Gaskessel – Stadtrat-Brief #21/25
Sitzung vom 5. Dezember 2025 – die Themen: Berner Jugendclub; Legislaturziele; Wohnberatungsstelle; Schlussrede; Rücktritte; Ratsmitglied der Woche: Barbara Keller (SP).
Bei Kreditgeschäften hat das Parlament in der Stadt Bern einen grossen Einfluss. Es kann die Kredite, die ihm vom Gemeinderat vorgelegt werden, absegnen. Es hat aber auch die Möglichkeit, Anträge zu machen. Zu fordern, dass diese Kredite höher oder tiefer ausfallen – und zwar um einen Betrag, den die Antragsstellenden selbst in den Antrag schreiben. Wird der Antrag angenommen, muss der Gemeinderat umsetzen, was das Parlament bestimmt.
Das ist relevant bei der jährlichen Budgetdebatte. Aber auch bei der Genehmigung von einzelnen Leistungsverträgen, so wie am Donnerstag im Rat.
Gegen den Willen des Gemeinderats hat der Stadtrat dem Kulturlokal Gaskessel für die nächsten zwei Jahre gut 250’000 Franken mehr zugesprochen als bisher. Der Gemeinderat wollte den Beitrag zwar auch erhöhen, aber weniger stark. Das seien die Ergebnisse des «gemeinsamen Prozesses zwischen Behörde und Gaskessel» gewesen, wie die zuständige Gemeinderätin Ursina Anderegg (GB) am Donnerstag im Rat erläuterte.
Konkret hatte die Stadt mit dem Gaskessel einen Beitrag von insgesamt 1,59 Millionen Franken für zwei Jahre ausgehandelt, was einer Erhöhung um 155’657 Franken entsprochen hätte. Das sei bereits 28 Prozent mehr als bisher, sagte Anderegg.
Es war aber weniger, als der Gaskessel ursprünglich verlangt hatte, um einerseits die Löhne auf ein branchenübliches Niveau zu heben und andererseits die steigende Nachfrage nach Jugendsozialarbeit decken zu können.
Der Kredit an sich war im Rat unbestritten: Der Gaskessel soll stärker unterstützt werden, dafür hatten in der vorberatenden Kommission alle Mitglieder gestimmt und das befürworteten auch die bürgerlichen Parteien.
Im Rat gab deshalb nur der Antrag der Kommission auf die zusätzliche Erhöhung um 96’342 Franken zu reden. Mit sehr klaren Lagern: Die RGM-Parteien waren alle dafür. Sinnbildlich dafür steht die Aussage von Barbara Keller (SP): «Wir können nicht sagen, wir wollen faire Löhne, aber nicht mehr Geld zur Verfügung stellen», sagte sie und fügte an: «Alle sind ein bisschen für Kultur, bis sie kostet.» Dagegen hielten die bürgerlichen Parteien. «Der Gaskessel ist nicht strukturell unterfinanziert», sagte etwa Janina Aeberhard (GLP). Oliver Berger (FDP) fand den Vertrag «fair und ausgewogen».
Der Antrag der Kommission wurde schliesslich mit 47 Ja- zu 23 Nein-Stimmen bei 2 Enthaltungen angenommen.
Interessant daran ist: Die Verantwortlichen des Gaskessels haben klug lobbyiert. Nachdem die linksregierte Stadt Bern mit ihnen eine Erhöhung der Beiträge ausgehandelt hatte, mit der sie nicht zufrieden waren, gingen sie zum Parlament. Und überzeugten dort die SP von ihrem Bedarf. Denn nur weil die mit Abstand grösste Partei in der Stadt Bern dafür stimmte, gab es schliesslich eine Mehrheit für die zusätzliche Aufstockung des Kredits.
Barbara Keller (32) sitzt seit Juli 2021 für die SP im Stadtrat. Sie gehört dem neuen Vorstand des Vereins Dampfzentrale an. Aktiv ist sie zudem im Vorstand der Bar- und Clubkommission sowie im Förderverein Reitschule. Die Kommunikationsexpertin arbeitet als vollamtliche Vizepräsidentin in der Geschäftsleitung der Gewerkschaft des Verkehrspersonals (SEV).
Warum sind Sie im Stadtrat?
Weil ich nicht nur zuschauen will, wie sich die Stadt entwickelt – ich will mitgestalten. Bern soll eine Stadt sein, die für alle da ist und niemanden zurücklässt. Dafür engagiere ich mich im Stadtrat.
Wofür kennt man Sie im Rat – auch ausserhalb Ihrer Partei?
Als Gewerkschafterin, Feministin und Kulturpolitikerin mit einem grossen Herz für soziale Anliegen – und als eine Person, die auch mal unbequem sein kann, wenn es sein muss. Gleichzeitig setze ich mich für Verlässlichkeit, Teamgeist und eine gute Zusammenarbeit in Kommission, Fraktion und Rat ein. Bis vor kurzem kannte man mich zudem als Präsidentin der grössten Fraktion.
Welches ist Ihr grösster Misserfolg im Rat?
Ich würde nicht von Misserfolg sprechen – aber manchmal frustriert es mich, wenn wir Beschlüsse zu sozialpolitischen oder bildungspolitischen Themen fassen, diese dann aber einfach versanden oder nicht konsequent umgesetzt werden. So wünsche ich mir beispielsweise beim dringend benötigten Schulraum mehr Tempo von der Verwaltung und vom Gemeinderat.
Worauf sind Sie stolz bei Ihrer Ratsarbeit?
Stadträtin zu sein ist ein Privileg – ich nehme diese Aufgabe mit grossem Respekt wahr. Besonders stolz bin ich darauf, dass viele Berner*innen mit ihren Anliegen zu mir kommen. Ob Menschen in prekären Lebenslagen, die sich Gehör verschaffen wollen, Lehrpersonen mit Problemen bei der Anstellung, oder Kulturschaffende, die für ihre Institutionen kämpfen – dass ich sie unterstützen kann, motiviert mich jeden Tag aufs Neue. Ein Projekt, das mir ganz besonders am Herzen liegt, ist die Notschlafstelle für junge Menschen in Bern – Pluto. Nach einer erfolgreichen Pilotphase konnte dieses wichtige Angebot 2025 in den Regelbetrieb überführt werden. Zum ersten Mal besteht nun ein fester Leistungsvertrag mit der Stadt. Ich durfte Pluto von Beginn an eng begleiten: zunächst als Kommissionspräsidentin beim Besuch vor Ort, später als Sprecherin für den Leistungsvertrag. Auch in der letztjährigen Budgetdebatte konnten wir einen wichtigen Beitrag sichern, um die Überführung in den Regelbetrieb zu ermöglichen. Pluto ist von unschätzbarem Wert. Seit der Eröffnung im Jahr 2021 haben über 500 junge Menschen dort Unterstützung gefunden – einen sicheren Ort, Zugang zur Grundversorgung und professionelle Begleitung in schwierigen Lebenssituationen.
Welches ist Ihr liebster Stadtteil und warum?
Ich habe mich in Bern als Ganzes verliebt, nicht in einen einzelnen Stadtteil. Ich fühle mich aber in meinem aktuellen Wohnquartier, dem Fischermätteli, enorm wohl. Ein Quartier mit viel Charakter, spannenden Menschen und einem eigenen Charme.
Und das war auch noch wichtig:
- Legislaturziele: Seit Anfang Jahr sind die Direktionen im Gemeinderat ganz neu verteilt und drei neue Mitglieder regieren die Stadt. Am Donnerstag wurden die Legislaturrichtlinien 2025-2028 vom Parlament diskutiert. Kurz gefasst hat der Gemeinderat sich drei Schwerpunkte gegeben: Ressourceneffizienz und Leistungsfähigkeit, Klimafreundlichkeit und Resilienz sowie Demokratie und soziale Teilhabe. Die Ziele wurden mehrheitlich wohlwollend zur Kenntnis genommen. «Diese Legislaturrichtlinien sind richtig gut», rühmte Bettina Jans-Troxler (EVP) als Sprecherin der GLP/EVP-Fraktion sogar. Weniger zufrieden waren – naturgemäss – die Nicht-Regierungsparteien. «Uns fehlt der Blick in den Rückspiegel. Die Sicherheit kommt nur indirekt vor», bemängelte etwa Mitte-Sprecherin Béatrice Wertli. «Was nützen diese Ziele, wenn der Stadtrat ständig anders entscheidet, und oft so, dass es der Wirtschaft schadet?», fragte FDP-Sprecherin Ursula Stöckli. Auch die Regierungspartei GFL kritisierte die Richtlinien. Der Gemeinderat führe zu wenig und schreibe lieber Ziele auf, statt sie umzusetzen, sagte Sprecherin Tanja Miljanovic. «Die Richtlinien sollen Orientierung gegen aussen und innen geben», entgegnete Stadtpräsidentin Marieke Kruit. Am Schluss könne Bilanz gezogen werden.
- Wohnberatung: Seit Anfang 2024 bietet die Stadt Bern in Zusammenarbeit mit der Heilsarmee Wohnberatungen für armutsbetroffene Menschen an. Der zweijährige Leistungsvertrag läuft nun aus, soll aber weitergeführt werden. Am Donnerstag beschloss der Rat mit einer deutlichen Mehrheit von 51 zu 11 Stimmen bei 5 Enthaltungen, für das rege genutzte Beratungsangebot einen Nachkredit von 144’666 Franken zu sprechen, was nachträglich eine Unterstützung von insgesamt 496’666 Franken für das Angebot ergibt. Gegen das grundsätzliche Angebot der Wohnberatung gab es aus dem Rat keine Opposition, doch Mitte und FDP stiessen sich an der nachträglichen Krediterhöhung.
- Schlussrede: Mit der Sitzung am Donnerstag endete auch das Ratsjahr. Tom Berger (FDP), der das Parlament ein Jahr präsidiert hat, nahm in seiner Schlussrede das Wort Respekt auf – es war das Motto, unter das er sein Präsidialjahr gesetzt hatte. «Habt Respekt – vor der Sache, vor eurem Gegenüber und auch vor euch selbst», rief er die Ratsmitglieder auf. Er wolle sie dazu ermutigen, sich in Zukunft wieder stärker auf das zu fokussieren, was in ihrer Verantwortung liege. Er sprach damit ein Dilemma an, das im Rat ganz und gar nicht neu ist: Die dominanten linken Stadtparteien reichen seit Jahren Vorstösse ein zu Themen, die nicht in der Kompetenz der Stadt liegen, so etwa Polizei (kantonal geregelt) oder Migration (kantonal und national geregelt). Die bürgerlichen Parteien stellen sich auf den Standpunkt, dass diese Themen im Rat nichts zu suchen haben. Die Linken widersprechen: Als Stadt könne man zwar nicht direkt darüber bestimmen, aber Druck ausüben. Daraus spricht auch die Hilflosigkeit, als linkes Parlament in einem bürgerlich dominierten Kanton zu agieren. Es ist ein Umstand, den die Linken aushalten müssen – und die Reaktion der Linken auf diesen Umstand müssen die Bürgerlichen aushalten.
PS: Auf Ende Jahr gibt es auch zwei Rücktritte aus dem Rat zu verzeichnen: Bettina Jans-Troxler (EVP) verlässt den Rat nach 13 Jahren. Und Laura Binz (SP) will nach 7,5 Jahren im Parlament «neuen Kräften Platz machen».
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