«Wir schauen zu unserem Vermögen»
Die Burgergemeinde steuere die Stadt Bern nicht aktiv, sagte Bruno Wild. Es gehe um symbolisches Kapital, entgegnete Halua Pinto de Magalhães. Der Burgerratspräsident und der burgerkritische SP-Stadtrat lieferten sich im «Hauptsachen»-Talk eine animierte Debatte.
Die Burgergemeinde bewegt die Menschen in Bern. Die Kleine Bühne im Progr war mit gegen 100 Zuhörer*innen gefüllt, als «Hauptsachen»-Moderator Joël Widmer die Frage des Abends stellte: Wie mächtig ist die Burgergemeinde?
Burgerratspräsident Bruno Wild, sozusagen der Stadtpräsident der Burgergemeinde, war zwischendurch zu ironischen Bemerkungen aufgelegt. An seinem Amtssitz, dem Generationenhaus am Bahnhofplatz, könnten die Leute im Innenhof sogar bräteln, sagte er. Er wisse nicht, ob sein Amtskollege, Stadtpräsident Alec von Graffenried (der übrigens auch Burger ist) Freude hätte, wenn es im Garten des Erlacherhofs über der Aare eine öffentliche Feuerstelle gäbe.
Bei der Machtfrage blieb Wild aber ernst. Die Burgergemeinde übe keine Macht aus in dem Sinn, dass sie etwa mit ihrem Bodenbesitz eine Strategie verfolgen würde. Sie wolle nicht beeinflussen, in welche Richtung sich die Stadt Bern entwickeln sollte. «Wir steuern die Stadt nicht aktiv», sagte Wild. Im Gegenteil: Wenn sie ein Anliegen habe, komme die Stadt auf die Burgergemeinde zu. Und nicht umgekehrt.
Nahrhafte Steuerzahlungen
Die Kantonsverfassung verpflichte die Burgergemeinde, ihre Erträge von rund 50 Millionen Franken pro Jahr «zum Wohl der Allgemeinheit» an die Gesellschaft zurückfliessen zu lassen. Ausserdem zahle sie Steuern. Und zwar «gerne», wie Wild sagt, und angesichts der Liegenschaftserträge seien die Steuerzahlungen auch «nahrhaft». Zudem: Die Burgergemeinde fülle rund 300 Funktionen mit ehrenamtlicher Arbeit aus. Alle erfüllten staatstragende Aufgaben, betonte er. Genüsslich zitierte Wild den früheren Stadtpräsidenten Alexander Tschäppät (SP), der 2017 sinngemäss schrieb: «Die Burgergemeinde ist nicht bloss Gutmenschentum. Sie ist für Bern ein Idealfall.»
SP-Stadtrat Halua Pinto de Magalhães ist in der gleichen Partei, wie es der 2018 verstorbene Tschäppät war. Er steht dem «einflussreichen Konstrukt» Burgergemeinde aber sehr kritisch gegenüber und fordert in einem hängigen politischen Vorstoss eine Strategie, wie man Einwohner- und Burgergemeinde zusammenlegen könnte.
Wer gehört dazu? Wer nicht?
Ihm geht es um Grundsätzliches: Dass in einer Demokratie alle Menschen, die von Entscheiden betroffen sind, über diese mitbestimmen dürfen. Für ihn ist die Burgergemeinde ein Ausdruck von Exklusivität. Wer gehört dazu, und wer nicht. Und wer entscheidet darüber. Davon sei das Thema der Bürgerrechte in der Schweiz generell durchzogen.
Die Burgergemeinde habe sich in den letzten Jahren zwar «gemacht», räumte Pinto de Magalhães ein. Sie habe ihre Sozialfürsorge und die Öffentlichkeitsarbeit professionalisiert. Und es sei immer schön, wenn sich eine Institution für die Allgemeinheit einsetze. «Aber was geblieben ist: Sie muss sich grundsätzlich immer legitimieren.» Deshalb bemühe sich die Burgergemeinde, sich immer wieder von ihrer besten Seite präsentieren: Sie müsse ständig zeigen, wie «cool» sie sei.
«Es geht um symbolisches Kapital», sagte Pinto, «und die Burgergemeinde unterschätzt das.» Was er damit meint, erläuterte er an seiner eigenen Familiengeschichte.
Reizwort Ancien Régime
Er selber habe ja mit dem «de» auch ein «von» in seinem Namen. Pinto de Magalhaes hat einst versucht, seine Familiengeschichte zu recherchieren. Seine Mutter ist Schweizerin, sein Vater stammt aus Mosambik. Er ist sowohl portugiesischer als auch mosambikanischer Abstammung. Auf der portugiesischen Seite konnte er die Wurzeln bis ins 16. Jahrhundert zurückverfolgen. Auf der afrikanischen Seite nur bis zur ältesten lebenden Person, das war seine Urgrossmutter.
«Wer zur Geltung kommt in der Geschichte und wer nicht, wer welche Position findet in der Gesellschaft», so Pinto de Magalhães, das hänge auch mit den Zufällen der eigenen Herkunft zusammen. Und eine Institution wie die Burgergemeinde zementiere diesen Zustand des selektiven Ausgeschlossenseins. Ein Beispiel dafür? Im Münster gebe es ein Denkmal, sagte Pinto de Magalhães, den Gefallenen beim Einmarsch von Napoleon gewidmet, entstanden 1871. Zuoberst auf dieser Liste stehen die gefallenen Burger, die man offensichtlich als wichtiger einstufte.
Bei allen Leistungen der Burger*innen verstehe er nicht, warum man solche Mechanismen nicht stärker hinterfrage. Und es so dabei belasse, dass das Bild von Bern von einem «Überbleibsel der Feudalgesellschaft» geprägt sei.
Beim Stichwort Feudalgesellschaft wurde Burgerratspräsident Wild fast furios: «Es stimmt einfach nicht, dass die Burgergemeinde ein Überbleibsel den Ancien Régime ist», sagte er, «wer an diesem Narrativ festhält, kommt einfach nicht weiter.»
Burger Pinto de Magalhães?
Die Burgergemeinde sei eine Gemeinde wie jede andere auch, überwacht und transparent. Allein die unzähligen Auskünfte, die man der «Hauptstadt» in den letzten Wochen für ihren Themen-Schwerpunkt erteilt habe, würden das unterstreichen.
Was oft vergessen gehe, findet Wild: Die Burgergemeinde nehme langfristig die Verantwortung für die ihr übertragenenen Vermögenswerte wahr. «Wir schauen zu unserem Vermögen. Jede Gemeinde legitimiert sich über den Nutzen, den sie für die Allgemeinheit erbringt. Wenn wir das nicht schaffen, haben wir als Burgergemeinde ein Problem. Das wissen wir alle.»
Halua Pinto de Magalhães wurde gefragt, ob er nicht selbst bei der Burgergemeinde einen Antrag auf Einburgerung stellen würde. So könnte er Reformen im Innern anregen und die Offenheit der Einburgerungspolitik einem Test unterziehen. Er fand den Gedanken interessant. Er sagte, er habe früher schon einmal damit gespielt. Vorerst steht aber am 16. November die Stadtratsdebatte zu seinem Vorstoss an. Dort muss er selbst gespannt sein, wie sie von seiner eigenen Partei geführt wird, in der viele Burger*innen dabei sind.
Den «Hauptsachen»-Talk organisiert die «Hauptstadt» in Kooperation mit dem Kulturzentrum Progr. Nächster Talk: Donnerstag, 7. Dezember, 19.30 Uhr. Thema: Mediennutzung: Und du, konsumierst du Medien noch?
Die Artikelserie zur Burgergemeinde wurde mit Unterstützung von JournaFONDS recherchiert und umgesetzt.