Demoverbot – Stadtrat-Brief #18
Sitzung vom Donnerstag, 16. November 2023 – die Themen: Grosskundgebungen; Ka-De-We; Klimaanpassung; papierlose Debatten; Reitschule. Ratsmitglied der Woche: Janina Aeberhard (GLP).
Das Verbot von Grosskundgebungen in der Berner Innenstadt bis nach Weihnachten führte gestern im Stadtrat auch zu einer kleinen Kundgebung – und zwar in Form einer aktuellen Debatte. David Böhner (AL) hatte eine solche kurzfristig gefordert, nachdem der Gemeinderat das Verbot letzte Woche verkündet hatte.
Böhner kämpft auf allen Ebenen für das Recht auf Grosskundgebungen. So hat er ein Gesuch für eine Demo gegen das Demoverbot mit Umzug durch die Innenstadt gestellt. Es wurde nicht bewilligt. Auch im Rat zeigte sich Böhner empört. Wenn Kommerz höher gewichtet werde als freie Meinungsäusserung, sei das ein Zeichen von «autoritären Tendenzen». Die angefragte Demo werde man nicht durchführen, sagte Böhner. «Wir wollen kein ‹Geschlegel› mit der Polizei.» Er strebe eine gerichtliche Klärung an und werde Beschwerde gegen die Verfügung mit dem nicht bewilligten Umzug einreichen.
In der folgenden Debatte kritisierten die anderen linken Parteien von SP bis zu den Grünen den Gemeinderat ebenfalls für die «Einschränkung der Versammlungsfreiheit». Verteidigt wurde die Regierung für einmal von der Opposition. FDP, Mitte und SVP betonten, dass gar kein Demoverbot vorliege.
Sicherheitsdirektor Reto Nause sagte, der Gemeinderat habe keinesfalls ein generelles Kundgebungsverbot erlassen. So werde es in den kommenden Wochen viele Mahnwachen geben, auch in der Innenstadt. Dann enervierte sich Nause wortreich über das Vorgehen von AL-Stadtrat Böhner: «Jetzt komme ich zu dir, David» sagte Nause bedeutungsvoll. Man habe das Demo-Gesuch geprüft. «Und wir hätten dir sogar den Bundesplatz gegeben, den symbolträchtigsten Platz der Demokratie!» Böhner habe sich aber nur für die Verfügung interessiert. «Du scheinst mir grenzenlos stur zu sein», sagte Nause und rief in den Ratssaal: «Ich weiss, wer vor Gericht als Sieger vom Platz gehen wird.»
Stadtpräsident Alec von Graffenried versuchte zu beschwichtigen und sagte – auch an seinen Kollegen Nause gerichtet: «Kommunikativ ist nicht alles optimal gelaufen.» Doch auch von Graffenried betonte, es gebe kein Demonstrationsverbot. Für den Gemeinderat seien Weihnachtsanlässe nicht wichtiger als die Versammlungsfreiheit. Grosse Kundgebungen seien aber in der Adventszeit eine besondere Belastung für den öffentlichen Raum. Darauf habe man auch in früheren Jahren immer hingewiesen.
David Böhner wiederum konterte am Ende der Debatte: «Es ist absurd, dass ich als Anarchist dem Sicherheitsdirektor Nachhilfe in Staatskunde geben muss.» Zu einer Kundgebung gehöre einfach auch ein Umzug. Darum wolle er juristisch klären lassen, ob das Verbot eines solchen zulässig sei.
Janina Aeberhard (33) sitzt seit 2021 für die Grünliberalen im Stadtrat. Sie hat an der Universität Luzern einen Master in Weltgesellschaft und Weltpolitik absolviert und arbeitet seit 2021 als stellvertretende Generalsekretärin bei der Europäischen Bewegung Schweiz.
Warum sind Sie im Stadtrat?
Ich habe 2020 für den Stadtrat kandidiert, weil ich die städtische Politik nicht mehr nur in den Medien mitverfolgen, sondern aktiv mitgestalten wollte. In keiner anderen Stadt würde ich lieber leben als in Bern und ich erachte es als grosses Privileg, als Stadträtin die Zukunft von Bern mitprägen zu dürfen.
Wofür kennt man Sie im Rat – auch ausserhalb Ihrer Partei?
Ich versuche Lösungen über die Parteigrenzen hinweg zu finden und höre mir auch gerne die Argumente meiner politischen Gegner*innen an. Insbesondere wenn es um die familienergänzende Kinderbetreuung oder die städtischen Finanzen geht, diskutiere ich leidenschaftlich gerne. Ansonsten spreche ich eher nur dann, wenn ich wirklich etwas Wichtiges zu sagen habe und nicht bloss, damit ich am Rednerpult gestanden bin.
Welches ist Ihr grösster Misserfolg im Rat?
Misserfolge gehören im politischen Alltag dazu und als Grünliberale in einem Parlament mit rot-grüner Mehrheit bin ich es gewohnt, Abstimmungen im Rat zu verlieren. Das ärgert mich manchmal zwar ganz schön, aber motiviert mich auch, dran zu bleiben und weiterhin für meine Überzeugungen einzustehen.
Worauf sind Sie stolz bei Ihrer Ratsarbeit?
Ich bin stolz, zusammen mit Maurice Lindgren eine tolle Fraktion leiten zu dürfen. Ausserdem versuche ich immer wieder, vielfältige Kontakte im Rat und ausserhalb zu pflegen.
Welches ist Ihr liebster Stadtteil und warum?
Ich habe viele Lieblingsorte in Bern, aber am liebsten bin ich im Breitenrain und rund ums Wankdorf Stadion, wo ich auch wohne. Im Breitsch gibt es an vielen Orten super Kaffee, feines Bier und gute Restaurants für ein leckeres Nachtessen. Und als YB-Fan halte ich mich auch regelmässig im Fussballstadion auf. Im Sommer trifft man mich zudem wenn immer möglich im Lorrainebad an.
Diese Themen waren ebenfalls wichtig:
- Ka-We-De: Die Kunsteisbahn und das Wellenbad Dählhölzli (Ka-We-De) sollen für 59 Millionen Franken saniert werden. Die Abstimmungsbotschaft zu Handen des Stimmvolks erhielt von rechts bis links Zustimmung. Zu reden gaben lediglich die hohen Kosten, die unter anderem mit den Vorschriften der Denkmalpflege zu tun haben. Und das Grüne Bündnis stellte zur Debatte, ob die Eisbahn nicht auch klimaverträglicher mit Kunsteis betrieben werden könnte. Doch die eigene Gemeinderätin Franziska Teuscher erteilte da eine Absage: «Kunsteis ist im Moment noch keine Alternative.» Darauf votierten auch die Grünen für die Gesamtsanierung. Sie wurde mit 59 zu 1 Stimmen angenommen.
- Entsiegelung: Auch bei den Klimaanpassungsmassnahmen in der Optingenstrasse im Breitenrain herrschte im Rat grosse Einigkeit. So erhielt der Kredit über 850’000 Franken sogar Zustimmung aus der SVP-Fraktion. Dafür gibt es zwei Gründe. Einerseits zahlt die Versicherung Mobiliar mit 450’000 Franken einen beträchtlichen Teil an die Gesamtkosten von 1,3 Millionen Franken. Andererseits verzichtet die Stadt aus Angst vor Einsprachen auf die Aufhebung von Parkplätzen, damit man die Entsiegelung der Strasse gemeinsam mit geplanten Bauarbeiten von Energie-Wasser-Bern im kommenden Jahr vornehmen kann. Bis 2025 werden Teile des Asphalts durch Mergel und Grünflächen ersetzt und es werden rund 20 Bäume gepflanzt. Damit sollte die Optingenstrasse im Sommer etwas kühler werden. Derzeit gehört sie laut Tiefbaudirektorin Marieke Kruit (SP) zu den heissesten Orten in der Stadt.
- Papierlos: Der Stadtrat wird papierlos. Er hat entschieden, dass die Sitzungsunterlagen künftig nicht mehr gedruckt und den Stadträt*innen per Post nach Hause geschickt werden. Damit könne der Rat einen hohen fünfstelligen Betrag sparen, sagte FDP-Stadtrat Tom Berger. In begründeten Fällen können Stadträt*innen Dokumente dennoch gedruckt erhalten.
- Reitschule: Kurz vor Ende der Sitzung schaffte es der Rat, ein paar alte Vorstösse zur Reitschule zu verabschieden. Die Motionen von SVP, CVP und FDP aus den Jahren 2017 bis 2020 handelten von Sicherheitsbedenken. Stadtpräsident Alec von Graffenried betonte, das Verhältnis zwischen Reitschule und öffentlicher Hand habe sich seit dem Einreichen der Vorstösse stark entspannt. Dennoch wollte die SVP die Motionen noch diskutieren, was die Ratslinke nach den Fraktionsvoten abgeklemmte, indem JA-Stadtrat Mahir Sancar einen Ordnungsantrag stellte, die Redner*innenliste zu schliessen. Die beiden SVP-Stadträte Alexander Feuz und Erich Hess, die sich noch rechtzeitig auf die Liste gesetzt hatten, schimpfen dann mehr über den Abbruch der Diskussion, als dass sie über die Reitschule sprachen. Die Vorstösse lehnte der Rat ab.
PS: Die Behandlung des Vorstosses zur möglichen Fusion der Burgergemeinde mit der Einwohnergemeinde von SP-Stadtrat Halua Pinto de Magalhães, über den er vor einer Woche am Hauptsachen-Talk mit Burgergemeindepräsident Bruno Wild debattierte, wurde schon wieder verschoben. Wegen der aktuellen Debatte zum Demoverbot schaffte es der Rat nicht bis zum Traktandum 16, dem burgerkritischen Vorstoss aus dem Jahr 2018.