafür zehn Millionen Objekte zur Verfügung. Der Verein hat sich auch auf die Fahnen geschrieben, die Gesellschaft stärker einzubeziehen. Einen ersten Schritt in diese Richtung stelle der Kultur-Hackathon dar, den der Verein im Mai organisiere, so Hächler.

Von der Machbarkeitsstudie zur Marke

Zwei weitere Baustellen nimmt sich der Verein Museumsquartier für dieses Jahr vor: Da wären zum einen die Finanzen. Das Budget der Geschäftsstelle in Höhe von rund einer halben Million Franken steht für 2025 noch nicht – dazu entsteht derzeit ein Betriebskonzept. Für weitere Aktivitäten müssen ausserdem Drittmittel eingeworben werden. Eine schwerfällige Dachorganisation soll es unter ihrer Führung nicht geben, beteuern Mentha und Hächler. 

Ebenfalls in diesem Jahr geht es in Zusammenarbeit mit einer Agentur darum, eine griffige Marke des Museumsquartiers zu erschaffen. Wie wichtig das ist, zeigt das Beispiel Wien, in dem das «MQ» nicht nur in Kulturkreisen in aller Munde ist. Die Sitzmöbel im Inneren des Areals, Enzos genannt, besitzen mittlerweile Legendenstatus. 

MQ-Vordenker Dieter Bogner sagt am Telefon aus Wien, dass dies auch in Bern gelingen kann. Er führt das Beispiel Salzburg ins Feld, wo er für das Domquartier einen Museumsleitplan entwarf – und fünf ganz unterschiedliche Einrichtungen zusammenführte.

Das Berner Museumsquartier müsse auch ausserhalb Berns und im Ausland als solches wahrgenommen werden. Zu den finanziellen Engpässen in Bern sagt er: Das Museumsquartier müsse zwar an einem Stück geplant, aber nicht zwingend an einem Stück umgesetzt werden. Und: «Wer so etwas Grossartiges machen will, sollte nicht an den falschen Ecken sparen.» Was bis jetzt gelaufen sei, bezeichnet er als Warmlaufphase: «Jetzt müssen Nägel mit Köpfen gemacht werden.»

tracking pixel

Diskussion

Unsere Etikette
Ruedi Muggli
27. Februar 2024 um 12:20

Angesichts der leeren Stadtkasse stellt sich schon die Frage, was wünschbar und was nötig ist … Die Gemeinde Bern erstellt und unterhält schon Sportanlagen für eine ganze Grossregion und zahlt weitaus am meisten an die Kultur. Am Ende wirft man dann ihr Misswirtschaft vor, weil sie auch noch etwas an die Obdachlosen und an die Flüchtenden zahlt.