«Wir haben gemerkt, hey, wir sind wirklich gut»
Die YB-Fussballerinnen spielen am kommenden Samstag im Cupfinal. Ein grosser, überraschender Erfolg. Trainerin Imke Wübbenhorst erklärt, wie sie mit ihrem Team Selbstvertrauen erarbeitet.
Imke Wübbenhorst, was bedeutet es für Ihr Team, am 20. April gegen Servette Genf den Cupfinal zu spielen?
Imke Wübbenhorst: Der sensationelle 3:2-Sieg meiner Mädels gegen Basel im Halbfinal, der die Qualifikation für den Final brachte, hat ihnen gezeigt: Die Imke sagt nicht nur, dass wir gut sind. Wir können es auch wirklich sein. In dieser Saison schaffen wir es endlich, nicht nur Teams zu schlagen, die in der Tabelle unter uns sind. Sondern auch mal die von oben.
An was liegt das?
Ich sage den Spielerinnen, seit ich 2022 nach Bern gekommen bin: Ihr seid gut. Doch ich hatte immer das Gefühl, dass sie das nicht wirklich glauben. Jetzt ist der Beweis auf dem Platz gelungen. Wir haben gemerkt, hey, wir sind wirklich gut. Es geht im Fussball ja auch darum, als Team die eigenen Stärken auszuspielen. Daran muss man glauben. Aber oft steht die Angst, Fehler zu machen, im Weg.
Wie zeigt sich das?
Die Spielerinnen agieren mit angezogener Handbremse. Anstatt sauber aus der Verteidigung heraus zu kombinieren, um das Spiel aufzubauen, ist der Gedanke: Mist, weg mit dem Ball. Sicherheit zuerst. Reflexartig lassen sie sich zurückfallen in die Verteidigung, weil sie sich da sicherer wähnen. Dabei wäre es besser, hoch zu pressen.
Hoch zu pressen?
Im Fussball meinen wir damit: Die Gegnerinnen schon in deren Platzhälfte unter Druck setzen und dort versuchen, ihnen den Ball abzunehmen. Das ist nicht ohne Risiko. Aber die Statistik sagt auch: Sehr viele Tore werden erzielt nach Rückeroberung des Balls in der gegnerischen Platzhälfte. Für diese Spielweise muss man körperlich und taktisch gut sein. Aber eben nicht nur das.
Was denn noch?
Die Spielerinnen brauchen auch Mut, Solidarität und Verantwortungsbereitschaft. Es ist wichtig, an diesen persönlichen Qualitäten zu arbeiten, wenn man sich als Team weiterentwickeln will. So verstehe ich Spitzenfussball, und so tut es auch YB. Solche Entwicklungen brauchen zwar Zeit. Aber jetzt sehen wir: Wenn wir diesem Weg vertrauen, können wir Teams schlagen, die höhere Budgets haben und besser bezahlte, erfahrenere Spielerinnen. Das ist die Botschaft, die wir mit der Qualifikation für den Cupfinal aussenden.
«Was uns auszeichnet, ist die Solidarität. Wahnsinn, wie jede für die andere kämpft.»
Wie würden Sie das Spiel Ihres Teams charakterisieren?
Was uns auszeichnet, ist die Solidarität. Wenn ich nach dem Match das Video unseres Spiels analysiere, denke ich manchmal: Wahnsinn, wie jede für die andere kämpft. Da spielen die Gegnerinnen drei, vier meiner Spielerinnen aus, aber an der fünften bleiben sie hängen. In 1-zu-1-Duellen Spielerin gegen Spielerin verlieren wir manchmal den Ball. Aber wir sind giftig und holen ihn rasch zurück. Wir haben den Mut, unseren Fussball zu spielen und uns nicht auf die Klasse einzelner Stars zu verlassen.
Aber im Sturm haben Sie die Amerikanerin Courtney Strode, die mit Abstand am meisten Tore erzielt.
Sie ist ein gutes Beispiel, wenn man unseren Fussball verstehen will. In der vergangenen Saison brachten wir die Bälle zwar gut vor, aber eben nicht ins Tor. Wir holten Courtney Strode vom FC Basel zurück. Sie ist keine Spielerin, die mit dem Ball am Fuss lange Wege macht und auf die man deshalb das ganze Spiel ausrichten muss. Kommt sie aber vor dem Tor an den Ball, ist sie unglaublich kaltschnäuzig. Sie bringt uns genau, was wir als starkes Kollektiv brauchen.
Imke Wübbenhorst (35) begann ihre Trainerlaufbahn 2010 noch während ihrer aktiven Bundesliga-Karriere in der Nachwuchsabteilung des Hamburger SV, anschliessend wechselte sie zum BV Cloppenburg, wo sie 2016 Cheftrainerin in der 2. Frauen-Bundesliga wurde. Im Sommer 2018 übernahm sie die 1. Männer-Mannschaft des BV Cloppenburg in der Oberliga Niedersachsen. Sie war die erste Frau in Deutschland, die ein Männerteam in einer derart hohen Spielklasse führte.
2019 wurde ihre Antwort auf eine sexistische Frage als Fussball-Spruch des Jahres ausgezeichnet.
Seit Sommer 2022 trainiert Imke Wübbenhorst das erste Frauenteam der Berner Young Boys. Sie hat die höchste Trainerlizenz im Fussball und verfügt über ein Lehrdiplom.
Eine Woche nach dem Cupfinal vom 20. April (15 Uhr, Stadion Letzigrund Zürich, YB organisiert eine Fan-Reise) bestreitet ihr Team den Playoff-Viertelfinal der Women's Super League gegen die Grasshoppers. YB ist also auch noch im Rennen um den Schweizer Meistertitel.
Was bedeutet es Ihnen als Trainerin, im Cupfinal zu stehen?
Ich fiebere diesem Final seit dem Sieg gegen Basel entgegen. Ich habe an meinen bisherigen Trainerinnenstationen meist gegen etwas gespielt – gegen den Abstieg etwa. Jetzt spielen wir um etwas. Deshalb sind es echt schöne Gefühle, die ich für dieses Team empfinde.
Was genau?
Wir haben uns gemeinsam etwas erarbeitet. Wenn ich – zum Beispiel – Torhüterin Jara Ackermann nehme: Sie war die Nummer drei in St. Gallen, bei mir steht sie als Nummer 1 auf dem Platz. Eine solche Entwicklung einer jungen, 20-jährigen Spielerin befriedigt mich als Trainerin sehr.
YB ist in diesem Cupfinal gegen Servette Aussenseiter. Was machen Sie, damit Ihr Team nicht in Ehrfurcht erstarrt?
Kürzlich spielten wir im Wankdorf gegen die Grasshoppers unmittelbar nach einem Match der Männer. Deshalb waren ausnahmsweise fast 10’000 Zuschauer*innen im Stadion. Wir haben nach gutem Start und schneller Führung abgebaut und mussten kurz vor Schluss den Ausgleich hinnehmen. Die Spielerinnen haben mir danach gesagt: Hey Imke, wir waren völlig platt.
Wie haben Sie reagiert?
Wir haben die Daten analysiert der GPS-Geräte, die alle Spielerinnen im Match tragen. Bei vielen war die Herzfrequenz vor Aufregung schon vor dem Einlaufen ins Stadion im roten Bereich und der Muskeltonus viel zu hoch. Kein Wunder brachen wir in der zweiten Halbzeit körperlich ein. Wir arbeiten daran, nicht unnötig Energie zu verschleudern.
Wie machen Sie das?
Man weiss, dass sowohl zu starke wie zu schwache innerliche Erregung die körperliche Leistung beeinträchtigt. Am besten performt man bei mittlerer Erregung. Wir arbeiten punktuell mit Mentalcoaches, damit die Spielerinnen lernen, ihre Emotionen besser zu regulieren. Sie sollen nicht schon den ganzen Morgen heisslaufen, wenn das Spiel um 15 Uhr angepfiffen wird. Ich bin gespannt, wie wir das für den Cupfinal hinkriegen.
YB hat favorisierte Teams auch schon geschlagen diese Saison. Was würde ein Cupsieg finanziell bedeuten? Kriegen Sie und die Spielerinnen eine Prämie?
Ehrlich gesagt weiss ich gar nicht, ob mein Vertrag eine Prämie im Fall eines Cupsiegs enthält. Was ich weiss: In den Verträgen der Spielerinnen meines Kaders sind Siegerinnenprämie integriert. Das Team des Cupsiegers erhält gemäss dem Entschädigungsreglement des Fussballverbands die Summe von 5000 Franken ausbezahlt, was aber für die Prämien nicht ausreicht.
Gemäss demselben Entschädigungsreglement zahlt der Fussballverband den Männermannschaften, die sich für den Cupfinal qualifizieren, schon mal 169’000 Franken.
Bei den Männern gibt es eine Zahlung von 169’000 Franken nur schon dafür, am Final teilzunehmen? Ich sage es mal so: Demgegenüber finde ich die 5000 Franken, die der Verband für den Cupsieg bei den Frauen zahlt, etwas traurig.
Sie haben Ihren Vertrag als YB-Trainerin kürzlich bis 2026 verlängert. Mit welchen Perspektiven?
Bei YB spielen mit der zurzeit verletzten Iman Beney eine A-Nationalspielerin und mit Naomi Luyet eine U-19-Nationalspielerin. Das ist ein Anfang.
Und nun?
Das Ziel ist es, dass YB eine gut aufgestellte Organisation wird, bei der Spielerinnen mit einer gewissen Sicherheit die Entwicklung bis zur Nationalspielerin machen können – und nicht das Gefühl haben, dafür zu einem anderen Schweizer Verein oder ins Ausland wechseln zu müssen, was heute oft der Fall ist. Eine wichtige Rolle spielt, dass ab der Saison 2025/26 neben der Champions League auch bei den Frauen ein weiterer europäischer Wettbewerb lanciert wird, vergleichbar mit der Europa League bei den Männern. Das mittelfristige Ziel für YB muss es deshalb sein, europäisch mitzuspielen.
Je besser Ihre Spielerinnen werden, desto grösser ist doch die Gefahr, dass Servette, Basel oder Zürich sie Ihnen mit besseren Löhnen abwerben.
Es stimmt, dass das Interesse anderer Klubs an YB-Spielerinnen zurzeit steigt. Innerhalb der Schweiz verlieren wir aber kaum Stammspielerinnen. Und wir haben mit praktisch allen unseren Spielerinnen die Verträge schon frühzeitig verlängert, damit das Kollektiv zusammenbleibt. Ich gebe Ihnen jedoch Recht. In der Schweiz gibt es eine Zweiklassengesellschaft zwischen Basel, Zürich, Servette und dem Rest der Liga. Es ist für YB zum Teil nicht einmal möglich, eine Spielerin zu holen, die bei einem Spitzenteam nur unregelmässig spielt. Sie erhält dort auch so mehr Geld. Aber YB hat einen anderen Plan, von dem ich sehr überzeugt bin.
Wie sieht der Plan aus?
Wir wollen den Frauenfussball nicht als neuen Hype schnell hochpushen, sondern ihn als ganzer Verein Schritt für Schritt entwickeln. Mein Team ist besser geworden, sportlich sind wir auf Tuchfühlung mit der Spitze. Aber YB fährt jetzt nicht überstürzt die Investitionen hoch, um sofort mit den Grossen gleichzuziehen. Auf Frauenfussball zu setzen bedeutet mehr. Etwa auch, das Marketing auszubauen und die Kommunikation auf Social Media, damit wir uns eine eigene Basis an Sponsor*innen und Fans aufbauen können. Seit ich zu YB gekommen bin, ist da sehr viel gegangen. Heute sind die YB-Frauen noch quersubventioniert, aber langfristig streben wir an, mehr und mehr auf eigenen Beinen zu stehen.
«Aber die interessieren sich null für die Entwicklung der jungen Frauen.»
Ist es nicht so, dass die bevorstehende EM 2025 in der Schweiz dem Frauenfussball so oder so einen Hype bringt?
Selbstverständlich ist das eine grosse Sache, die uns sehr viel bringt. Keine Frage. Aber die aktuelle Entwicklung im Frauenfussball hat auch problematische Seiten.
Welche?
Zum Beispiel werden wir gerade von Spielerberatern überschwemmt, weil bei den Frauen zum ersten Mal Ablösesummen bezahlt werden. Da ist plötzlich ein Markt, an dem man partizipieren kann. Aber die interessieren sich null für die Entwicklung der jungen Frauen. Es geht nur darum, kurzfristig Profit herauszuschlagen. Erfahrungen mit diesen Exzessen haben wir ja schon bei den Männern. Müssen wir bei den Frauen jetzt wirklich auf der gleichen Spur hinterher? Das macht mich manchmal fuchsteufelswild.
Freut es Sie, dass die YB-Frauen den Cupfinal erreicht haben, während die YB-Männer ausgeschieden sind?
Was für eine Frage! Sie wird mir oft gestellt. Aber mit dieser Gegenüberstellung kann ich null und nichts anfangen. Ich sage immer: Wenn YB bei Männern und Frauen den Cup gewänne – wie cool wäre das denn. Wir sind ein Verein.
Was sind Sie für ein Typ Trainerin an der Seitenlinie? Ruhig und cool oder voller Emotionen?
Ich gebe schon Gas und pushe. Aber: Ich kümmere mich nicht um Gegenspielerinnen. Ich kümmere mich nicht um Schiedsrichter*innen. Ich kümmere mich nicht um gegnerische Trainer*innen. Ich kümmere mich ausschliesslich um mein Team. Ich unterstütze sie. Wenn jemand nach einem Ballverlust hadert: Kopf hoch, weiter, vor, vor, vor. Ich bin aber nicht die Joystick-Trainerin, die reinschreit, spiel nach rechts, spiel nach links. Die Entscheidungen sollen die Spielerinnen selber fällen. Das ist für mich etwas vom Wichtigsten.