Eine neue Gratiszeitung für Bern

Ab Dezember erscheint der Anzeiger als wöchentliche Gratiszeitung mit Politik-, Wirtschafts- und Kulturteil. Die Berner Kulturagenda (BKA) liegt wohl ab Januar alle 14 Tage den Tamedia-Zeitungen bei.

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Gehen ab Ende Jahr getrennte Wege: BKA und Anzeiger. (Bild: Danielle Liniger)

Am 6. Dezember flattert erstmals eine neue Gratiszeitung in die Berner Briefkästen. Sie wird im alten Kleid des «Anzeigers Region Bern» daherkommen, ist aber die Nachfolgerin unter demselben Namen. Noch macht der Herausgeber um das neue Medienprodukt ein grosses Geheimnis.

Fakt ist, dass ab dem neuen Jahr viele Gemeinden, darunter die Stadt Bern oder Zollikofen, ihre Bevölkerung nicht mehr via Amtsblatt informieren werden, sondern digital. Deshalb haben sie ihre Verträge mit dem «Anzeiger Region Bern» gekündigt. Damit bricht das Geschäftsmodell der SR Medien Group AG in Belp weg. Sie hat den Anzeiger bisher herausgegeben.

Das Ende des Geschäftsmodells des «Anzeigers Region Bern» hat weitere Folgen: Weil er nicht mehr automatisch in alle Briefkästen kommt, wird ihm auch die Berner Kulturagenda (BKA) ab Januar nicht mehr beigelegt sein. Die BKA hat die Verträge mit der Belper Mediengruppe ebenfalls gekündigt, zuvor hatte sie für mehrere Jahre alle Geschäftsbereiche an sie ausgelagert. Neu arbeitet die BKA mit der Freiburger Kulturplattform «In Situ» zusammen. Sie übernimmt deren Infrastruktur für ihre eigene Onlineagenda.

Beilage von «Bund» und «BZ»

Doch die Agenda wird es weiterhin auch in Print geben – inklusive dem redaktionellen Teil, der im Wesentlichen aus Kulturvorschauen besteht. Laut Robi Maurer, Co-Präsident des Vereins, der die BKA herausgibt und aus Berner Kulturveranstalter*innen besteht, wird die BKA ab Januar den Tamedia-Erzeugnissen «Bund» (Gesamtausgabe) und «Berner Zeitung BZ» (Stadtausgabe) beiliegen. «Der Betrieb ist noch nicht gesichert, aber wir sind auf gutem Weg», sagt Maurer der «Hauptstadt».

Das Hauptproblem sind, wie meistens, die Finanzen. Die BKA wöchentlich den Tamedia-Zeitungen beizulegen, würde sie bis zu 250’000 Franken pro Jahr kosten. «Wir prüfen nun, sie nur 14-täglich beizulegen», sagt der Co-Präsident. Dadurch würden sich die Kosten reduzieren. Man sei zuversichtlich, dass sich diese Lösung finanzieren lasse.

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Die BKA wird hauptsächlich von den Kulturveranstalter*innen finanziert. (Bild: Danielle Liniger)

Stadt und Kanton Bern sowie die Burgergemeinde leisten einen Beitrag an die BKA, der explizit für die Online-Agenda und den Betrieb ist. Getragen wird die BKA jedoch in erster Linie von den Mitgliedern – und von den Beiträgen, die diese entrichten. Ende 2022 waren 260 Kulturveranstalter*innen aus der Region Mitglied, momentan sind es 30 oder 40 weniger. «Viele von ihnen haben vorsorglich gekündigt», sagt Maurer.

Darin ist eine weniger schöne Geschichte verpackt. «Von Seiten des alten Partners gab es Bemühungen, die Leute zum Kündigen zu bringen», sagt Maurer. So hätte der BKA-Vorstand von einem Schreiben an die BKA-Mitglieder erfahren, in welchem empfohlen wurde, die Mitgliedschaft zu kündigen.

Neue Konkurrenz

Nach dem Verlust der BKA geht die SR Medien Group AG von Inhaber und Geschäftsführer Christof Ramseier in die Offensive. Und konkurrenziert damit die sich neu formierende BKA.

Vor kurzem hat die neue Kulturredaktorin des eigentlich totgesagten «Anzeigers Region Bern» ein Mail an alle Berner Kulturveranstalter*innen geschrieben, mit der Aufforderung, Hinweise für Veranstaltungen einzureichen, die anschliessend im Anzeiger erscheinen werden. «Veranstaltungshinweise mit attraktivem Foto, die am Freitagmittag vor der entsprechenden Veranstaltungswoche auf der Redaktion eintreffen, haben eine besonders hohe Chance, publiziert zu werden», heisst es im Schreiben.

Dieses Mail liegt der «Hauptstadt» vor. Es enthält auch weitere Informationen zur Zukunft des Anzeigers, der offensichtlich weiterhin als Gratis-Wochenpublikation breit gestreut werden soll. Die «Hauptstadt» stellte aufgrund dieses Mails Christof Ramseier von der SR Medien Group AG einen Katalog an Fragen, die er allesamt unbeantwortet liess. Er bestätigt lediglich, dass er den Anzeiger weiterhin herausgeben wird und schreibt: «Es ist kein 08/15-Projekt. Deshalb sind auch die entsprechenden letzten wichtigen Fragen noch nicht alle geklärt.»

Bereits Ende Juni hatte die Belper Mediengruppe mehrere Stellen für Journalist*innen ausgeschrieben, so explizit eine für Kultur und eine für Wirtschaft. Bereits damals wollte Ramseier der «Hauptstadt» keine Auskunft geben. Inzwischen hat er aber Journalist*innen eingestellt. Im Mail der Redaktorin an die Kulturveranstalter*innen steht: «Der Anzeiger Region Bern erscheint ab Dezember als Wochenzeitung mit Berichterstattung in den Bereichen Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur.» Mit anderen Worten: Es handelt sich um eine Gratiszeitung mit mehr journalistischem Inhalt, als man es sich bis jetzt vom Anzeiger gewohnt war.

Es ist ein cleverer Schachzug von Ramseier, die Zeitung im Dezember zu starten – dann, wenn sie für einige letzte Wochen noch in alle Haushalte von Stadt und Region Bern geliefert wird. Ein kostenloses Marketing-Instrument, bevor der Vertrieb des «Anzeiger Region Bern» nicht mehr durch die Gemeinden finanziert wird.

Was danach geschieht und wie er seine Zeitung finanzieren will, ist nicht zu erfahren. Auch nicht, ob er momentan sein eigenes Geld oder das von unbekannten Geldgeber*innen in die neue Zeitung investiert hat. Laut Recherchen der «Hauptstadt» wollte er ursprünglich Gemeinden ins Boot holen, die das Erzeugnis mitfinanziert hätten, doch dabei war er nicht erfolgreich.

Das bedeutet: Ramseier muss sein Produkt über den Inseratemarkt finanzieren. Doch das ist ein Becken, in dem auch die BKA fischen wird, um ihre Printausgabe zu finanzieren. Das bestätigt Robi Maurer: «Wir müssen Inserate hereinholen.» Der Verein hat seit November Agnes Schmid als Geschäftsführerin angestellt, sie verantwortet unter anderem den Inserateverkauf. Schmid arbeitete zuvor bei der Zeitschrift «Hochparterre».

Und der Platzhirsch?

Zudem gibt es auf dem lokalen Berner Inseratemarkt schon einen Platzhirsch: den «BärnerBär». «Wir haben Kenntnis vom neuen Projekt», sagt «BärnerBär»-Verlagsleiter Lorenz Feller. Damit komme ein weiterer Player auf den Markt, was für den «BärnerBär» auf der kommerziellen Seite aber kaum spürbar sein dürfte, so Feller. «Wir sind im Raum Bern sehr gut vernetzt und verankert, daher nehmen wir es sportlich.»

Lorenz Feller bedauert jedoch, dass Ramseier nicht vorgängig das Gespräch gesucht habe. «Wir hätten die Kräfte zusammenlegen und potentielle Synergien nutzen können.» Laut Fellers Informationen wird die neue Gratiszeitung von Ramseier ab Januar eine Auflage von 50’000 Exemplaren haben und im Streugebiet rund um die Stadt Bern verteilt werden. Der bisherige «Anzeiger Region Bern» hat eine Auflage von 130’000 Exemplaren, wovon 80’000 auf die Stadt Bern entfallen.

Auch Robi Maurer von der BKA sieht der neuen Konkurrenz aus Belp gelassen entgegen: «Mit unserem Renommee haben wir keine Konkurrenz zu fürchten», sagt er. Die neue BKA werde im Dezember mit einer breit angelegten Informationskampagne auf das aufgefrischte Produkt aufmerksam machen. Es ist just dann, wenn auch der neue Anzeiger gratis in die Briefkästen flattert.

Auch die «Hauptstadt» wird sich im Dezember den Medien und der Medienvielfalt widmen. Genaueres dazu erfährst du Anfang Dezember. Doch halt dir schon mal den 7. Dezember frei. Dann geht der «Hauptsachen»-Talk in Zusammenarbeit mit dem Progr in die nächste Runde. Diesmal zum Thema: «Warum konsumierst du keine Medien?»

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Diskussion

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Gabriela Bader
21. November 2023 um 06:53

Vielen Dank für diesen erhellenden Beitrag!