Energie – Stadtrat-Brief #18/2025
Sitzung vom 31. Oktober 2025 – die Themen: EWB; Bernmobil; Videoüberwachung; Dampfzentrale; Hirschenpark.
Viel Stolz, ein wenig Kritik und eine gute Portion Ideologie prägten die Debatten zum dominierenden Thema der gestrigen Stadtratssitzung: der stadteigenen Energieversorgerin Energie Wasser Bern (EWB). Zuerst wurde der Leistungsbericht besprochen, dann ein Vorstoss von Vertreter*innen von JA, PdA, AL und Juso, der die Wiedereingliederung des Unternehmens in die Stadtverwaltung forderte.
Von links bis recht lobten Politiker*innen die Qualität der Arbeit von EWB. Szabolcs Mihàlyi (SP) bedankte sich für die grosse Verlässlichkeit und die Anstrengungen für die Energiewende. Thomas Hofstetter (FDP) gratulierte zur Preispolitik beim Ankauf von Solarstrom von Privaten: «Diese Tarife ermöglichen eine Amortisation der Anlagen.» Das sei der grössere Anreiz als zum Beispiel Beratungsangebote. Und Thomas Glauser von der SVP betonte, EWB informiere bei Baustellen sehr gut: «Da kann ich ein Kränzli winden.»
Kritik kam von den grünen Parteien. Laut Lea Bill (GB) ist der Bezug von Biogas unter den Sollwerten, und bei der Fernwärme gebe es zu wenig Fortschritt. GLP-Stadtrat Roger Nyffenegger sagte, EWB agiere bei Beteiligungen unüberlegt. Es sei nicht verständlich, dass man derzeit Anteile an Windenergie verkaufe. «Und EWB baut die Solarenergie zu wenig schnell aus.»
Umwelt- und Energiedirektor Alec von Graffenried (GFL) verteidigte das Unternehmen: «EWB ist motiviert und kompetent, unsere Klimaziele zu erreichen.» Der städtische Absenkpfad und das Klimareglement seien für EWB verbindlich. Er strich die Anstrengungen bei der Fernwärme und den schweizweit höchsten Biogasanteil von 40 Prozent im Standardprodukt hervor.
Eine Hiobsbotschaft übermittelte von Graffenried aber dennoch. Die aktuelle Stilllegung des Atomkraftwerks Gösgen, an dem EWB beteiligt ist, werde die Stadt «viel kosten». Dies werden voraussichtlich auch Stromkund*innen merken, in Form von höheren Tarifen.
Später in der Debatte musste Graffenried EWB gegen die ideologisch motivierte Forderung einer Wiedereingliederung in die Stadtverwaltung verteidigen. Ronja Rennenkampff (JA) begründete die Idee damit, dass sich EWB zu stark an «marktwirtschaftlichen Überlegungen» orientiere und zu wenig am Klimaschutz.
Gemeinderat von Graffenried betonte darauf erneut, EWB sei zu hundert Prozent den Klimazielen der Stadt verpflichtet. «Eine Eingliederung würde unglaublich viele Ressourcen binden.» Das würde die Arbeit an der Energiewende hemmen. «Wir wollen in der Klimapolitik nun umsetzen und nicht reorganisieren.» Da der Vorstoss nur in Teilen der SP-Fraktion auf Zustimmung stiess, wurde er mit 31 zu 30 Stimmen abgelehnt.
Anna Leissing (43) sitzt seit 2021 für das Grüne Bündnis (GB) im Stadtrat. Die Sozialanthropologin arbeitet als Geschäftsleiterin von Voices (ehemals Gesellschaft für bedrohte Völker). Zusammen mit Esther Meier führt sie das GB im Co-Präsidium. Warum sind Sie im Stadtrat?
Anna Leissing: Im Studium und Beruf stand bei mir schon immer die internationale Ebene mit einem besonderen Fokus auf Menschenrechte in Lateinamerika im Vordergrund. Gleichzeitig habe ich das Bedürfnis, meine unmittelbare Umgebung mitzugestalten: als Jugendliche im Aargau in antifaschistischen und antikapitalistischen Gruppen, als Studentin in Bern im Vorstand der Student*innenschaft (SUB). Seit meiner Wahl in den Stadtrat 2020 habe ich das Privileg, dies zusammen mit meiner grossartigen Fraktion in meiner geliebten Stadt Bern zu tun und diese solidarischer, feministischer und grüner zu machen.
Wofür kennt man Sie im Rat – auch ausserhalb Ihrer Partei?
Wahrscheinlich würden Einige sagen: das ist «die mit den kantonalen Themen» - und ja, ich finde es wichtig, dass wir auch im Stadtrat über den Tellerrand hinausblicken und uns mit dem unmenschlichen Asylsystem im Kanton Bern oder dem strukturellen Rassismus bei der Kantonspolizei auseinandersetzen. Auch bin ich sehr vielfältig interessiert und komme mit Ratskolleg*innen aus anderen Fraktionen darüber ins Gespräch – sei es eine geteilte Liebe zu Lateinamerika, die Verbindung von Kunst, Kreativität und Politik oder einfach die Freude am Austausch über die Welt und das Leben.
Welches ist Ihr grösster Misserfolg im Rat?
Es fällt mir schwer, einen grossen Misserfolg auszumachen. Frust und Irritation kommen manchmal rund um die Finanzpolitik auf. Es ist mir beispielsweise ein Rätsel, wie man bei Massnahmen zu Klima, Biodiversität und Verkehr zugunsten eines ausgeglichenen Budgets zurückschrauben, soziale Angebote zur Armutsbekämpfung als Kompensation rausstreichen oder das beschlossene Werbeverbot einer schwarzen Null opfern kann, wenn die Stadt gleichzeitig rekordhohe Steuereinnahmen verzeichnet und auf eine stabile Reserve bauen kann. Mir scheint, es fehlt hier an Mut, linke Visionen in die Realität umzusetzen – und das ist in Bern einfach eine verpasste Chance.
Worauf sind Sie stolz bei Ihrer Ratsarbeit?
Ich bin dankbar und stolz, Teil der GB/JA! Fraktion zu sein: Wir sind alle mit grossem Einsatz und Herzblut dabei, wir investieren viel Zeit und Expertise, um in der Stadt Bern etwas zu bewegen und wir halten dabei zusammen und schauen zueinander. So konnten wir gemeinsam auch schon wichtige konkrete Verbesserungen erreichen, sei es in der Quartierarbeit, in der Armutsbekämpfung, bei Bildung und Betreuung, für mehr bezahlbaren Wohnraum und eine Mietzinskontrolle oder eine konsequente Klima- und Energiepolitik. Ich könnte mir keine bessere Art vorstellen, Politik zu machen und setze mich mit Freude und Ausdauer für eine lebenswerte Stadt für alle ein.
Welches ist Ihr liebster Stadtteil und warum?
Bern ist eine wunderbare Stadt. Besonders wohl fühle ich mich im Stadtteil V – weil oder obwohl ich kaum je darüber hinauskomme. Ich wohne im Breitfeld, spaziere am Morgen jeweils gemütlich zehn Minuten in die Lorraine an meinen Arbeitsort und wechsle dann von da ins GB-Seki rund fünf Minuten entfernt. Ansonsten kaufe ich am Samstag am Breitsch-Märit ein, geniesse im Sommer die Aare im Lorrainebad, trinke Bier im Kairo und jasse in der Brass, spiele Gitarre rund ums Feuer im Wylerwald und bin ab und zu im Breitsch-Treff unterwegs. Die totale Verkörperung der «15-Minuten-Stadt» also – ausser am Donnerstag, da nehme ich jeweils gerne den 25-minütigen (!) Spaziergang über die Kornhausbrücke ins Rathaus unter die Füsse.
Diese Themen waren ebenfalls wichtig:
- Bernmobil: Zum Leistungsauftragsbericht von Bernmobil, einem weiteren Unternehmen in Stadtbesitz, kam aus dem Rat viel Lob für den guten Service. Kritisiert wurden aber der Abbau von Billettautomaten und die Betriebsunterbrüche bei Schneefall. Zudem nahm der Rat eine Planungserklärung der GFL an, die verlangt, .dass armutsbetroffene Personen, welche sich ohne gültigen Fahrschein befördern lassen, nicht mit Freiheitsentzug bestraft werden. Gemeinderat Matthias Aebischer (SP) betonte, dass Bernmobil bei in der Stadt wohnhaften Personen schon seit längerer Zeit mit den Einwohnerdiensten jeweils abkläre, ob diese Sozialhilfe beziehen. Diese armutsbetroffenen Schwarzfahrer*innen werden laut Bernmobil nicht ans Inkasso weitergegeben und deshalb werde gegen sie auch nicht Anzeige erhoben. Bei Personen aus anderen Gemeinden sei diese Praxis aber nicht möglich
- Dampfzentrale: Zu Beginn der Sitzung beschäftigte sich der Rat mit den Turbulenzen in der Berner Dampfzentrale. Nik Eugster (FDP) warf die Frage auf, ob das Kulturhaus den Leistungsvertrag noch erfüllen könne. Er kritisierte, der neue Vorstand des Vereins sei – entgegen den Vorgaben der Stadt – politisch zu einseitig besetzt. Die drei Politikerinnen, die ihm neuerdings angehören, stammen allesamt aus dem linken Spektrum. Zwei von ihnen – die Stadträtinnen Barbara Keller (SP) und Franziska Geiser (GB) – betonten, Bürgerliche seien herzlich eingeladen zur Mitarbeit. Eine breitere politische Abstützung des Vorstands sei wünschenswert, wenngleich viele seiner Aufgaben gar nicht so politisch seien. Franziska Geiser beteuerte, die geäusserten Ängste seien unbegründet. Den verlangten Kostendeckungsgrad von 20 Prozent habe die Dampfzentrale stets klar übertroffen. Die Stadt Bern unterstützt die Dampfzentrale mit jährlichen Betriebsbeiträgen von 2,4 Millionen Franken.
- Videoüberwachung: Mit 46 zu 24 Stimmen hat der Rat eine Richtlinienmotion überwiesen, die eine Bewilligungspflicht und ein öffentliches Register für private Videoüberwachung im öffentlichen Raum fordert. Der Gemeinderat hatte sich gegen den Vorstoss gewehrt. «Wir wollen keine Bewilligungspflicht, weil wir gar keine Bewilligungen erteilen wollen», sagte Sicherheitsdirektor Alec von Graffenried. Der Gemeinderat lehne Videoüberwachung im öffentlichen Raum generell ab. Sie sei schon durch Bundesrecht verboten. Und die Stadt sei in der Vergangenheit immer eingeschritten, wenn sie Kenntnis von Überwachungen des öffentlichen Raums durch Private erhalten habe. Zuletzt hatte die Cuba Bar ihre Videoüberwachung am Kornhausplatz nach Intervention der Stadt demontiert. Der linken Ratsmehrheit war die heutige Situation dennoch zu wenig griffig. Viele Votant*innen monierten, heute würden solche rechtswidrigen Kameras nur durch Zufälle entdeckt.
- Hirschenpark: Eine Machbarkeitsstudie soll aufzeigen, wie der Hirschenpark unterhalb des Bierhübelis künftig genutzt werden könnte. Der Stadtrat hat diskussionslos einen Kredit von 390'000 Franken gesprochen. Der Park zwischen Neubrück- und Tiefenaustrasse ist aktuell eine Baugrube für den Tagbautunnel, den es zur Erschliessung des neuen RBS-Tiefbahnhofs braucht. Der Regionalverkehr Bern-Solothurn (RBS) würde die Kosten für eine reine Wiederherstellung tragen. Die Stadt zieht aber auch den Bau eines Infrastrukturgebäudes in Erwägung, wobei dessen Dach als Parkterrasse mit Bezug zur Länggasse dienen könnte. Der Hirschenpark kam im 19. Jahrhundert zu seinem Namen, als hier ein kleiner Tierpark mit Hirschen und Bisons eröffnet wurde.
PS: In der Debatte um die Videoüberwachung lobte Vielredner Alexander Feuz (SVP) die schriftliche Antwort des Gemeinderates derart überschwänglich, dass Ratspräsident Tom Berger (FDP) vor dem Votum von Gemeinderat Alec von Graffenried sagte: «Ich bin nun gespannt auf den seltenen Moment, in dem sich Alec von Graffenried und Alexander Feuz ganz einig sind.»
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Ein Teil der Meldungen basiert auf Texten der Nachrichtenagentur SDA.
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