Weitwanderinnen auf Durchreise
Rauhautfledermäuse sind Langstrecken-Wanderinnen. Im Herbst fliegen sie in den Süden und machen auch Rast in Bern.
In diesen Wochen ist Bern ein Hotspot. Hunderte von Rauhautfledermäusen ziehen hier auf ihrem Weg in den Süden vorbei. Ja, genau! Auch Fledermäuse können saisonale Weitstrecken-Wanderinnen sein, wie Mauersegler, Schwalbe und Co. Eine davon ist die Rauhautfledermaus, eine kleine Fledermausart mit einer Spannweite von etwas über 20 Zentimetern und einem Gewicht zwischen 6 und 10 Gramm. Pipistrellus nathusii heisst sie mit lateinischen Namen.
In der Schweiz kommen noch drei weitere Pipistrellus-Arten vor. Sie sind sich alle zum Verwechseln ähnlich: Klein und braun mit dunklem Gesicht und dunklen Ohren. Die Rauhautfledermaus ist jedoch die Grösste von allen und im Gegensatz zu den anderen Arten ist ihre Schwanzflughaut auf der Oberseite stark behaart.
Die Rauhautfledermaus liebt es kühl. So kommt sie auch in notorisch fledermausarmen Regionen wie Schottland, Schweden und Finnland vor. Das jedoch nur in den Sommermonaten.
Kurze Kindheit
Der Sommer ist bei den Fledermäusen die Zeit der Reproduktion. Wie alle Fledermausarten bilden die Weibchen der Rauhautfledermäuse gemeinsam sogenannte Wochenstuben, in denen sie ihre Jungen zur Welt bringen und aufziehen. 20 bis 200 Weibchen können sich eine solche Wochenstube teilen. Diese befinden sich oft in Rindenspalten und Baumhöhlen, gelegentlich aber beziehen Rauhautfledermausweibchen auch ein Gebäude. Zwar gibt es Nachweise von Wochenstuben auf der Iberischen Halbinsel, doch die meisten befinden sich im Norden Europas bis in den Ural und den Kaukasus.
Bereits Anfang Juni werden die Jungtiere geboren. Meist sind es Zwillinge. Es ist eine intensive Zeit für die Mütter, denn sie alleine sind für die Aufzucht der Jungtiere verantwortlich. Doch die Kindheit einer Fledermaus ist schnell vorbei. Schon vier bis sechs Wochen nach der Geburt sind die kleinen Rauhautfledermäuschen flügge und bald darauf auf sich alleine gestellt. Jagen lernen müssen sie notabene selbst.
Ab in den Süden
Ende Juli lösen sich die Wochenstuben der Rauhautfledermäuse auf und die grosse Wanderung in den Süden kann beginnen. Generell gilt bei den Rauhautfledermäusen: Gebären im Nordosten, Überwintern im Südwesten.
Aufgrund von Beringungen weiss man, dass beispielsweise die Überwinterungsgebiete der Rauhautfledermäuse der nordostdeutschen Populationen vor allem in dem Gebiet zwischen den Niederlanden, Frankreich und der Schweiz zu finden sind. Die Distanz zwischen Wochenstube und Überwinterungsquartier kann dabei gut und gerne über 1000 Kilometer betragen. Oder gar mehr: Die aktuelle Rekordhalterin bei den Rauhautfledermäusen überwinterte 1905 Kilometer weit weg von ihrer Wochenstube.
Unterkunft mit Balzgesang
Durchschnittlich 29 bis 48 Kilometer flattern die Rauhautfledermäuse auf ihren saisonalen Wanderwegen pro Nacht. Doch nicht alle Tiere fliegen jährlich die ganze Strecke. Viele Männchen positionieren sich strategisch günstig entlang der Zugwege. Denn bei den Rauhautfledermäusen beginnt gleichzeitig mit dem Auflösen der Wochenstuben die Paarungszeit und diese ist auch noch während der Wanderung in vollem Gang. Und so werden die Weibchen auf ihrem Weg in den Süden überall von balzenden Männchen freudig begrüsst – oder besser gesagt besungen. Denn in der Tat bezirzen die Männchen die Weibchen zirpend und locken sie damit in ihre Schlafquartiere.
Für die Weibchen ist die Anwesenheit der lokalen Minnesänger ziemlich praktisch, denn wer kennt schon alle schönen Unterschlüpfe auf einem 1000 Kilometer langen Weg? Temporär können sich daher bis zu zehn Weibchen in einem Quartier eines balzenden Männchens wiederfinden.
Wer derzeit beim Eindunkeln in der Matte oder beim Bärengraben in den Himmel schaut, kann die vorbeiziehenden Rauhautfledermäuse beobachten. Hier drehen sie ihre Runden über der Aare und schlagen sich hoffentlich ihre Bäuche mit kleinen Insekten voll, bevor sie weiter in den Süden flattern.
Die Bernerin Irene Weinberger ist als Biologin spezialisiert auf einheimische Wildtiere und das Konfliktmanagement zwischen Natur und Mensch.