Der neue Rummel um die Fussballerinnen

Bald startet die Frauen-Fussball-EM. Noch nie lag so viel Aufmerksamkeit auf dem Schweizer Nationalteam. Wie geht es den Spielerinnen in den Wochen vor dem Anpfiff?

Mediaday beim Schweizer Fussball Nationalteam Frauen fotografiert am Montag, 16. Juni 2025 in Nottwil. (hauptstadt.be / Simon Boschi)
Zwei Wochen vor der EM: Das Schweizer Frauen-Fussball-Nationalteam spricht mit Journalist*innen. (Bild: Simon Boschi)

Nottwil, Mitte Juni, in einem Gebäude des Paraplegiker-Zentrums im fünften Stock. Im Seminarraum «Sonne» hat niemand Zeit, die Aussicht zu geniessen. Rund vierzig Journalist*innen aus der ganzen Schweiz treffen hier das Schweizer Frauen-Fussball-Nationalteam. Die Spielerinnen befinden sich in den letzten Vorbereitungen auf die Europameisterschaft. Diese werden vom 2. bis 27. Juli in acht Schweizer Städten ausgetragen.

Am Mittwoch, 2. Juli werden 23 der 33 in Nottwil anwesenden Fussballerinnen im St. Jakob-Stadion in Basel gegen Norwegen ihr erstes Spiel antreten. Nun, gut zwei Wochen vorher, steht dem Team noch die letzte Auswahlrunde von Nationaltrainerin Pia Sundhage bevor. Einige der anwesenden Spielerinnen werden es nicht in den endgültigen Kader schaffen. Vor die Medien treten trotzdem alle.

«Im Wankdorf zu spielen, wäre ein Highlight»

Für die 18-jährige Iman Beney wäre die EM in der Schweiz das erste grosse Länderturnier. Die YB-Spielerin war zwar bereits für die Weltmeisterschaft 2023 aufgeboten, erlitt aber kurz davor einen Kreuzbandriss. Das war ein schwerer Rückschlag für das junge Ausnahmetalent. Die gebürtige Walliserin besuchte ab 2018 die Football Academy in Biel und wurde bereits als 16-Jährige in die erste Mannschaft der YB Frauen aufgenommen.

Iman Beney am Mediaday beim Schweizer Fussball Nationalteam Frauen fotografiert am Montag, 16. Juni 2025 in Nottwil. (hauptstadt.be / Simon Boschi)
Iman Beney holte letzte Saison mit YB den Schweizermeister-Titel. An der Heim-EM zu spielen, wäre für sie ein neues Highlight. (Bild: Simon Boschi)

Jetzt ist Beney zurück – und muss nur noch die letzte Auswahlrunde überstehen. «Ich freue mich darauf, wenn die Auswahl feststeht», sagt sie. «Aber ich setze mich nicht zu fest unter Druck. Wir müssen einfach hundert Prozent geben, und am Ende entscheidet die Trainerin.»

Beim Gruppenspiel vom 6. Juli gegen Island im Berner Wankdorfstadion auf dem Platz zu stehen, wäre für Beney das Highlight ihrer bisherigen Karriere. Erst vor einigen Wochen holte sie auf diesem Spielfeld mit YB den Schweizermeisterinnen-Titel

«Im Wankdorf fühle ich mich zu Hause», sagt sie. «Ich würde mich riesig freuen, dort zu spielen.» Ihre Kolleg*innen aus der Schule oder von YB werden im Stadion zuschauen.

Ein Team im Rampenlicht

Die Regeln am «Media Day» in Nottwil gibt der Schweizerische Fussballverband vor: Spielerinnen und Medienschaffende werden in je neun Gruppen aufgeteilt und an Tische verteilt. Jeder Tisch kann exakt 15 Minuten lang Gespräche führen, dann wechselt die Spielerinnengruppe. Medienverantwortliche des Fussballverbands stoppen die Zeit und weisen darauf hin, wenn ein Wechsel ansteht. Man kann sich den Lärmpegel im «Raum Sonne» vorstellen.

Nach zweieinhalb Stunden wird die «Hauptstadt», wie alle anderen Journalist*innen, mit allen 33 Spielerinnen ein paar Worte gewechselt haben können. Etwas anderes liegt in dem Setting nicht drin. Auf Wünsche nach ausführlicheren Gesprächen mit einzelnen Spielerinnen ging der Verband nicht ein.

Dieser Rummel ist für die Frauen-Nationalmannschaft ein neues Phänomen. So viel mediale Aufmerksamkeit wie vor dieser Europameisterschaft ist den Schweizer Fussballerinnen noch nie zugekommen.

Mediaday beim Schweizer Fussball Nationalteam Frauen fotografiert am Montag, 16. Juni 2025 in Nottwil. (hauptstadt.be / Simon Boschi)
Rund 300 Zuschauer*innen kommen zum öffentlichen Training in Nottwil. Tickets für die EM-Spiele sind sehr begehrt. (Bild: Simon Boschi)

Das wollen die Organisator*innen der EM nutzen. Das Berner OK unter der Co-Leitung von Hannah Suter etwa will unter dem Stichwort «Legacy» den Frauenfussball in der Region Bern nachhaltig fördern, weit über die EM hinaus.

Auch die Nati-Spielerinnen erhoffen sich durch das Heim-Turnier einen «Push» des Schweizer Frauen-Fussballs. Captain Lia Wälti ist überzeugt: «Das Turnier wird dem Schweizer Frauen-Fussball einen weiteren Schub geben.» 

Gleichzeitig sei in den letzten Jahren das öffentliche Interesse am Frauen-Fussball bereits gestiegen, sagt Wälti. Auch, weil sich das sportliche Niveau stetig verbessere. «Die Breite an sehr starken Spielerinnen wächst, es entstehen bessere Partien. An dieser EM wird die Qualität so hoch sein wie nie zuvor», sagt die 32-Jährige. Das werde die Leute inspirieren, glaubt sie. 

Berner Vorbild Lia Wälti

Lia Wälti, aufgewachsen in Langnau im Emmental, ist eine prägende Figur für den Schweizer Frauen-Fussball. Seit 2018 steht sie beim englischen Topclub Arsenal Women FC unter Vertrag, mit dem sie im Mai den Champions-League-Sieg holte – der renommierteste Titel des europäischen Clubfussballs.

Lia Waelti am Mediaday beim Schweizer Fussball Nationalteam Frauen fotografiert am Montag, 16. Juni 2025 in Nottwil. (hauptstadt.be / Simon Boschi)
Die Bernerin Lia Wälti hat sich zur prägenden Figur im Schweizer Frauen-Fussball etabliert. (Bild: Simon Boschi)

Auch neben dem Spielfeld setzt sich Wälti seit Jahren für bessere Strukturen und Gleichberechtigung in ihrem Sport ein. Soeben hat sie gemeinsam mit ihrer Schwester ein Kinderbuch herausgegeben. Sie will damit Mädchen inspirieren, ihre Träume zu verfolgen und Fussball zu spielen. Es thematisiert auch strukturelle Herausforderungen, die Wälti als junge Fussballerin selbst erlebt hat. 

Heute ist Lia Wälti für viele junge Fussballbegeisterte ein Star. Das fühle sich manchmal immer noch komisch an, sagt sie im Gespräch mit der «Hauptstadt»: «Lange waren wir Spielerinnen mit unseren Karrieren wenig sichtbar. Heute schauen so viele Kinder in den Stadien zu uns hoch.» Sie selbst habe als junge Fussballerin bloss männliche Vorbilder gehabt: Zinédine Zidane und Andrés Iniesta. Nun ist Wälti selbst Vorbild. Das bringe Verantwortung mit sich, motiviere aber auch. «Ich will weiter inspirieren und Gas geben», sagt sie.

Für die Heim-EM wünscht sich Wälti «volle Stadien wie in England und ein Volksfest, das Fussballfieber auslöst.» 

Die Vorzeichen dafür stehen gut: Die Nachfrage nach Tickets für die Spiele in der Schweiz ist gross. Alle Gruppenspiele der Schweiz sind seit längerem ausverkauft. Auch für die vier Spiele im Berner Wankdorf sind keine Tickets mehr erhältlich. Bereits Mitte Mai waren für die insgesamt 31 Spiele 550'000 von total 700'000 Tickets verkauft.

Die letzte EM fand vor drei Jahren in England statt. Dort wurden insgesamt 575'000 Eintrittskarten verkauft – bisheriger Ticketrekord.

Schwierige Ausgangslage für die Schweizerinnen

Wie lange der Hype um den Frauen-Fussball in der Schweiz anhält, hängt wohl auch davon ab, wie sich die Schweizerinnen an der EM schlagen werden. 

Das sieht auch Ana-Maria Crnogorčević so. «Je cooler das Turnier wird und je besser wir abschneiden, desto mehr können wir einen Hype auslösen», sagt die Stürmerin, die in Steffisburg aufgewachsen ist und bis 2009 beim FC Thun spielte. Heute ist die 34-Jährige beim US-Amerikanischen Team Seattle Reign FC unter Vertrag.

Crnogorčević ist seit 16 Jahren im Schweizer Nationalteam und hat schon weit über hundert Länderspiele gespielt. Eine Heim-EM im Wankdorf-Stadion zu spielen, wäre aber auch für sie ein «Riesen-Ereignis», wie sie sagt. «Früher ging ich selbst immer als Zuschauerin ins Wankdorf. Dort vor so vielen Freunden und Familienmitgliedern zu spielen, wäre unglaublich.»

Ana-Maria Crnogorcevic am Mediaday beim Schweizer Fussball Nationalteam Frauen fotografiert am Montag, 16. Juni 2025 in Nottwil. (hauptstadt.be / Simon Boschi)
Ana-Maria Crnogorčević hofft, mit der Heim-EM einen Hype für den Schweizer Frauen-Fussball auszulösen. (Bild: Simon Boschi)

Die Vorzeichen für ein gutes EM-Resultat der Schweizerinnen könnten allerdings besser stehen. Anfang Juni stieg das Nationalteam mit einem 0:1 gegen Norwegen aus der A-Liga der Nations League ab. Das Team hat seine acht letzten Länderspiele allesamt verloren oder unentschieden gespielt. Der letzte Sieg liegt über sieben Monate zurück.

Hinzu kommt ein Kreuzbandriss der Stürmerin Ramona Bachmann, den sie sich Mitte Juni im Training zugezogen hat. Damit fällt eine der erfahrensten Spielerinnen des Teams bei der EM aus.  

Svenja Fölmli, die aus dem luzernischen Sempach kommt und in dieser Woche in Nottwil quasi in der Nachbarschaft trainiert, will die Dinge aber nicht zu negativ sehen. Sie findet, der Heim-Vorteil sei nicht zu unterschätzen: Die vielen Zuschauer*innen auf der eigenen Seite, die Atmosphäre. Das könne im Team auch Kräfte freisetzen. «An einem Heim-Turnier ist vieles möglich. Man kann sich in einen Rausch spielen», so Fölmli.

Viel Andrang beim öffentlichen Training und eine Schnitzeljagd

Am Abend nach dem Medien-Marathon findet auf dem Sportplatz in Nottwil ein öffentliches Training statt. Die Atmosphäre stimmt optimistisch. Rund 300 Schaulustige versammeln sich am Spielfeldrand. 

Unter zahlreichen Mädchen-Fussballteams aus der Region und Familien sind vereinzelt auch mustertypische Fussballfans auszumachen: mit Schweizer Trikot, Schweizer Fahne, Bauch und Dosenbier. 

Mit Jubeln, Rufen oder anderen Lauten hält sich die Menge dann aber doch gutschweizerisch zurück, während die Spielerinnen nach dem Aufwärmen in einen Trainings-Match übergehen.

Eine Woche später steht die Auswahl fest. Nationaltrainerin Pia Sundhage hat mit einer Schnitzeljagd quer durch die Schweiz am Wochenende vom 21. und 22. Juni die 23 Spielerinnen bekanntgegeben, die ab Mittwoch, 2. Juli im Einsatz stehen werden.

Das Trikot von Iman Beney wurde auf dem Platz ihres Jugendklubs FC Savièse gefunden. Zusätzlich verkündete die YB-Spielerin in diesen Tagen gleich den nächsten Karrieresprung: Sie wechselt auf die kommende Saison zu Manchester City in die englische Women's Super League.

Auch Captain Lia Wälti und Ana-Maria Crnogorčević sind erwartungsgemäss im EM-Kader dabei. Dem Heim-Highlight im Wankdorf-Stadion steht für die Bernerinnen nichts mehr im Weg.

Die EM in der «Hauptstadt»

Im Wankdorf-Stadion in Bern werden vier Spiele ausgetragen: Am 3., 6., 11. und 18. Juli. 

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