Bernapark Stettlen

Das Dorf der Familie Müller

Die Familie von Investor Hans-Ulrich Müller erschafft im beschaulichen Stettlen ein visionäres, urbanes Quartier. Seine Tochter Caroline Forte erklärt, wie es um den Bernapark steht.

Caroline Forte
Bernapark
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© Danielle Liniger
Caroline Forte im Innenhof des Bernaparks, langsam sollen sie und ihre Geschwister in die Fussstapfen des Vater treten. (Bild: Danielle Liniger)

Der Kamin der ehemaligen Kartonfabrik Deisswil ragt markant in die Höhe und wirft einen langen Schatten. Er ist das Wahrzeichen der neuen Kleinstadt namens Bernapark. Ein urbanes Dorf, das seit 2021 bezogen wird und gleichzeitig immer noch am Entstehen ist. Es ist ein Ort, wo man arbeiten, wohnen, konsumieren, entspannen können soll. Bereits sind 173 Wohnungen vermietet, es gibt Gastrobetriebe, Läden, eine Kita, ein Fitnesscenter, einen Start-Up-Hub und sogar ein Museum.

Der Bernapark ist die Vision von Hans-Ulrich Müller, dem früheren CS-Banker und heutigen Investor, der mit der Bernapark AG in den letzten Jahren erst die Kartonfabrik, und später auch vier Gastrobetriebe im Gantrisch-Gebiet aufgekauft hat. Zudem hat Müller diverse in Schieflage geratene KMU «gerettet» und dabei auch Arbeitsplätze erhalten.

Sein Vorgehen: Er kauft sanierungsbedürftige Betriebe oder Teile davon, investiert in sie und gestaltet sie so um, dass sie wieder Gewinn abwerfen können. Er ist Wohltäter und Geschäftsmann in einem. Doch hinter der Firma steht die ganze Familie Müller.

Impressionen der Hauptstadt im Bernapark 2023 fotografiert am Freitag, 17. November 2023 in Stettlen. (haupstadt.be / Simon Boschi)
«Hauptstadt» im Bernapark Stettlen

Der bachsteinerne Kamin ist unübersehbar. Er wirkt wie ein erhobener Zeigefinger, wenn man aus dem einsamen Gümligental nach Stettlen hinunterschaut. Hier passiert etwas, signalisiert der Schlot der früheren Kartonfabrik Deisswil. Der mächtige Industriekomplex wird schrittweise umgebaut zu einem urban anmutenden Quartier namens Bernapark, in dem gearbeitet, gewohnt, gelebt wird.

Bern ist nicht berühmt für seinen Unternehmergeist. Der Bernapark ist ein Wagnis draussen im Grünen. Als Inspirationsort für Start-ups will das Zentrum für Innovation und Digitalisierung (ZID), in dessen geräumigem Co-Working-Space die «Hauptstadt»-Redaktion diese Woche arbeitet, junges Unternehmertum fördern. Wörter wie Pioniergeist stehen an der Wand, ab und zu fährt ein Servierroboter durch den Gang, irgendwo steht: «Have you found Steve Jobs in you?».

Die «Hauptstadt», selber ein junges, kämpferisches Unternehmen, schaut diese Woche genau hin im Bernapark Stettlen.

Seine Tochter Caroline Forte sitzt seit dem ersten Tag der Bernapark AG, seit 2010, im Verwaltungsrat und ist wie ihre beiden Geschwister Teil der Geschäftsleitung. Sein Sohn Philipp Müller ist als Projektleiter angestellt. Seine Tochter Michèle Müller arbeitet als Projektleiterin Immobilien bei allen Bauprojekten mit. Im Rahmen der GL-Sitzungen und bei zusätzlichen Familiensitzungen wird darüber diskutiert, wohin sich der Bernapark noch entwickeln kann. Alle äussern Ideen. Falls kein Konsens erzielt werden kann, trifft die finale Entscheidung bisher Patron Hans-Ulrich Müller.

Alles, was es zum Leben braucht

So erzählt es Caroline Forte. Sie steht an diesem trüben Nachmittag im November im Innenhof des Bernaparks, dort ist sie geschützt vor Wind und Wetter. Allmählich soll die vierfache Mutter zusammen mit ihren Geschwistern in die Fussstapfen ihres Vaters treten. In letzter Zeit übernimmt die 47-Jährige vermehrt offizielle Aufgaben, hält Vorträge, macht Führungen, empfängt Medien. Caroline Forte redet ehrfürchtig von ihrem Vater. Sie nennt ihn Papi. «Ihm verdanke ich alles», sagt sie.

Im grossen Sitzungsraum im alten Verwaltungsgebäude der Kartonfabrik, in dem auch die neue Verwaltung untergebracht ist, präsentiert sie an einem massiven, unglaublich langen Tisch die Vision von Hans-Ulrich Müller. Sie ist farbig ausgedruckt und geheftet, umfasst 41 Seiten und eigentlich alles, was es zum Leben braucht. Sinnbildlich dafür illustriert ein Windrad mit verschiedenen Spickeln alle möglichen Lebensbereiche: Mobilität, Einkaufen, Unternehmertum & Innovation, Fitness, Kunst & Kultur, Gesundheit, Bildung und so weiter.

Impressionen der Hauptstadt im Bernapark 2023 fotografiert am Freitag, 17. November 2023 in Stettlen. (haupstadt.be / Simon Boschi)
Der Bernapark, wo sich früher die Kartonfabrik befand, von oben. (Bild: Simon Boschi)

Hans-Ulrich Müller hat schon 2013 beschrieben, was er mit dem Bernapark vorhat: «Ein Ort, wo Menschen ein Zuhause haben, das ihnen vieles gibt, was das Herz begehrt. Dies in einer guten Balance, für jeden Gusto und vor der Haustüre. Ein Ort mit Traditionen und Innovationen, der lebt und Freude macht.»

Caroline Forte, seit sieben Jahren verheiratet mit dem Fussball-Trainer Uli Forte (momentan bei Neuchâtel Xamax), redet schnell, weiss viel, erzählt viel. So viel, dass man nach gut einer Stunde Zuhören ganz erschlagen ist. Dabei klingt die Entstehung des Bernaparks wirklich wie ein Berner Märchen.

Es begann 2010. Der österreichische Mutterkonzern Mayr-Melnhof verkündete die Schliessung der Kartonfabrik. Credit-Suisse-Banker Hans-Ulrich Müller erfuhr im Zug von Basel nach Bern davon. Dort sass er mit Kartonfabrik-Verwaltungsrat Heinz Hofmann. Noch bevor der Zug in Bern einrollte, beschloss er, die Kartonfabrik zu retten und alle 253 entlassenen Mitarbeiter*innen wieder einzustellen. Heinz Hofmann engagierte er als Verwaltungsrat. Noch am gleichen Tag rief er auch Tochter Caroline an: «Er fragte: Kommst du in den Verwaltungsrat? Du hast 24 Stunden Bedenkzeit», erinnert sie sich.

Caroline Forte
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Caroline Forte erklärt die Idee hinter dem Bernapark. (Bild: Danielle Liniger)

Sie brauchte keine 24 Stunden. «Wenn Papi etwas macht, kommt es gut.» Und es kam sogar noch besser, als sich die Familie Müller ausgemalt hatte. Die Bedingung von Mayr-Melnhof war gewesen, dass in Deisswil kein Karton mehr hergestellt werden durfte. Der Familie Müller war ein Industrie- und Dienstleistungspark vorgeschwebt, Ableger von internationalen Industriekonzernen, die auch einige der Mitarbeiter*innen übernehmen könnten, zeigten Interesse und wollten sich in Stettlen ansiedeln.

Doch Stettlens Gemeindepräsident Lorenz Hess (Mitte), der für Müller schon über den Verkauf der Kartonfabrik verhandelt hatte, brachte andere Ideen: Er kam mit dem Vorschlag auf die Müllers zu, auch Wohnungen zu bauen. Dafür musste das Land umgezont werden. 2016 stimmte die Stettler Gemeindeversammlung der Umzonung zu. Seither dürfen auf vorerst einem Drittel des Areals auch Wohnungen gebaut werden. Es war ein von Caroline Forte angeregter Kompromiss. «Sonst wären wir immer noch am Vorlagen ausarbeiten», sagt sie.

Konsolidieren

Heute ist dieses Drittel umgenutzt und bebaut. Etwa 340 Menschen leben in den grosszügigen Wohnungen, pro Tag bewegen sich rund 450 Leute auf dem Areal. Sie arbeiten, leben oder bauen hier. Im nächsten Sommer wird die Schule für Gestaltung in den Bernapark ziehen. Zwischen 200 und 300 Student*innen, die täglich ein- und ausgehen, in der eigens gebauten Mensa einkehren, auf den Treppenstufen hinter dem Schulgebäude verweilen werden. Auch eine Sporthalle soll gebaut werden. Das Provisorium ist für 10 Jahre gedacht, im Bernapark hofft man, dass die Schule länger bleibt. Vielleicht für immer. 3,9 Millionen Franken Miete pro Jahr zahlt der Kanton für den neuen Campus an die Bernapark AG.

In den letzten Jahren hat Hans-Ulrich Müller mehrfach öffentlich die Vision geäussert, dass hier bis 2040 2000 Menschen leben und arbeiten sollen. Doch obwohl diese Pläne immer noch existieren, wird es länger dauern, bis es soweit ist. In den neuesten Plänen steht die Jahreszahl 2050. Die Entwicklung des Bernaparks geschehe «schrittweise», sagt Caroline Forte dazu. «Wir sind ein Familienunternehmen.»

Länger dauert es einerseits, weil die Ortsplanungsrevision von Stettlen mehrfach aufgeschoben wurde, zuletzt auf Frühling 2024. Sie würde die rechtlichen Voraussetzungen dafür schaffen, dass auch der Rest des Areals für eine gemischte Nutzung von Wohnen und Gewerbe bebaut werden kann.

Caroline Forte
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Im Bernapark werden auch Räume vermietet, erzählt Caroline Forte, so etwa die BEKB-Lounge. (Bild: Danielle Liniger)

Doch das ist nicht der einzige Grund. «Wir müssen den heutigen Bernapark erst konsolidieren», sagt Caroline Forte. Das heisst übersetzt: durch Vermietungen Einnahmen erzielen, mit den Überschüssen Schulden abbauen und danach das Geld reinvestieren. Als nächstes ins alte Kesselhaus, wo der Familie ein Bierbrauhaus im Erdgeschoss vorschwebt. In den oberen Stockwerken sollen Wohnungen realisiert werden. Auch wenn die Müllers der früheren Kartonfabrik zu neuem Leben verholfen haben, ist der Bernapark letztlich ein Geschäft – und auch ein Risiko. Am Schluss muss er sich finanziell lohnen.

Über Geld spricht die Familie öffentlich nicht so gern. Oder wie Caroline Forte sagt: «Zahlen sind Familienangelegenheit.» Aber ja, räumt sie ein, man habe viel investiert. Für die schon realisierte erste Tranche seien es rund 100 Millionen Franken gewesen, wie mehrfach zu lesen war.

Schon nur die damalige Übernahme aller 253 Mitarbeitenden war teuer: «Das war eine Lohnsumme von 2 Millionen Franken – monatlich», sagt sie. Um das zu finanzieren, habe man Land rund um die Fabrik verkauft. «Das würden wir heute natürlich nicht mehr tun.» Zu kostbar sind Landreserven, die bereits eingezont sind oder sich in unmittelbarer Umgebung von Bauzonen befinden.

Bahnhof verlegt

Die meisten der früheren Kartonfabrik-Mitarbeiter*innen haben inzwischen andere Arbeit gefunden, zum Beispiel in der Lebensmittelverarbeitung oder als Lager- oder Logistikmitarbeiter*innen. Einige arbeiten aber immer noch im Bernapark, so etwa der jetzige Geschäftsführer Ivo Sonderegger oder Rafael Colombo, der heute das Facility Management leitet und für den Arealbetrieb zuständig ist. Das Bernapark-Team umfasst 25 Angestellte, die sich um Vermietung, Gebäude, Bau, Treuhand und weitere Ausrichtung kümmern.

Ihr Arbeitsplatz ist auch verkehrstechnisch gut gelegen. Die RBS-Haltestelle Deisswil wurde für den Bernapark 200 Meter in Richtung Bern versetzt. Wer nun aus dem Zug steigt, braucht nur ein paar Schritte bis zum grossen Areal. Was auch ein Nachteil sein kann: Wer hier arbeitet oder wohnt, kommt nicht zwingend im alten Kern von Stettlen vorbei. Und umgekehrt.

Darum muss der Bernapark aktiv auf Stettlen zugehen. «Letzthin habe ich eine Führung für den Elternrat von Stettlen gemacht», erzählt Caroline Forte. «Nachher sagten mir zwei Väter, sie hätten nicht fünf Prozent von dem gewusst, was hier passiert.»

Um Bernapark und Stettlen näher zusammenzuführen, veranstaltete der Bernapark im Oktober ein Fest. «Es war eine Art Dorffest mit Bands, offenen Türen und Darbietungen des Turnvereins», sagt Caroline Forte. Es sei ein voller Erfolg gewesen. «Wir haben das Fest für alle Stettlerinnen und Stettler gemacht, sie sollen sehen und erleben, was hier entsteht», sagt Forte. Schliesslich stimmen die Stettler*innen voraussichtlich im nächsten Frühling über die Ortsplanungsrevision ab.

Das grosse Vorbild

Und was an dieser Vision Bernapark ist jetzt eigentlich ihre eigene? Caroline Forte muss nicht lange überlegen. «Es ist die Vision von uns allen», sagt sie, «jeder darf mitreden, das ist das Schöne an unserer Familie.» Aber klar, am Schluss habe immer noch ihr Vater den Stichentscheid. Sie empfinde seinen Schatten nie als zu gross. «Im Gegenteil: Ich bin sehr stolz auf ihn, ohne ihn wäre mein Leben nicht halb so schön.»

Hans-Ulrich Müller sei das grosse Vorbild von allen in der Familie, ein Menschenfreund, der allen helfen wolle, dem die Familie das Wichtigste sei. «Und er schafft immer noch 100 Liegestützen am Tag.» Neulich hätten Schulkolleg*innen ihrer Töchter das nicht geglaubt, da hätten sie den 73-Jährigen gebeten, ein Video von seinen Fitnessübungen zu machen und ihnen zu schicken.

«Papi lässt uns freie Hand», unterstreicht Caroline Forte noch einmal, «aber es ist ja auch in meinem Interesse, dass es gut kommt.» Zum Schluss des Gesprächs, kurz bevor Caroline Forte das RBS-Bähnli nehmen muss, um in Bern den Zug nach Zürich zu erwischen, wo sie lebt, geht sie noch einmal mit schnellen Schritten durch den Innenhof. Links ragt der unverkennbare ehemalige Kamin auf. Noch ist nicht klar, was damit gemacht wird.

Ideen gibt es viele. Erst wollte man den höchsten Pizzaofen der Welt bauen, bis herauskam, dass es laut Guinness Buch der Rekorde bereits einen höheren gibt. Dann wollte man auf dem 50-Meter hohen Kamin eine Aussichtsplattform machen, doch der Denkmalschutz erlaubte den Lift nicht. Und so steht der Kamin ungenutzt im Bernapark. Ein Wahrzeichen, das einen langen Schatten wirft und immer prägend sein wird.

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Diskussion

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Cristina Alberghina
21. November 2023 um 07:47

Danke für den Artikel. Er stimmt mit meinem Eindruck überrein. Viel Geschwätz!

Ich finde das Müller-Projekt wenig geglückt. Viel Beton, Auto und Glas (viel 0815) - wenig Authentizität und Grünes. Die alte Kartonfabrik hätte so cool und lebendig wie das Freilager in Zürich werden können. Nun ist ein toter Bernapark entstanden, in dem sich die prüde Berner Kantonalbank einmietet.

Catherine Mühlemann
21. November 2023 um 06:46

Guten Morgen, ein sehr schöner Artikel zum Bernapark! Im ersten Teil fehlt bei der Aufzählung Coop, Wohnungen etc. die Schweizerische Malschule SMS.

Freundliche Grüsse

Catherine Mühlemann