Das Telefon gegen Rassismus

Wer Gewalt oder Rassismus erlebt, kann im Kanton Bern seit 23 Jahren das «gggfon» anrufen. Wer betreibt das Telefon? Was passiert mit den Meldungen und was bewirken sie?

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Sie nehmen das Telefon ab oder beantworten deine Mail, wenn du einen Vorfall zu Rassismus oder Gewalt meldest: Giorgio Andreoli, Caroline Faigaux und Nina Ramseier (v.l.n.r.). (Bild: Danielle Liniger)

Stell dir vor, in der Kaffeepause an deinem Arbeitsplatz macht jemand von deinen Arbeitskolleg*innen einen rassistischen Witz. Einige lachen. Anderen ist es sichtlich unangenehm. Was tust du? 

Lachst du mit? Sagst du nichts? Verlässt du den Pausenraum? Tauschst du dich mit anderen darüber aus? Oder gehst du hin und sprichst es an?

Zivilcourage zeigen 

Es ist ein kalter Winterabend, in einem Raum im Kirchgemeindehaus Wabern haben sich 15 Personen für einen dreieinhalb stündigen Kurs versammelt. Das Thema: Zivilcourage. 

Durch den Abend führt Giorgio Andreoli, Leiter der Informations-, Beratungsstelle Gemeinsam gegen Gewalt und Rassismus («gggfon»), und er konfrontiert die Teilnehmer*innen mit Alltagssituationen wie derjenigen aus der Kaffeepause. Oder einer Begegnung mit Jugendlichen, die alkoholisiert in der Nähe eines Spielplatzes Flaschen kaputtschlagen. Oder Szenen von häuslicher Gewalt, die man vielleicht als Nachbar*in im Treppenhaus miterlebt.

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Wie zeige ich Zivilcourage? Das «gggfon» veranstaltet regelmässig Kurse zu dieser Thematik. (Bild: Danielle Liniger)

Mitorganisiert wird der Kurs von der Fachstelle Prävention Köniz der Sozialdiakonie der Kirche Köniz. Die wenigsten der Teilnehmer*innen waren je persönlich als Opfer von Verletzungen der Menschenwürde oder der Menschenrechte betroffen. Aber viele waren bereits Zeug*in solcher Situationen und wussten nicht, wie sie reagieren sollten.

Wie reagiere ich? Wie schätze ich die Situation ein? «Es hilft, wenn man sich austauscht und hier im Kurs seine impulsiven Reaktionen gemeinsam reflektiert», sagt Andreoli. Er gibt immer wieder praktische Tipps: Hinschauen, Grüssen, Ich-Botschaften verwenden und begründen. Ruhig bleiben, die Situation und sich selbst richtig einschätzen. 

Eine weitere gute Reaktionsmöglichkeit: Den Vorfall dem «gggfon», einer anderen Fachstelle oder der Polizei – wenn die Situation das erfordert – melden. 

Wer ist das «gggfon» und wie arbeitet es? Das «gggfon» ist ein Informations- und Beratungsangebot. Finanziert wird es von rund 40 Gemeinden sowie über einen Leistungsauftrag – aufgrund des Diskriminierungsschutzes – mit dem Kanton. Trägerorganisation des «gggfon» ist die Juko, der Verein für soziale und kulturelle Arbeit in Bern. 

Die Kurse für Zivilcourage sind ein Teil des Angebots. Kernbestandteile des «gggfons» sind die Beratung und Entgegennahme von Meldungen – per Telefon oder Mail – zu Rassismus und Gewalt im öffentlichen Raum oder in Schulen.

224 Meldungen von Privatpersonen

Das «gggfon» beschäftigt sich mit gesellschaftlich heiklen Themen, zu denen auch Rechtsradikalismus gehört, deshalb behält die Beratungsstelle ihren Standort geheim. Gross ist das Büro nicht, wie sich bei einem Besuch der «Hauptstadt» zeigt. Es hat Platz für drei Tische, die in der Raummitte als Dreieck angeordnet sind. Rundherum findet ein Sammelsurium aus 23 Jahren «gggfon» Platz: Ein schwarzes YB-T-Shirt mit der Rückenzahl 21 und dem Schriftzug GGGFON, ältere und neue Flyer, Jahresberichte. Im hinteren Teil des Büros, abgetrennt durch eine Glaswand, stapeln sich weitere Materialien. Neben Plakaten sind kleinere Zirkuszelte oder Leinwände zu finden. 

Im Jahr 2022 hat das «gggfon» vom Kanton 60’000 Franken erhalten. Dazu kommen 58’350 Franken von den rund 40 Gemeinden. Mit ihnen hat das «gggfon» über die Sitzgemeinde Meikirch einen Leistungsvertrag über 4 Jahre. Zu den Beiträgen kommen Eigeneinnahmen aus Projekten, Vorträgen und Weiterbildungen. Diese finanziellen Ressourcen reichten gerade so, um die Kosten zu decken, sagt Andreoli.

Das vierköpfige Team teilt sich 270 Stellenprozente, wovon es zirka 150 Prozent für das «gggfon» arbeitet, den Rest für die Juko. 

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Im 2021 produzierte YB Spezialtrikots, die es nach dem Spiel am 21. März (Internationaler Tag gegen Rassismus) versteigert und der Reinerlös dem «gggfon» überwiesen hat. (Bild: Danielle Liniger)

Für das Gespräch mit der «Hauptstadt» sitzt das Team, das an diesem Tag arbeitet, mit am Tisch. Immer wieder gibt Leiter Giorgio Andreoli die Frage an seine Kolleginnen Caroline Faigaux und Nina Ramseier weiter, er will, dass sie sich einbringen. Die Teamkultur ist ihm für die Arbeit der Beratungsstelle wichtig, er wie seine Mitarbeiterinnen kommen im Gespräch immer wieder darauf zurück.

Es seien zum Teil komplexe Fälle, die zehren könnten, sagt Caroline Faigaux. Deshalb sei es für sie sehr wertvoll, dass das Team jede Meldung gemeinsam bespricht. «Das gibt Halt, und man fühlt sich gestärkt.» 

Diese Art von Teamkultur sei zwar zeitintensiv, «aber letztendlich gewinnt man auch wieder Zeit, weil man durch die Diskussion im Team anders auf eine Situation zugehen kann», ergänzt Andreoli. 

Im letzten Jahr haben bei über 500 Kontaktaufnahmen 224 Menschen einen aus ihrer Sicht rassistischen Vorfall gemeldet und vom «gggfon» eine Beratung erhalten. Die Jahresberichte weisen eine steigende Tendenz aus. Das sei nicht wenig, findet Giorgio Andreoli. Schweizweit gesehen gebe es im Kanton Bern am meisten Meldungen, aber das bedeute nicht, dass Bern im Vergleich zu anderen Kantonen ein grösseres Problem mit dieser Thematik habe. Es liege an der Art, wie das «gggfon» agiere und sensibilisiere. Durch Kurse, Vorträge oder die Präsenz in Gemeinschaftszentren wüssten die Menschen, dass es die Meldestelle gibt und würden sie auch in Anspruch nehmen. 

Trotzdem schätzt Andreoli die Dunkelziffer hoch ein. Es gebe sicher mehr Vorfälle, als gemeldet würden, sagt er: «Uns kennen viele immer noch nicht.» Das «gggfon» bemühe sich zwar, bekannter zu werden. Allerdings brauche das auch Ressourcen, die er und sein Team lieber in die Arbeit mit den Menschen steckten.

Für eine gerechte Welt

Giorgio Andreoli hat das «gggfon» Ende 2000 gegründet und geprägt. Projekte an sozialen Brennpunkten hätten ihn schon immer interessiert, sagt er. Er arbeitete zu dieser Zeit bei der Juko, davor war er ab Mitte der 80er Jahre im Jugend- und Kulturzentrum Gaskessel aktiv. Im Kino in der Reitschule und in der Grossen Halle arbeitete er – mehrheitlich ehrenamtlich – bis 2018. Geht es um rassistische Vorfälle oder Gewalt im öffentlichen Raum, ist im medialen Kontext oft seine Meinung gefragt. 

Mit dem «gggfon» will er seiner Vision einer gerechten Welt näherkommen. 

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Rassismus und rassistische Diskriminierung auflösen. Das ist das Ziel des «gggfons». (Bild: Danielle Liniger)

Es ist aus einer Initiative der Gemeinde Münchenbuchsee entstanden. Im Jahr 2000 kam es dort mehrmals zu Ausschreitungen einer rechtsextremen Gruppe, die Übergriffe auf Menschen mit Migrationshintergrund verübte. Die Gemeinde wandte sich mit den Problemen an die Juko und Andreoli arbeitete ein Konzept aus. Daraus wurde das «gggfon». Sinn und Zweck war eine Instanz, wo sich die Bevölkerung melden kann. Mit der Botschaft: Gemeinsam gegen Gewalt und Rassismus.

«Wir machen soziale Beratung mit dem Ziel, Rassismus oder rassistische Diskriminierung aufzulösen», sagt Andreoli. Dabei will das «gggfon» mit den involvierten Personen ins Gespräch kommen, Diskussionen begleiten, gemeinsam Lösungen erarbeiten und konkrete Handlungsansätze entwickeln.

Die Meldung als Anfang

Das kann ganz unterschiedlich aussehen, weil jede Meldung anders ist. Sicher ist, dass das «gggfon» die geschilderte Situation mit dem Team bespricht und dann einen Vorschlag macht, wie die Person mit oder ohne «gggfon» in Aktion treten könnte. 

Die Meldung endet also nicht schon mit einem Eintrag für die Statistik – ausser das ist von der meldenden Person gewünscht. Die Meldung ist der Anfang. Für (moderierte) Gespräche. Für Mediationen. Für die Begleitung einer Anzeige. 

Das Beharren, Zuhören und Dasein sei das, was die Menschen schätzen und viel bewirke. «Wir können die Eigenständigkeit der Menschen bestärken und ihnen etwas mitgeben. Das nächste Mal wissen sie, wie sie eine Situation angehen können», sagt Nina Ramseier, Ausbildungspraktikantin. 

Am oben genannten Beispiel mit dem rassistischen Witz könnte der Vorschlag des Teams so aussehen, das Gespräch mit der Person zu suchen, die den Witz gemacht hat. Dieses Gespräch kann von jemandem vom «gggfon»-Team begleitet werden. 

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Hier nimmt das Team die telefonische Meldung entgegen. (Bild: Danielle Liniger)

Hilfreich sei, dass es bei den wenigsten Fällen schnell gehen müsse – und sowieso nicht dem Angebot des «gggfon» entspreche. «Besteht bei einer Meldung dringender Handlungsbedarf, zum Beispiel bei akuter häuslicher Gewalt oder bei einem gewalttätigen Übergriff auf der Strasse, leiten wir die Meldung sofort an eine entsprechende Institution oder die Polizei weiter», so Andreoli. 

Anders ist das bei den meisten Fällen. Es kann passieren, dass das «gggfon» bis zu einem Jahr mit einem Fall beschäftigt ist. 

Schwerpunkte setzen

Häufen sich Meldungen zu gewissen Themen oder Institutionen, reagiert  das «gggfon» und startet punktuelle Projekte.

Als sich zum Beispiel Meldungen um Polizeikontrollen bei People of Color gehäuft haben, die sich diskriminiert fühlten, hat das «gggfon» gemeinsam mit dem Swiss African Forum das Projekt Dialog gegen Racial Profiling gestartet. Durch regelmässigen Austausch zwischen der Kantonspolizei Bern und betroffenen Personen sollen Vorurteile abgebaut und Konflikte angegangen werden.

Ob auf individueller, institutioneller oder struktureller Ebene: Wenn durch eine Meldung ein Prozess in Gang gesetzt wurde, sei das ein Erfolg, findet Andreoli.

23 Jahre und jetzt? 

Giorgio Andreoli (65) habe mit dem Vorstand abgesprochen, dass «ich das «gggfon» im nächsten Frühjahr in neue Hände geben werde». Die Weichen für eine Nachfolge seien zwar gestellt – und jüngere Personen eingestellt –, wer und wie sei aber noch nicht im Detail definiert. Nach der Übergabe wolle er sich zurückziehen und vielleicht mit 20-30 Prozent unterstützen. 

Guckloch zum gggfon
23 Jahre hat Andreoli das «gggfon» geführt. In einem Jahr wird er die Führung weitergeben. (Bild: Danielle Liniger)

«Es wäre ein falscher Ansatz zu sagen, es solle genau so weitergehen, wie es jetzt ist», sagt Andreoli. Es sei ein langwieriger Prozess gewesen. Die Gemeinden haben das «gggfon» über die gesamte Zeit mitgetragen, später kam die Unterstützung des Kantons dazu. «Nun haben wir eine gute Struktur. Und es ist mir wichtig, dass ich das auch so weitergeben kann.» 

Mehr könne man in dieser Thematik immer tun, fügt Andreoli hinzu. In diesem Moment klingelt das Telefon des «gggfons». 

Du möchtest einen Vorfall melden? Das kannst du per Mail ([email protected]) oder per Telefon (031 333 33 40) tun. Das Telefon ist Werktags zwischen 10:00 Uhr bis 17:00 Uhr (Mittwochs bis 18:30) bedient.

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