«Wir müssen mehr bieten als Bier und grosse Bands»

Im Juli 2025 finden in Bern vier Spiele der Fussball–EM der Frauen statt. Hannah Sutter organisiert den Anlass und will damit die Gleichstellung vorantreiben.

Hannah Sutter Co-Projektleiterin Fussball EM Frauen der Stadt Bern fotografiert am Freitag, 13. September 2024 im Tramdepot Bernmobil in Bern. (hauptstadt.be / Simon Boschi)
Dank Hannah Sutters Einsatz sieht Berns EM-Tram anders aus als das in anderen Städten. (Bild: Simon Boschi)

Eine Fussball-EM organisiert sich in zahllosen Sitzungen und Videokonferenzen. Hannah Sutter, Co-Gesamtprojektleiterin der Fussball-EM der Frauen in Bern, ergreift darum jede Gelegenheit, aus ihrem Büro rauszukommen. An einem Freitagmorgen im September läuft sie durch das Tramdepot von Bernmobil und betrachtet, wie Werbetechniker*innen das EM-Sondertram bekleben. Aus einem Bündel Kraftpapier packt sie die Plakate aus, die im Tram hängen.

«Give a girl the right shoes and she can conquer the world» steht auf ihnen geschrieben, ein Zitat von Marilyn Monroe. Ausgesucht hat es der Künstler, der das Tram-Design gestaltet hat. Hannah Sutter gefällt der Spruch. Für sie ist die EM mehr als ein Kampf um den Titel. Ihr geht es auch um Gleichstellung, auf und neben dem Fussballplatz.

Die EM, ein Berner Turnier

Im Juli 2025 ist es soweit. Dann spielen die besten Fussballerinnen Europas um den Meisterinnentitel. In acht Schweizer Städten findet das Turnier statt, eine davon ist Bern. Die Betonung liegt auf: eine davon. Drei Gruppenspiele und ein Viertelfinal werden im Stadion Wankdorf ausgetragen. Für das Eröffnungsspiel und das Finale hat Basel den Zuschlag bekommen, dort steht das grösste Stadion.

Wer Hannah Sutter zuhört, könnte versäumen, dass Bern Partien mit Prestige fehlen oder noch andere Städte Gastgeberinnen sind. Die Worte und die Begeisterung der Co-Gesamtprojektleiterin der sogenannten Host-City Bern drücken aus: Die EM, ein Berner Turnier.

Selbst würde Sutter diese Aussage wohl nicht bestätigen, allein aus Rücksicht auf die anderen sieben Spielorte. Sie sagt: «Wir wollen nachhaltig etwas bewegen im Frauenfussball.»

Hannah Sutter Co-Projektleiterin Fussball EM Frauen der Stadt Bern fotografiert am Freitag, 13. September 2024 im Tramdepot Bernmobil in Bern. (hauptstadt.be / Simon Boschi)
Die EM soll auch die Gleichstellung fördern. (Bild: Simon Boschi)

Die EM 2025 der Frauen soll anders ausgerichtet werden als die EM 2008 der Männer, von der drei Gruppenspiele in Bern stattgefunden haben. «Das Publikum ist diverser und hat andere Ansprüche», erklärt Sutter. Mehr Frauen, Kinder und Familien würden Frauenspiele besuchen, im Stadion und im Public Viewing. «Wir müssen also mehr bieten als Bier und grosse Bands.»

Gerade beschäftigt sich Hannah Sutter mit dem Rahmenprogramm auf dem Waisen- und Bundesplatz. Viele weibliche Künstlerinnen sollen dort auftreten, guten Kaffee brauche es und feines, regionales Essen. Dazu Sitzgelegenheiten und Schatten. Alles so eingerichtet, dass es mittwochs und samstags für den Märit unkompliziert weg- und wieder hingekarrt werden kann.

Ein Mann für die Promotion

Im Rahmenprogramm will Hannah Sutter auch Geschichten erzählen von Fussballerinnen: «Lange gab es fast nur männliche Vorbilder. Wenn wir aber mehr Spielerinnen, Funktionärinnen, Trainerinnen und Schiedsrichterinnen wollen, müssen wir weibliche Vorbilder zeigen. Das ist ganz wichtig, nur so können wir was ändern für die Zukunft.»

Vorerst übernimmt ein Mann eine wichtige Rolle bei der Promotion des Turniers – wenn auch im Hintergrund: Der Berner Künstler Claude Kuhn.

Während das Tram beklebt wird, sagt Hannah Sutter: «Es braucht einen Mix aus weiblichen und männlichen Künstler*innen. Ausserdem ist es eine Ehre, dass er das Tram gemacht hat.» Claude Kuhn ist eine Institution in Bern: Der 76-Jährige hat fast sein ganzes Berufsleben lang für das Naturhistorische Museum gearbeitet und auch unverkennbare Plakate für den Tierpark Dählhölzli oder Boxkämpfe gestaltet.

Auch in anderen EM-Städten verkehren Fussball-Trams, jedoch in Uefa-Designs. Dass das Berner Tram mit Berner Design fährt, ist auch Hannah Sutters Verhandlungsgeschick zu verdanken. Denn sie setzt sich dafür ein, dass der Auftritt rund um die «UEFA Women’s EURO» – etwa in Form von Fahnen und Plakaten – «zu Bern passt.»

Die Suche nach dem «anderen»

Auf den ersten Blick passt der Posten als Co-Gesamtprojektleiterin einer Fussball-EM nicht in den Lebenslauf von Hannah Sutter: Jus-Studium in Fribourg und Rom (Jahrgangsbeste), Berner Anwaltspatent (Jahrgangsbeste), hohe Positionen in renommierten internationalen Kanzleien, zuletzt Leiterin Regulatory Affairs bei der Schweizerischen Post. Dort kündigte sie, weil sie «einmal etwas anderes» machen wollte.

Hannah Sutter Co-Projektleiterin Fussball EM Frauen der Stadt Bern fotografiert am Freitag, 13. September 2024 im Tramdepot Bernmobil in Bern. (hauptstadt.be / Simon Boschi)
Hannah Sutter: «Ich bin seit Ewigkeiten YB-Fan.» (Bild: Simon Boschi)

Dann ging die 46-Jährige mit ihrer Familie auf eine sechsmonatige Reise. Zurück in der Schweiz suchte sie nach diesem Anderen. «Das war nicht einfach. Ich bin immer wieder bei Sachen gelandet, die ich schon gemacht habe.» Sie fragte eine Freundin um Rat – und erhielt von dieser das Inserat für ihren aktuellen Job.

Hannah Sutter findet, der Job passe sehr gut zu ihr: «Ich bin seit Ewigkeiten YB-Fan.» Sie besuchte YB-Matches, als der Klub in der Nationalliga B oder Anfang Nullerjahre im Stadion Neufeld spielte. Während ihres Auslandsemesters in Rom schaute sie die Matches von AS Roma im Stadion. «Und im Studium habe ich eine Seminararbeit über Transferregeln von jungen Spielern geschrieben.» Sogar für einen Job bei der Fifa habe sie sich einst beworben.

Gleichstellung durch Fussball

Und dann ist da noch die Sache mit der Frauenförderung. «Ich habe selbst erlebt, dass die Gleichstellung teilweise weit weg ist von dem, was ich mir darunter vorstelle.» Während des Gymnasiums, des Studiums und der Anwaltsausbildung sei ihr das noch nicht aufgefallen. «Doch bei meiner ersten Stelle in einer Kanzlei waren die höchsten Positionen nur von Männern besetzt. Mir fehlte ein weibliches Vorbild.»

Noch schwieriger sei es geworden, als ihre beiden Töchter zur Welt kamen. Feinere Abstufungen bei den Teilzeitpensen und kitafreundliche Sitzungszeiten hätte sie sich damals gewünscht – aber nicht immer eingefordert: «Lange versuchte ich, im Job alles möglich zu machen.» Heute sieht sie das anders und steht konsequent für ihre Anliegen ein. «Veränderung passiert nur, wenn wir sie einfordern. Ich hoffe, dass es meine Töchter später einfacher haben.»

Die Fussball-EM der Frauen sieht sie als Beitrag zur Gleichstellung der Geschlechter: «Sport ist ein Abbild der Gesellschaft.» Zum Beispiel ist es ihr Ziel, dass Medien mehr über Frauensport berichten. Dadurch würde dieser interessanter für Sponsor*innen, wodurch sich die Ligen schneller professionalisieren lassen könnten. «Wie etwa in England, dort spielen die Frauen von Arsenal London regelmässig vor 60’000 Zuschauer*innen.»

Lokales Publikum

Im Wankdorf Stadion haben rund 31‘500 Zuschauer*innen Platz. Vier ausverkaufte Spiele lautet das nicht überraschende Ziel von Hannah Sutter. Doch anders als bei Männer-EM-Spielen sei das bei den Frauen keine Selbstverständlichkeit, meint sie. «Frauenfussball steht an einem anderen Entwicklungspunkt. Im Ausland Spiele anzuschauen hat sich noch nicht etabliert.» Sutter rechnet darum mit einem Anteil von 80 Prozent Zuschauer*innen aus der Region und 20 Prozent aus dem Ausland – es ist das umgekehrte Verhältnis als bei den Männern.

Hannah Sutter Co-Projektleiterin Fussball EM Frauen der Stadt Bern fotografiert am Freitag, 13. September 2024 im Tramdepot Bernmobil in Bern. (hauptstadt.be / Simon Boschi)
Seit Mitte September ist das grüne EM-Tram in Bern unterwegs. (Bild: Simon Boschi)

Am 16. Dezember werden die Gruppen ausgelost. Dann steht fest, welche Nationen in Bern spielen werden. Auch das werde beeinflussen, wie gut sich der angelaufene Ticketverkauf fortsetzt, mutmasst Sutter.

Kein Vergleich mit den Männern

Bis zum ersten Spiel in Bern am 3. Juli 2025 stehen für Hannah Sutter noch unzählige Sitzungen und Verhandlungen mit Stadt, Kanton, Bund, Uefa und anderen Beteiligten an. «Manchmal kommt es mir vor, als müssten wir als Frauenanlass für alles extra kämpfen.»

Als Beispiel nennt sie den Bundesbeitrag für die Fussball-EM der Frauen: Zeitweise wollte der Bund nur vier statt wie anfangs vorgesehen 15 Millionen Franken an die EM zahlen. Erst als die Austragungsorte und Ständerätin Flavia Wasserfallen intervenierten, einigte man sich auf die 15 Millionen. Zum Vergleich: Bei der EM 2008 der Männer zahlte der Bund 80 Millionen Franken.

Hannah Sutter mag aber nicht Frauen- und Männerfussball gegeneinander ausspielen oder miteinander vergleichen: «Beide haben ihre eigene Geschichte, stehen darum an einem anderen Punkt in der Entwicklung und haben andere Voraussetzungen.» Frauenfussball in der Schweiz sieht sie momentan in einer «Start-Up-Phase»: «Aktuell muss man investieren. In hoffentlich nicht allzu langer Zeit ist er selbsttragend.»

Im Mai hat sie das Champions League Finale der Frauen im spanischen Bilbao besucht. «Eine Wahnsinnsstimmung!» Die 50’000 Tickets seien innerhalb von zehn Minuten verkauft gewesen. «Das zeigt, wohin die Reise geht.»

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