Frühlingsboten

«Hauptstadt»-Brief #2

Illustration zum Hauptstadt Brief
Illustration (Bild: Marc Brunner, Büro Destruct)

Als ich vor ein paar Tagen neben dem Kindergarten in Münchenbuchsee vorbeifuhr, standen die Kinder ganz aufgeregt im Garten und zeigten nach oben: Ein Storchenpaar hatte sich eben im Nest auf dem Dach des Nachbarhauses niedergelassen.

Neben all den schlimmen Nachrichten aus der Ukraine geht es ja fast ein bisschen vergessen: Es wird langsam Frühling, und die Zugvögel kehren zurück aus dem Süden. Der Weissstorch gehört dabei zu den frühesten, wenn er Anfang März eintrifft. Noch früher kommen beispielsweise Rotmilan und Star, die schon Ende Februar wieder da sind. Die verschiedenen Vogelarten folgen dabei laut Vogelwarte Sempach einem klaren Zeitplan. Grundsätzlich gilt: Je näher sie überwintern, desto eher sind sie zurück. Die spätesten wie Pirol oder Sumpfrohrsänger sind sogar erst im Mai wieder bei uns.

Und wer weiss, was der Mai für uns und die Welt bringt?

Was wir uns alle wünschen, ist klar: Ein Ende des Kriegs in Europa. Das hat auch mein Kollege Joël Widmer festgestellt, als er am Dienstag einen Anlass der Neuen Helvetischen Gesellschaft besuchte, bei dem es eigentlich um die Schweiz in Europa gehen sollte. Doch das wurde zur Nebensache, als der ukrainische Botschaftssekretär zu sprechen begann.

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Je nach Betrachtungsweise kann Bern sehr urban wirken. (Bild: Simon Boschi)

Und das ist heute wichtig:

  • Neues Berner Energiegesetz: Mit dem Krieg steht auch die Energieversorgung mehr im Fokus. Bereits im Dezember hat der Grosse Rat eine Revision des Energiegesetzes beschlossen. Gestern mussten im Rat noch Detailfragen geklärt werden. Fazit: Das neue Gesetz verbietet Öl- und Gasheizungen nicht, sondern setzt bei nicht sanierten Altbauten ein. Dort müssen Massnahmen ergriffen werden, damit die Heizenergie nicht verpufft. Welche Massnahmen das sind, bleibt den Besitzer*innen überlassen. Das Gesetz ist ein Kompromiss und wurde einstimmig vom Grossen Rat verabschiedet. Somit stehen auch die Chancen gut, dass es ohne Referendum in Kraft tritt, wie BZ/Bund (Abo) in einem Kommentar schreiben. Vorlagen mit konkreten ökologischen Massnahmen, die auch mal wehtun, wurden in letzter Zeit mehrfach vom kantonalen Stimmvolk abgelehnt.
  • Kill Erdogan-Prozess: Nach 5 Jahren sind die vier Beschuldigten im Kill-Erdogan-Prozess freigesprochen worden. Ein Berner Richter kam zum Schluss, sie hätten nicht öffentlich zu Verbrechen und Gewalttätigkeit aufgerufen, wie die Nachrichtenagentur SDA berichtet. Zum Prozess kam es, weil die Beschuldigten 2017 an einer Kundgebung für Demokratie in der Türkei teilgenommen hatten mit einem Plakat, auf dem stand: «Kill Erdogan with his own weapons!» - Zudem war darauf der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan abgebildet, auf dessen Kopf eine Pistole gerichtet war. Noch am selben Tag hatte damals die Türkei beim EDA protestiert und eine Untersuchung gefordert. Sechs Personen bekamen schliesslich einen Strafbefehl. Zwei von ihnen akzeptierten ihn. Für die vier, die ihn damals angefochten haben, hat sich der lange Atem ausbezahlt - sie wurden gestern freigesprochen.
  • Noch weniger Literatur in Bern: In Zukunft wird es kein Berner Literaturfest mehr geben. Grund dafür ist ein Knatsch zwischen Kultur Stadt Bern und den Festivalveranstaltern um Hans Ruprecht. Es geht um zögerlich gesprochenes Unterstützungsgeld von Seiten der Stadt, um Ausbaupläne und fehlende Planungssicherheit von Seiten des Festivals, wie aus der Mitteilung des Festivals zu lesen und in BZ/Bund (Abo) etwas ausführlicher thematisiert ist. Fest steht: Das alle zwei Jahre stattfindende Literaturfestival - im August 2022 wäre die nächste Ausgabe geplant gewesen - wird Bern fehlen. Während sich alle anderen grossen Schweizer Städte und Regionen (ja, auch der Aargau in Lenzburg und die Zentralschweiz in Luzern) ein eigenes Literaturhaus leisten, gibt es im grossen Kanton Bern kein kontinuierliches literarisches Angebot.
  • Zivilschutzkeller: Der Kanton Bern überprüft seit sieben Jahren den Zustand und die Verfügbarkeit von Schutzräumen. Kurzes Fazit: Es sind für alle Berner*innen genügend Räume vorhanden, auch wenn diese teilweise Mängel aufweisen, die noch behoben werden müssen. Die Räume liegen jedoch nicht unbedingt für alle in jener Gemeinde, in der sie wohnen, schreiben Bund/BZ (Abo).

Und übrigens, in unserem ersten «Hauptstadt»-Brief wollten wir von dir wissen, ob du das Angebot nützlich findest: Mehr als zwei Drittel der Teilnehmenden findet, ja sehr (oder 8-10 von 10 Punkten).

Das motiviert uns!

Herzlich,

Marina Bolzli

PS: Letztes Jahr ist das Berner Münster 600 Jahre alt geworden, aber erst dieses Jahr wird - coronabedingt - gefeiert. Und zwar von heute bis am Samstag. Neben Festakt, Orgel- und Klassikkonzerten bin ich vor allem an folgendem Programmpunkt hängen geblieben: Am Samstagabend zwischen 20 und 22 Uhr zeigen Jugendliche unter dem Titel MyMünster, wie sie sich Welt und Gesellschaft vorstellen. Warum nicht auf sie hören?

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