Ostermundigen Spezial

Mal ist der Kehrichtsack blau, mal orange

Eine Velofahrt entlang der Grenze zwischen Ostermundigen und Bern offenbart, dass die Gemeinden längst zusammengewachsen sind. Müllabfuhr, Post- und Parkiersystem laufen aber getrennt. Was zu absurden Situationen führt.

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Berner Ghüderlastwagen mit Sicht auf den «BäreTower». (Bild: Manuel Lopez)

Wir stehen auf der südlichen Ostermundiger Gemeindegrenze. Signalisiert ist sie mit einem so genannten Grenzpunkt. Er ist nicht viel grösser als ein Knopf und in den Randstein eingelassen. Wer ihn nicht sucht, der sieht ihn auch nicht.

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Der kleine Grenzknopf im Rütibühl. (Bild: Manuel Lopez)

Wir suchen ihn, denn wir fahren an diesem Montagmorgen den Grenzen zwischen Bern und Ostermundigen entlang. Wir starten im Rütibühl, das zu Muri-Gümligen gehört, aber genau an Ostermundigen und an Bern grenzt. Von hier aus folgen wir dem Grenzverlauf zwischen Ostermundigen und Bern bis zur Psychiatrischen Klinik in der Waldau, wo die Grenze zu Ittigen folgt. Auch dort werden wir am Schluss einen Knopf finden. In den zweieinhalb Stunden dazwischen erblicken wir den neu erbauten «BäreTower» aus fast allen Richtungen, sprechen mit Autohändlern, Postboten und Anwohnern. Und bekommen einen Eindruck davon, was die Grenze für Quartierbewohner*innen, Autofahrer*innen und die Ghüderabfuhr bedeuten kann.

1.Station: Rütibühl

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Ein Gruss aus der Stadt im Rütibühl. (Bild: Manuel Lopez)

Im Rütibühl ist ein hipper Retrobus zugeparkt mit zwei E-Trottis eines Leihanbieters. Ein kleiner Gruss aus der Stadt. Sie wirkt von hier aus weit, weit weg. Ab und zu ist das leise Rauschen des Zugs zu hören, die Bahnlinie Bern-Thun führt mitten durch die Felder, an ihr entlang die Grenze Ostermundigen-Bern. Die Gleise berühren jedoch nie Berner Boden.

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Blick auf Bern. (Bild: Manuel Lopez)

Hinter einem gelben Rapsfeld sind die Hochhäuser von Wittigkofen (Gemeinde Bern) als malerische Komposition erkennbar, beim Ortsschild von Ostermundigen erhaschen wir einen Blick auf den neu gebauten «BäreTower» im Dunst.

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Ostermundigen scheint weit weg. (Bild: Manuel Lopez)

Die Gemeindegrenze zwischen Ostermundigen und Gümligen verläuft der Strasse entlang und zerschneidet dann den Wald Richtung Gümligental. Wobei zwei Einfamilienhäuser auf der anderen Seite der Strasse und somit auch der Grenze liegen. «Die gehören zu Ostermundigen», bestätigt ein Nachbar, der eben zum Fenster hinausschaut. Und was das bedeute? «Nun, die müssen halt dort zur Schule und wir hier», sagt er, schüttelt den Staubwedel aus und schliesst das Fenster.

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Links ist Gümligen, rechts Ostermundigen. (Bild: Manuel Lopez)

Das Dorf Ostermundigen ist von hier aus etwa einen Kilometer entfernt, dazwischen liegen ein paar wenige Häuser und die Badi, die ihre Saison letztes Wochenende eröffnet hat. Wie es sich wohl anfühlt, als Einzige des Quartiers nicht zur selben Gemeinde zu gehören wie alle anderen? Nicht denselben Schulweg zu haben, nicht am selben Tag Grünabfuhr?

2. Tiefenmösli

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Unwirklich: «BäreTower» hinter frisch gemähtem Gras. (Bild: Manuel Lopez)

Wir sind auf die andere Seite der Bahngeleise gefahren. Das Gras ist frisch geschnitten, die Krähen suchen auf dem Feld nach Fressbarem, der «BäreTower» hinter den Strommasten der Bahngeleise wirkt wie in die Landschaft hineinmontiert. Das Quartier in der Nähe des Schlosses Wittigkofen ist zweigeteilt. Auf der einen Seite heisst die Siedlung Merzenacker und gehört zu Bern, auf der anderen Strassenseite heisst sie Tiefenmösli und gehört zu Ostermundigen. Den Grenzknopf finden wir auch hier.

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Links Bern, rechts Ostermundigen. (Bild: Manuel Lopez)

Auf der Bern-Seite stehen eher Wohnblöcke, auf der Ostermundigen-Seite Ein- und Mehrfamilienhäuser. Hier gilt Parkkarte Zone 3006/5, dort Parkkarte 5. In Bern kostet die Parkkarte für Anwohner*innen monatlich 22 Franken, in Ostermundigen 30 Franken. Auf Ostermundiger Seite ist gerade der Postbote unterwegs. «Ich mache nur diese Seite der Strasse», bestätigt er. Auf der anderen Seite sei ein Kollege verantwortlich. Manchmal begegnen sie sich. Dann grüssen sie. Am Morgen fahren sie mit dem Töffli vom selben Ort aus los. Tatsächlich werden wir dem Berner Pösteler wenig später in entgegengesetzter Richtung begegnen.

3. Waldeck

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Kartenstudium mit Lokalhistoriker Thomas Werner. (Bild: Manuel Lopez)

Nachdem die Gemeindegrenze herrlich nachvollziehbar dem Schosshaldenwald entlang geführt hat, wird es beim ehemaligen Swisscom-Tower kompliziert. Er gehört zu Bern, die Tankstelle gleich daneben, wo sich Berufsschüler*innen soeben mit ihrem Znüni eindecken, zu Ostermundigen. Hinter dem Hochhaus, auf Berner Boden, war früher der Bahnhof Ostermundigen, erzählt Lokalhistoriker Thomas Werner, der uns auf diesem Abschnitt begleitet. Später stand hier, ebenfalls auf Berner Boden, die Giesserei Zent.

Thomas Werner, früher Lehrer in Ostermundigen und nun Leiter des Ortsmuseums, sieht einer Fusion mit Bern gelassen entgegen. «So viel würde sich nicht ändern.» Und es hätte vor 100 Jahren nicht viel gebraucht, und die Fusion hätte schon damals stattgefunden, sagt er. Bis Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts bezahlten die Leute dort Steuern, wo sie arbeiteten. Die Zent-Arbeiter*innen, die meist in Ostermundigen wohnten, zahlten also in Bern Steuern. Ein Hauptgrund, warum Bümpliz 1919 in Bern eingemeindet wurde, sei genau diese Regelung gewesen. In Bümpliz wohnten mehr Menschen als dort arbeiteten, deshalb sei der Gemeinde das Geld ausgegangen. Ostermundigen habe damals dasselbe Szenario gedroht – aber dann sei das Gesetz geändert worden. Fortan zahlte man dort Steuern, wo man wohnte.

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Hier durch die Wiese verläuft die Gemeindegrenze. (Bild: Manuel Lopez)

In Waldeck ist es nicht möglich, der Grenze zu folgen, sie verläuft mitten durch die Häuserzeilen, mitten durch die Gärten. Sinnbildlich dafür ist der Berner Ghüderlastwagen, der vor uns fährt und blaue Berner Abfallsäcke einsammelt. Bei der Burgdorfholzstrasse – mit wunderbarer Sicht auf den «BäreTower» – biegt er aus dem Breiteweg ab. Dessen untere Seite liegt auf Ostermundiger Boden. Dort warten orange Säcke darauf, von einem anderen Fahrzeug abgeholt zu werden.

4. Schermenweg

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Grenzverlauf beim Schermenweg. (Bild: Manuel Lopez)

Das «Auto Center Bern» steht in zwei Gemeinden. Das Hauptgebäude ist auf Ostermundiger Boden, das Nebengebäude mit der Werkstatt auf Berner Boden. «Das ist normal», meint der Mann am Empfangsschalter, der sich auf Ostermundiger Boden befindet, achselzuckend. «Wir sind in beiden Gemeinden angemeldet.» Eine Fusion mit Bern würde allgemein wohl schon mehr Vorteile als Nachteile bringen, meint er. «Für uns als Geschäft ändert sich aber nicht viel.»

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Steht auf dem Boden zweier Gemeinden: das «Auto Center Bern». (Bild: Manuel Lopez)

Die Grenze verläuft laut ihm dem Schild «Car Wash» entlang – sichtbar ist sie nicht. Sie führt dann zum Bahngleis, an der Siedlung Berna vorbei, die sich auf Berner Boden befindet.

5. Waldau

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Ein letzter Blick auf den «BäreTower» von der Bolligenstrasse aus. (Bild: Manuel Lopez)

Die vielen Autos, die sich durch die Baustellen an der Bolligenstrasse kämpfen, sind schon von weitem hörbar. Die Grenze verläuft exakt entlang der vielbefahrenen Ausfahrtstrasse. Die nach amerikanischem Vorbild gebauten einstöckigen Dienstleistungsgebäude, die Autos, Kuchen oder billige Lebensmittel anpreisen, liegen auf Ostermundiger Seite, die universitäre psychiatrische Klinik auf Berner Boden. Zwischen dem zweiten und dritten von vier Kreiseln macht die Grenze eine scharfe 90-Grad-Kurve und führt durch das weitläufige Gelände der Klinik Richtung Schermenwald und Ittigen.

Just bei der Barriere der Klinikzufahrt finden wir den letzten Grenzpunkt zwischen Ostermundigen und Bern. Die Kinder- und Jugendpsychiatrie befindet sich auf Ostermundiger Seite, der Rest der Klinik in Bern – sinnbildlich für die Grenze zwischen Ostermundigen und Bern, die längst zusammengewachsen sind.

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Diskussion

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Thomas Bernhard
12. Mai 2022 um 07:39

…. wollte euch allen einfach zum O‘mundigen-Schwerpunkt gratulieren….