«Ich halte nichts von Sicherheitsdenken»
Kabarett ist für Frauen ein hartes Pflaster. Nach Corona noch viel mehr. Ausgerechnet jetzt setzt die Bernerin Nina Wägli alles auf diese Karte.
Nina Wägli ist gespannt wie eine Feder. Sie steht am Samstag mit ihrem ersten Kabarettprogramm «Verhedderet» auf der Bühne. Genau hier, in der Cappella im Breitenrain, dem renommiertesten Ort für Kabarett und Kleinkunst in Bern.
«Rational gesehen spricht alles dagegen», sagt sie, lacht breit und ansteckend und setzt sich auf einen Stuhl im leeren Saal. Über ihr schwebe ein riesengrosses Nein. Sie sagt das so bildlich, dass man erwartet, dieses Nein jetzt auch irgendwo zu erblicken. Aber nur der Kühlschrank surrt.
Wägli, die nächste Woche 41 Jahre alt wird, hat drei schulpflichtige Kinder, sehr wenig Erfahrung auf der Bühne und ihren Gang in die unstete Selbstständigkeit als Bühnenkünstlerin just vor Corona gewagt. Dabei haben es nach der Pandemie selbst gestandene Künstler*innen schwer, ihr Publikum wiederzufinden. Hört man sich in der Szene um, klingt es überall gleich: Viele Termine, die wegen Corona abgesagt wurden, würden jetzt nachgeholt. Neubuchungen gebe es nur wenige. Und das Publikum fokussiert sich auf sichere Werte. Geht lieber zum Kabarettisten, den es schon kennt und bei dem es weiss, was es erwarten kann.
«Frauen auf der Bühne haben es seit Corona schwer.»
Christoph Hoigné, Leiter der Cappella
«Es ist der typische Krisenmodus und erinnert mich stark an 2008, nach der Finanzkrise», sagt Christoph Hoigné, seit 24 Jahren Leiter der Cappella. Das einzig Neue, das in der Cappella auf Anhieb gut funktioniere, seien live vor Publikum aufgenommene Podcasts – mit bisher ausschliesslich männlichen Exponenten.
«Frauen auf der Bühne haben es seit Corona schwer», sagt er. Schon vor der Pandemie sei es zwar so gewesen, dass sie tendenziell etwas weniger Publikum angezogen hätten, wenn es nicht gerade Namen wie Hazel Brugger oder Patti Basler gewesen seien. Doch dies akzentuiere sich jetzt. «Ihre Programme sind nicht schlechter als die der Männer, es gibt aber viel weniger Publikum.» Doch wer komme, sei in der Regel sehr angetan und nutze die Chance, Neues zu entdecken.
Dabei gebe es viele gute und etablierte Kabarettistinnen, deshalb habe die Cappella in den letzten Monaten auch ein frauenlastiges Programm gehabt. «Wir probieren es unverdrossen, aber manchmal ist es schon etwas frustrierend», meint er. Es sei doch eigentlich absurd, dass man im Jahr 2022 noch Frauenförderung machen müsse.
Von der Clownin zur Kabarettistin
Wie ergeht es dann erst einer Newcomerin?
Nina Wägli lacht. «Genau das will ich jetzt die nächsten 30 Jahre machen», sagt sie und deutet auf die Bühne hinter ihr. Kabarett sei ihre Art von Kommunikation, ihre Ausdrucksform, in der sie völlig aufgehe. Sie hält nichts vom Sicherheitsdenken, das in der Schweiz weit verbreitet sei. «Das habe ich mir bei meinen Einsätzen im Spital abgewöhnt», sagt sie. In den letzten zehn Jahren war die Bernerin Spitalclown für die Stiftung Theodora, momentan ist sie nur noch im Operationsbegleitungs-Programm im Einsatz.
«Im Spital habe ich miterlebt, wie eine Diagnose dein Leben von einem Moment auf den anderen auf den Kopf stellen kann.» Ausserdem sei ihre Mutter jung gestorben, eine Hirnblutung bei der Arbeit. Damals war Nina Wägli 20. Sie hat für sich daraus einen Schluss gezogen: «Mach einfach, schieb deine Träume nicht auf.»
Ein Moment Ruhe. Dann prustet sie los. «Ui, das klingt wie im Poesiealbum», sagt sie. Überhaupt fällt auf, wie sie sich im Gespräch immer wieder selber hochnimmt, wie häufig sie lacht, wie sie eigentlich ernste Gespräche wieder auf etwas Witziges lenkt. Die geborene Clownin.
«Humor hilft mir, er ist meine Lebenseinstellung», sagt sie. Den brauche sie auch oft daheim. Mit drei Jungs, die 7, 8 und 10 Jahre alt sind, herrsche nun einmal Chaos. Sie könne es sich gar nicht leisten, sich immer aufzuregen. Und sie habe einen Partner, der sie unterstütze und auch einen grossen Teil der Familienarbeit übernehme. «Aber natürlich haben wir zuhause unsere Dramen und waren auch schon bei der Erziehungsberatung.»
Angst und grosse Selbstzweifel
Keine Supermom, die immer überall alles im Griff hat. Aber eine, die gerade eine Karriere bei Null anfängt. «Oft habe ich Angst und grosse Selbstzweifel, aber das gehört dazu», sagt sie. Vielleicht mache sie es nicht trotz, sondern wegen der Kinder. «Ich will ihnen ein Vorbild sein.»
Nun würde ein Poesiealbum-Spruch eigentlich wieder ganz gut passen.
«Das auf der Bühne bin nicht ich, das bin ich in kondensierter Form, quasi ich hoch drei.»
Nina Wägli
Aus der Mutterrolle schöpft Nina Wägli auch für ihre Figur auf der Bühne. Zum Beispiel, wenn sie über Biogurken in Plastik oder konventionelle Gurken ohne Plastik sinniert. Oder wenn ihre Kinder in einem Drogenabhängigen begeistert jemanden erkennen, «der sich gleich selber impft». Aber nicht nur aus dem Familienleben lässt sie sich inspirieren. Auch Erfahrungen aus ihrer ersten Karriere als Flight-Attendant bei der Swissair, wo sie als 20-Jährige das Grounding miterlebte, fliessen ein. Das Bühnenhandwerk hat sie während ihrer Theaterausbildung erlernt, die sie nach dem Grounding der Swissair absolvierte.
«Authentizität ist wichtig», sagt sie, «aber das auf der Bühne bin nicht ich, das bin ich in kondensierter Form, quasi ich hoch drei.» Da unterscheide sich eine Kabarettistin deutlich von einem Spitalclown: Während sie sich im Spital immer zurücknehmen musste, nirgends über einen Schlauch stolpern durfte und die Stimmungen der kleinen Patient*innen ganz genau herausspüren musste, kann sie auf der Bühne weitergehen, ihr Programm einzig nach ihren Vorstellungen durchziehen.
Was irgendwie auch ziemlich nach Selbstverwirklichung klingt. «Ja, diese Frage stelle ich mir auch oft», sagt sie. Als Spitalclown sei die Sinnhaftigkeit einfach gegeben gewesen: Kranken Kindern einen Moment der Unbeschwertheit zu schenken. Nun handle sie wie die meisten ihrer Generation: «Selbstverwirklichung à gogo.» Wieder so ein Spruch. Dann aber wird sie ernst. «Ich finde es extrem befriedigend, Leute einen Abend lang zu unterhalten», sagt sie, «und vielleicht erhalten sie dadurch einen anderen Blickwinkel oder eine Anregung für eine Diskussion.»
Auch wenn es für Neulinge in der Szene ein ausgesprochen schwieriger Zeitpunkt sei: «Nina wird ihren Weg machen», sagt Christoph Hoigné. Er hat sie letzten Oktober bei der gut besuchten Premiere in der Cappella erlebt und sofort wieder gebucht. «Sie hat viele Talente und sprudelt nur so vor Kreativität, darüber hinaus ist sehr engagiert und selbstkritisch, aber vor allem sprachlich stark und ansteckend witzig», rühmt er.
Am Samstag kann man sich davon überzeugen.