Adrenalin und Liebe
Nach dramatischem Spiel und Penaltyschiessen küren sich die YB-Fussballerinnen zu Schweizer Meisterinnen. Und krönen den eigenständigen Weg, den die YB Frauen gehen.
Iman Beney, die 18-jährige YB-Stürmerin, nimmt Anlauf zum Penaltypunkt und hämmert den Ball in die rechte Ecke. Die Torhüterin der Grasshoppers fliegt, hat die Hand am Ball, doch von dort springt er ins Netzdach. Tor, 5:4, die grosse Explosion der Gefühle. Erstmals seit 2011 werden die Young Boys Schweizer Meisterinnen. «Irgend einisch fingt ds Glück eim», singt Züri-West-Sänger Kuno Lauener aus den Lautsprechern.
Es wird laut wie nie zuvor bei einem Meisterschaftsspiel der Frauen in der Schweiz. Über 10’000 Zuschauer*innen füllen die ganze Nordtribüne im Wankdorfstadion. Auf dem Feld entrollen die nach dem Marathonspiel von 120 Minuten entrückt strahlenden Fussballerinnen ein Transparent. Darauf steht ihr solidarisches und ein bisschen selbstironisches Credo: «Jedi für jedi, uf zum Meitschi-Troum».
Taktik und Stillen
A propos Traum: Sie sei in der Nacht vor dem entscheidenden Spiel um 3 Uhr aufgewacht, um ihr kleines Baby zu stillen, erzählte YB-Cheftrainerin Imke Wübbenhorst nach dem Spiel. Da habe sie die Nachricht gelesen, die ihr die begabte junge Stürmerin Naomi Luyet (19) geschickt habe. Sie sei fit genug für einen 30-minütigen Einsatz, teilte Luyet mit, die seit sechs Monaten mit einer Beckenverletzung ausgefallen war. Wübbenhorst lag noch eine Weile wach und ging im Kopf Optionen durch, wann sie Luyet für wen einwechseln könnte.
Sie hätten vorgehabt, bis zur Pause mit 4:0 zu führen, sagte Wübbenhorst. Stattdessen liegt YB, das schon das Hinspiel gegen die Grasshoppers 0:1 verloren hat, auch im Wankdorf mit 0:1 zurück. Zwei Tore müssen her, damit es wenigstens für die Verlängerung reicht.
In der 60. Minute wechselt Wübbenhorst Naomi Luyet ein. Diese zieht sofort los am linken Flügel, schiesst, der Ball geht an den Pfosten, Athena Kühn stochert ihn ins Tor. Vier Minuten später versenkt die Amerikanerin Courtney Strode einen Elfmeter. Das Drama, das einen trotz der Bise, die durchs Wankdorf zieht, erglühen lässt, nimmt seinen Lauf bis zum kaum aushaltbaren Penaltyschiessen.
So viel Adrenalin.
Mut und Solidarität
«Ich fordere meine Spielerinnen auf, mutige Entscheidungen zu fällen», sagt Imke Wübbenhorst. Das wolle sie an der Seitenlinie vorleben. Deshalb sei sie in der 60. Minute «all in» gegangen, habe eine Verteidigerin aus dem Spiel genommen und Stürmerin Luyet gebracht.
Auch ihre Penaltyschützinnen gab sie den Mut mit, auf sich zu vertrauen: «In welche Ecke ihr schiesst, ist eure Entscheidung. Aber schiesst scharf!» Alle fünf trafen.
Für Wübbenhorst ist Fussballspielen nicht nur Spitzensport, sondern auch Ausdruck einer gesellschaftlichen Haltung. Es müssen zwar Leistung und Tore her. Aber die Frage ist, wie man dorthin kommt. «Die Spielerinnen brauchen auch Mut, Solidarität und Verantwortungsbereitschaft. Es ist wichtig, an diesen persönlichen Qualitäten zu arbeiten, wenn man sich als Team weiterentwickeln will», sagte sie vor einem Jahr zur «Hauptstadt». Das benötige zwar Zeit, aber «wenn wir diesem Weg vertrauen, können wir Teams schlagen, die höhere Budgets haben und besser bezahlte, erfahrenere Spielerinnen.»
Penaltys und Philosophie
Franziska Schild, seit dem 1. März dieses Jahres General Managerin der YB Frauen, trägt den Kurs ihrer Trainerin «aus Überzeugung» mit, sagt sie zur «Hauptstadt». Der früheren Spitzenspielerin war während des Penaltyschiessens nicht mehr nach einem Sitzplatz zumute. Sie litt oben unter dem Tribünendach stehend mit Team und Trainerin.
«Der Meistertitel ist grossartig und der Lohn für die grossen Anstrengungen, die im ganzen Club geleistet werden», hält sie nach dem Schlusspfiff fest. Der Titel ändere an der langfristigen Entwicklungsphilosophie von YB für den Frauenfussball aber nichts.
YB beschränke sich nicht darauf, ein glänzendes Spitzenteam zu finanzieren. Sondern wolle, dass der Fussball der YB Frauen sich als Gesamtprodukt entwickelt: Neben den sportlichen Ambitionen gehören etwa optimierte Trainingsinfrastrukturen, gut organisierter Nachwuchs, Pflege von Fans und Sponsoren sowie ein eigenständiges Profil auf den sozialen Medien dazu.
«Diese Philosophie bedeutet aber auch, dass nicht jeder Franken in die Spielerinnen investiert wird», sagt Schild. YB werde gelegentlich kritisiert dafür, dass die Löhne der Spielerinnen tiefer seien als bei Clubs, die schwächer sind als YB. «Fussballerinnen bekommen bei anderen Vereinen vielleicht mehr Geld aufs Konto. YB bietet aber ein interessantes Gesamtpaket», entgegnet Schild.
Haltung statt Hype
Nur bei YB spielen die Frauen konsequent alle Heimspiele im grossen Wankdorfstadion. Das wirkt sich auf das Publikumsinteresse aus, aber auch auf die Attraktivität der TV-Übertragung. «Was wiederum unsere Argumente bei Sponsoren verbessert», sagt Schild.
Aus der Sicht von YB allerdings sind die Spiele im Wankdorf eine Investition: Die Kosten dafür, die Stadioninfrastruktur für einen Match hochzufahren, werden mit normalerweise deutlich unter 10’000 Zuschauer*innen bei einem Eintrittspreis von 10 Franken bei weitem nicht eingespielt.
In der Schweiz einzigartig ist, dass in der Aussendarstellung bei YB schon seit einigen Jahren immer Männer und Frauen gemeinsam auftreten. Jüngst zum Beispiel, als je zwei Spielerinnen und Spieler den Spezialdress «YB for everyone» vorstellten.
Das sei ein bewusstes Statement, sagt Franziska Schild. YB zeige auch gegen aussen, dass Fussball der Frauen nicht ein Anhängsel sei, das man angesichts des Hypes um die bevorstehende EM ein bisschen pflege, sondern ein Statement der ganzen Organisation von YB.
Erfolg und Fragen
Allerdings wirft der sportliche Erfolg nun für den sanften Wachstumspfad von YB auch knifflige Fragen auf. Die YB Frauen spielen als Meisterinnen nächste Saison in der Champions League. Das wird dazu führen, dass englische Wochen anstehen (also Spiele auch unter der Woche). Wie weit soll YB jetzt darauf setzen, das Kader zu vergrössern und sich doch mit zusätzlichen Ausländerinnen zu verstärken?
Generell, sagt Franziska Schild, führe die Niveausteigerung dazu, dass der Sprung vom höchsten Nachwuchsteam (U-20) in die Women's Super League deutlich anspruchsvoller geworden sei. 2024/25 schaffte es aus dem eigenen Nachwuchs nur Bianca Dysli ins Super League Team. Nächste Saison werden laut Schild wohl zwei, drei eigene Junior*innen bei den Profis mittrainieren, aber vermutlich eher wenig Spielzeit erhalten. Das bedeutet: «Nur mit eigenen Spielerinnen wird es nicht reichen.»
Business und Mindset
Mit anderen Worten: Das Geschäft mit Transfers von Spielerinnen wird wichtiger. Bei den Männern funktioniert das Businessmodell vereinfacht gesagt so: Die Young Boys engagieren junge Spieler aus dem eigenen Nachwuchs oder aus dem Ausland, investieren in ihre Entwicklung. Wenn die Spieler reif sind und von einem europäischen Topclub engagiert werden, verdient YB Millionen von Franken mit ihnen.
Zwar liegen die Welten der YB-Männer und YB-Frauen finanziell gesehen noch weit auseinander. Wer als Rückensponsor auf dem Matchdress der Männer auftreten will, zahlt gemäss Prospekt pro Saison 400’000 Franken. Bei den Frauen sind es 50’000 Franken.
Trotz deutlich tieferer Beträge, die im Spiel sind: Bei den Frauen zeichnet sich ein ähnliches Geschäftsmodell ab wie bei den Männern. Man spüre, dass mehr Geld – von Clubs, Investoren, Sponsoren – in den Fussball der Frauen fliesse. Allerdings, sagt Franziska Schild, seien alle Beteiligten – Spielerinnen, Manager*innen, Vermittler*innen – erst daran, sich auf den entstehenden Markt einzustellen. Noch bis vor kurzem sei es etwa üblich gewesen, dass Fussballerinnen die Saison zu Ende gespielt und sich erst dann überlegt hätten, ob sie bleiben oder den Verein wechseln.
Profi und Halbprofi
Um vom entstehenden Transfermarkt zu profitieren, muss man sich anders organisieren. YB kann mit einer Spielerin nur dann Geld verdienen, wenn diese mit einer Ablösesumme aus einem laufenden Vertrag herausgekauft werden muss. Mit anderen Worten: Die Spielerinnen brauchen Profi-Verträge.
Profi-Fussballerin ist man in der Schweiz definitionsgemäss dann, wenn man einen sogenannten Nicht-Amateur-Vertrag unterschrieben hat. Seit dieser Saison haben das alle Spielerinnen des YB-Super-League-Teams. Was allerdings nicht heisst, dass sie einkommensmässig Profis wären. Nicht-Amateur-Verträge sind vorgeschrieben, sobald das Monatssalär 500 Franken übersteigt.
In der Realität sind die YB-Spielerinnen laut Franziska Schild Halbprofis – praktisch alle arbeiten oder studieren im Schnitt in einem 50- oder 60-Prozent-Pensum neben ihrer Fussballkarriere. «Natürlich wäre es schön, wenn die Spielerinnen vom Fussball leben könnten. Aber wir können auch mit einer Halbprofi-Organisation noch einiges optimieren», sagt Schild.
So setze YB immer mehr Trainings für das Super-League-Team nicht am Abend, sondern am Nachmittag oder sogar über Mittag an. Das Ziel sei es, dass die Spielerinnen Arbeit oder Studium sowie Fussball im Zeitfenster zwischen 8 und 18 Uhr bewältigen können und so genügend Erholungs- und Sozialzeit hätten.
Glück und Schlaf
Schon kurz nach dem Schuss ins Glück von Iman Beney schiebt Imke Wübbenhorsts Mutter den Kinderwagen aufs Spielfeld. Die frischgebackenen Meisterinnen herzen den kleinen Sohn und umarmen den Partner ihrer Trainerin.
So viel Liebe.
Später steht Wübbenhorst im Medienzentrum, den Sohn auf dem Arm, und gibt Interviews. Sie schlafe nicht zu viel und sei müde wie alle Mütter mit kleinen Kindern, sagt sie mit aufgerauter Stimme. Was sie bezüglich Vereinbarkeit bei YB erlebe, sei unglaublich: «Ich renne überall offene Türen ein.» Ihre Mutter und ihr Sohn fahren mit dem Mannschaftsbus zu Auswärtsspielen mit, damit er gestillt werden kann. Sie könne wann immer nötig im Homeoffice arbeiten. Und selbst der Unternehmer Hans-Jörg Rihs, Besitzer der Young Boys, interessiere sich für diese Fragen.
Jetzt aber, sagt Imke Wübbenhorst, werde mal zwei Tage «richtig hart gefeiert».