Ein Rendez-vous mit der Literatur

Der Kanton entwickelt mit den «lit.dates» ein neues Format für Kulturvermittlung. Interessierte können nun mitdiskutieren, statt einfach der Lesung zu lauschen.

Logbuch von Christine Olmoos fotografiert am Donnerstag, 22. August 2024 in Bern. (hauptstadt.be / Simon Boschi)
Christine Olmos «Logbuch» wurde als eines von fünf Werken mit dem Berner Literaturpreis 2024 ausgezeichnet. (Bild: Simon Boschi)

Über Post von Behörden freue ich mich selten. Anders, als ich das kleine Paket im Briefkasten entdecke, das mir die Abteilung Kulturförderung des Kantons Bern geschickt hat. Darin befinden sich ein Buch und Fragen, die mich während der Lektüre begleiten werden. Denn ich nehme an den «lit.dates» teil, die der Kanton Bern dieses Jahr zum ersten Mal durchführt. 

Dabei handelt es sich um Austauschtreffen über die fünf Werke, die der Kanton 2024 mit einem Literaturpreis ausgezeichnet hat. An die Treffen anmelden können sich alle, die wollen. Es gilt: first come, first serve. Die Teilnehmenden müssen sich für eines der fünf Werke entscheiden. Nach der Anmeldung erhalten sie das gewählte Werk und Fragen für die Vorbereitung und tauschen sich dann während den «lit.dates» mit anderen Leser*innen über die Lektüre aus. 

So entstehen fünf Gruppen, die zu jeweils einem der Werke austauschen. Ein erstes Treffen findet per Zoom statt, ein zweites vor Ort. Und während die Zoom-Treffen, die zwischen dem 26. August und dem 3. September durchgeführt werden, nicht öffentlich sind, findet die zweite Gruppendiskussion vor der Preisverleihung und vor Publikum am nächsten Samstag statt. 

Kleine Runde – angeregte Diskussionen

Das Vermittlungsformat wurde dieses Jahr neu eingeführt und wird die Preisverleihungen auch in Zukunft begleiten. Christine Wyss von der Abteilung für Kulturförderung des Kantons Bern hat die «lit.dates» mitentwickelt. Sie sagt gegenüber der «Hauptstadt»: «Die eigene Lektüre-Erfahrung steht im Vordergrund. Wir nehmen keine ‹dozierende Haltung› ein. Es geht uns nicht darum zu erklären, warum wir oder die Literaturkommission das gute Literatur finden, sondern darum, die Leseeindrücke der Teilnehmenden zu diskutieren, die Lupe etwas schärfer zu stellen, so dass die Teilnehmenden selbst Besonderheiten eines Texts entdecken.» 

Die Diskussionsgruppen sind relativ klein. Bis zu zehn Teilnehmende haben sich angemeldet, wobei die Platzzahl pro Gruppe jeweils auf 12 Teilnehmende beschränkt ist. So könnten sich die Leser*innen besser einbringen, erklärt Wyss. «Dieser partizipative Aspekt war uns beim Entwickeln des neuen Formats wichtig. Und da das erste der beiden Dates online stattfindet, hoffen wir, dass auch Leute teilnehmen, die nicht in der Stadt wohnen.»

Logbuch von Christine Olmoos fotografiert am Donnerstag, 22. August 2024 in Bern. (hauptstadt.be / Simon Boschi)
Hat an den «li.dates» teilgenommen: Hauptstadt-Redakteurin Mara Hofer. (Bild: Simon Boschi)

Man brauche auch kein Vorwissen, fügt Wyss an. Die Freude am Lesen und Diskutieren darüber reiche aus. Auch die Fragen zur Lektüre seien bewusst so formuliert, dass alle sie verstehen können. Sie wurden von der Moderatorin und Literaturvermittlerin Luzia Stettler vorbereitet. Sie moderiert auch die Zoom-Treffen.

Der Entscheid, etwas Neues auszuprobieren, wurde vor zwei Jahren gefällt. Weil der Aufwand für das alte Format der «Literatour» zu gross geworden sei, während die Publikumszahlen stagnierten. Dabei handelte es sich um eine Reihe von Lesungen, die an unterschiedlichen Orten in den verschiedenen Regionen des Kantons Bern durchgeführt wurden. 

Für die «lit.dates» hätten sich nun, so Wyss, insgesamt weniger Leute angemeldet, als die Literatour-Lesungen erreichten. Luft nach oben gäbe es also noch. Denn man habe bloss die Hälfte der Plätze gefüllt. «Für den Anfang sind wir damit aber ganz zufrieden.»

Die Praxis

Soweit zur Theorie. Um das Konzept auch in der Realität auszuprobieren, habe ich an einer der Diskussionsgruppen teilgenommen. Als junge Leserin habe ich mich bereits vom Titel «lit.dates» angesprochen gefühlt.

Im Englischen bedeutet «lit» so viel wie «sehr toll» (wortwörtlich «erleuchtet», abgeleitet von «light») und ist ein Ausdruck der Jugendsprache. Er tönt niederschwellig und modern. Und weckt Erwartungen an einen Austausch, der die literarischen Passagen zu erhellen vermag, die mir selbst vielleicht nicht so viel sagen würden.

Als Lektüre habe ich mich für das «Logbuch» von Christine Olmos entschieden. Aus einem Pool von über 90 Werken mit Bern-Kontext hat die kantonale Literaturkommission unter anderem dieses Werk ausgewählt und mit einem Preis ausgezeichnet. Das 80-seitige Buch ist eine gelungene Mischung aus festgehaltenen Gedanken und Handlungen im Logbuch-Stil, Tagebucheinträgen und Gedichten. Auf den wenigen Seiten nimmt sich Olmos einem sehr schweren Thema an: Eine doppelte Krebsdiagnose, Gebärmutter und Brust.

Logbuch von Christine Olmoos fotografiert am Donnerstag, 22. August 2024 in Bern. (hauptstadt.be / Simon Boschi)
«Logbuch»: Eine Gratwanderung zwischen Schmerz und Zuversicht, die durch Olmos sanften und diskreten Schreibstil angenehm zu lesen ist. (Bild: Simon Boschi)

Der Umgang mit einer Krankheit, die den Körper extrem schwächt und verändert, der ungewisse Ausgang und die Angst vor dem Tod. Das stimmt nachdenklich. Umso besser, dass ich meine Lektüreerfahrung in der Gruppe teilen und erfahren kann, wie die anderen das Buch gelesen haben. Das Zusammenkommen auf Zoom wirkt angenehm vertraut, obschon man sich nicht kennt. Luzia Stettler begrüsst alle herzlich und führt durchdacht durch die Diskussion. Es soll auch ein Schutzraum sein, betont Stettler: Wer persönliche Erfahrungen teilen möchte, darf das hier tun. In der Runde sehe ich nur weiblich gelesene Menschen und trotz dem Jugendslang im Titel: Ein eher älteres Publikum. Und auch einige, die beruflich in der Literatur-Szene unterwegs sind.

Die Diskussion ist lebhaft, es wird engagiert über jedes Detail gesprochen. Wir teilen persönliche Eindrücke und was wir besonders spannend fanden. Dabei wird schnell klar: Viele hier beschäftigen sich schon lange mit Literatur. Kenner*innen dürfte das Format damit abholen. Wer einfach gerne ab und zu ein gutes Buch liest, muss vielleicht ein bisschen Mut aufbringen, um in solch einem Format mitzudiskutieren. 

tracking pixel

Das könnte dich auch interessieren