Das Mitspracherecht bleibt auf der Strecke
Die Mitarbeiter*innen von Coop Ryfflihof erfuhren zuerst aus den Medien, dass die Filiale am Samstag eine Stunde länger geöffnet hat. Obwohl die Verlängerung schon lange diskutiert wird.
Ende Oktober hat der Berner Regierungsrat dem Pilotprojekt zur Änderung der Ladenöffnungszeiten in der Berner Innenstadt zugestimmt. Ab Dezember dürfen die Läden am Samstag nun bis 18 Uhr, also eine Stunde länger, geöffnet bleiben. Am Donnerstagabend soll der Abendverkauf im Gegenzug um eine Stunde verkürzt werden. Das Pilotprojekt läuft bis Ende 2025 und wird dann auch unter Berücksichtigung der Arbeiter*innen evaluiert.
Das Wochenende schwindet
Von den Veränderungen betroffen ist auch Coop Ryfflihof. Auf Anfrage der «Hauptstadt» bestätigt Coop, dass die Filiale ab Dezember am Samstag eine Stunde länger geöffnet haben wird.
Was nach einem fairen Abtausch klingt – am Samstag eine Stunde länger geöffnet, dafür am Donnerstag eine Stunde früher Schluss – sieht die Gewerkschaft Unia skeptisch: Die Stunde am Samstag erschwere die Vereinbarung von Arbeit und Privatleben der Arbeiter*innen, schreibt sie in einer Medienmitteilung. Zurzeit würden auf mehreren Ebenen Vorstösse gemacht, um die Arbeitszeiten weiter zu liberalisieren, erklärt Elisabeth Fannin, Mediensprecherin der Gewerkschaft Unia. Das wirke sich direkt auf die Arbeitsbedingungen der Angestellten im Detailhandel aus. Die Unia versuche deshalb, die Liberalisierung der Öffnungszeiten mit aller Kraft zu bekämpfen.
Eine Mitarbeiter*in des Coop Ryfflihof erzählt der «Hauptstadt», wie die Verlängerung am Samstag ihr Sozialleben beeinflusse: «Wenn ich zum Znacht eingeladen werde, wird es für mich von nun an knapp, der Einladung nachzukommen. Ich wäre erst zu spät dort. Der Samstagabend, der für mich sehr wichtig ist, fällt dann eigentlich weg, und mein Wochenende verkürzt sich.» Sie begrüsse dafür die Verkürzung der Öffnungszeit am Donnerstagabend, auch wenn diese ihr Sozialleben weniger beeinflusse.
Coop Ryfflihof informiert kurzfristig
Dass diese einschneidende Veränderung ihres Arbeitsalltags schon bald Tatsache wird, erfuhr die Mitarbeiterin aus den Medien. Von ihrer Arbeitgeberin informiert wurden sie und ihre Kolleg*innen erst einen Tag nachdem der Kanton und die Medien die neuen Öffnungszeiten verkündet hatten. Also bloss einen Monat, bevor sich die Öffnungszeiten ändern werden. Coop findet das nicht bedenklich. Der Grossverteiler habe selbst erst «kurzfristig» vom Entscheid des Kantons erfahren, schreibt die Medienstelle auf Anfrage der «Hauptstadt».
Das ist zumindest erstaunlich. Denn: Eine Veränderung der Ladenöffnungszeiten wird in Bern seit einiger Zeit öffentlich diskutiert, und zwar auf Initiative von Wirtschafts- und Arbeitgeberverbänden, zu denen auch Coop gehört. Im März 2023 teilten der Handels- und Industrieverein des Kantons Bern, die Innenstadtvereinigung Bern City, die Gewerkschaft Unia und der Kaufmännische Verband gemeinsam mit, ein Pilotprojekt für einen verlängerten Samstagsverkauf zu prüfen.
Jetzt hat der Regierungsrat dem Pilotversuch zugestimmt. Den Geschäften in der Innenstadt ist es selbst überlassen, wann und ob sie ihre Ladenöffnungszeiten anpassen wollen. Dass der Beschluss des Regierungsrates kurzfristig kam, ist daher kein Argument für die zeitnahe Veränderung der Arbeitszeiten.
Arbeitsbedingungen im Detailhandel
Dass die Mitarbeiter*innen des Coop Ryfflihof erst so kurzfristig informiert wurden, hat auch mit ihrem Arbeitsvertrag zu tun: Ladenöffnungszeiten seien nicht im Arbeitsvertrag integriert und müssten erst beim Eintreffen des aktuellen Arbeitsplans festgehalten werden, erklärt Gewerkschafterin Elisabeth Fannin. Der Arbeitsplan müsse jedoch mindestens 14 Tage im Voraus erscheinen, was von vielen Arbeitgeber*innen bereits missachtet werde. Aber auch, wenn diese Frist eingehalten werde, sei es bedenklich, wenn solche Veränderungen kurzfristig mitgeteilt würden. Es nehme den Angestellten das Recht auf eine Mitsprache ihrer Arbeitsbedingungen.
Nicht nur Coop, auch Migros und Loeb werden auf Anfang Dezember die Ladenöffnungszeiten ihrer Filialen anpassen. Beide Unternehmen bestätigen auf Anfrage der «Hauptstadt», ihre Mitarbeiter*innen erst nach Entscheid des Regierungsrats über die Veränderung informiert zu haben. Wobei sie dies umgehend getan hätten. Laut Ronald Christen, CEO von Loeb, sei man vom Entscheid «überrascht» worden.
Wie die Mitarbeiter*innen zu den veränderten Ladenöffnungszeiten stehen, wird sich bei der Auswertung des Pilotprojekts zeigen. Ob und wie auf ihre Bedürfnisse dann eingegangen wird, ebenfalls.