Fussball-Boom mit Folgen
Immer mehr Kinder wollen im Verein Fussball spielen, an Trainer*innen fehlt es dagegen. Beim FC Wyler setzt man alles in Bewegung, um der Nachfrage gerecht zu werden.
«Ich bin nur ein kleines Rädli», sagt Jüre Dubach. Der Jugendtrainer sitzt in der Kabine des Sportparks Wyler, kurz vor Trainingsbeginn. 18 Buben jagen heute bei ihm dem Ball hinterher und umspielen Hütchen. Sie sind Jahrgang 2018 und 2019 und machen somit im wahrsten Sinne des Wortes die ersten Schritte im Fussballsport.
«Ein kleines Rädli» – Dubach weiss vermutlich, dass darin viel Understatement mitschwingt. Denn der 75-Jährige ist so etwas wie der Mister FC Wyler, ein Urgestein, eine Institution. Seit 1983 trainiert er Teams im Wylerpark – er hat das Heranwachsen seiner Tochter im Verein erlebt, Vereinsumbenennungen und zuletzt den Übergang vom Berufsleben ins Pensionsalter. «Jüre macht eine Riesenarbeit», sagt Tomas Huber, Leiter Kinderfussball beim FC Wyler. Er weiss, dass Trainer*innen, die sich über Jahrzehnte in einem Verein engagieren, immer mehr zur Ausnahme werden.
Wenn Jüre Dubach das Herz des Nachwuchsfussballs beim FC Wyler ist, dann ist Tomas Huber das Hirn. Der 43-Jährige hat den Überblick über alle Nachwuchsteams. 200 Kinder in 16 Teams kicken beim FC Wyler – oben im Berner Norden, zwischen Autobahn, SBB und Wyler-Badi. Für sie besorgt Huber Trainingsmaterial und organisiert Turniere. Seine wohl wichtigste Aufgabe derzeit: Die Suche nach Trainer*innen.
23 Trainer*innen leiten derzeit ein bis zwei Mal pro Woche ein Training, hinzu kommen Pflichtspiele und Turniere. Die Trainer*innen erhalten eine Aufwandsentschädigung von rund 100 Franken – es steckt also viel ehrenamtliche Arbeit in ihrem Engagement.
Nicht um Leute betteln
Aktuell gibt es nicht genügend Menschen, die bereit sind, dieses Engagement zu leisten. «Wir müssen um die Leute regelrecht betteln», so Huber. Zwar springen Eltern hin und wieder für ein Turnier ein, um zu sehen, ob ihnen die Aufgabe liegt, doch das kann den Mangel nicht beheben. «Insgesamt fehlen uns sieben Trainer*innen», sagt Huber. Das führt zu einem Dilemma: Huber muss direkt auf Eltern zugehen, alle Kanäle und Netzwerke anzapfen, um Trainer*innen zu finden.
Er arbeitet aktuell ein Konzept aus, um Trainer*innen für den FC Wyler zu gewinnen, die vorher in anderen Sportarten aktiv waren und hat ein Inserat auf den Sozialen Medien des Vereins geschaltet. Die händeringende Suche könne aber auch ambitionierte Trainer*innen vergraulen, die nicht Teil eines Systems sein wollen, «indem einfach jeder mitmachen kann».
Trainingsstunde mit Jüre Dubach: Bestimmt im Ton, herzlich in der Art führt der junggebliebene Pensionär aus Fraubrunnen durch die Übungen. Die Hände auf dem Rücken verschränkt, schreitet er über den Kunstrasenplatz. Der Himmel ist grau, und die Bise durchdringt Mark und Bein. Das sei hier häufig so, sagt Dubach. Am Spielfeldrand raunt eine Mutter ihrer Nachbarin zu, es gebe im Lidl gerade Thermounterwäsche im Angebot.
Dubachs Kicker spielen erst seit zwei Monaten Fussball im Verein. Heute hat er ein Stationentraining aufgebaut, ein Trainerkollege unterstützt ihn dabei. Die Kinder schiessen gegen eine Bande und üben den Torabschluss. Bei einem Treffer freuen sie sich wie die Schneekönige. Es folgt ein Match drei gegen drei.
Klar sollen Kinder bei ihm lernen, einen sauberen Pass zu spielen. Doch vor allem im Kindesalter gehe um Grundsätzliches, ist sich Dubacher sicher: Freude vermitteln und ein paar für ihn wichtige Tugenden, zum Beispiel sich per Handschlag zu begrüssen und zu verabschieden und einander dabei in die Augen zu schauen.
Wartelisten für Kinder-Teams
Die Trainer*innensuche sei schon immer schwierig gewesen, gibt Dubach zu bedenken. Doch heute seien darüber hinaus die Ansprüche an die Aufgabe gestiegen. Und statt mit einem müsse man häufig mit zwei Trainer*innen auf dem Platz stehen.
Eltern, die sporadisch mithelfen, sind in den Augen Dubachs zwar eine Hilfe. Am besten sei es aber, wenn die Trainierenden auch einen Jugend-und-Sport-Ausbildungskurs besuchen. Neben dem erworbenen Know-How könne der Verein so für die jeweilige Trainerstelle Zuschüsse bekommen. Dubach hat das B-Trainer-Diplom, was der zweithöchsten Stufe entspricht.
In einem Einsteigerkurs einen Platz zu bekommen, ist derzeit jedoch alles andere als leicht. «Fussball boomt», sagt Kinderfussball-Leiter Tomas Huber. Der Aufwind von YB und der Schweizer Nati in den letzten Jahren habe den Fussball noch präsenter werden lassen: «Wir platzen aus allen Nähten.» Der Club habe bereits einen Aufnahmestopp für neue Spieler*innen machen müssen, weil neben Trainer*innen auch Trainingsplätze fehlten – wie andernorts in der Stadt Bern. Ende Jahr evaluiere man, ob sich durch Abgänge wieder freie Teamplätze ergeben oder nicht. Das sei nur fair gegenüber anderen Kindern, die warten müssten.
Mehr als Fussball
Als Janosch Abel vor zwei Jahren begonnen hat, beim FC Wyler die F-Junior*innen zu trainieren, war die Lage bereits ähnlich: «Ich habe gesehen: es braucht Leute. Einzelne Trainer*innen hatten zu viele Spieler*innen im Team.» Und: «Ich will, dass der Verein es stemmen kann.»
Während sein Sohn bei den E-Junior*innen «schuttet», trainiert Abel nun zwei Mal pro Woche die F-Junior*innen und betreut 19 Kinder im Alter von 7 bis 8 Jahren. Dies zusammen mit einem Hilfstrainer. Er fährt mit den Kindern zu Spielen und Turnieren. «Manchmal wasche ich sogar die Trikots», sagt Abel.
Der 38-Jährige hatte vorher keinen Bezug zum Fussball, hat aber mittlerweile die Ausbildung zum J+S-Leiter Kinderfussball absolviert. Bei aller Anstrengung erhalte er auch viel zurück: «Das Erlebnis in der Gruppe geht über den Fussball hinaus: Die Kinder lernen zu gewinnen und zu verlieren und füreinander einzustehen». Alles in allem sei es ein «extrem guter Ausgleich zum Beruf», so Abel, der als selbstständiger Fotograf arbeitet.