Die «Hauptstadt» entert die Bühne
Warum das Literaturhaus sich unter dem Teppich verkrochen hat und Bern ein Kulturhaus für Junge braucht: Das war der erste «Hauptsachen»-Talk.
Die «Hauptstadt» ist ein Labor. Immer wieder probieren wir Neues. So lancierten wir am Donnerstagabend in Kooperation mit dem Kulturhaus Progr das neue Berner Talk-Format «Hauptsachen». Das Thema der ersten Diskussionsrunde in der Progr-Aula war: «Bern – eine Kulturstadt?»
Das Thema interessierte; die Aula war voll mit – auffällig altersdurchmischten – Menschen.
Marina Bolzli, «Hauptstadt»-Mitgründerin, Co-Redaktionsleiterin und Moderatorin des ersten «Hauptsachen»-Talks, fragte ihre drei Gäste zum Einstieg: «Welche Kulturveranstaltung habt ihr zuletzt besucht?»
Jacqueline Brügger war an einem Indie-Rock-Konzert im ISC – weil sie gearbeitet hat. Sie ist Präsidentin des Berner Musik-Clubs ISC und Co-Präsidentin der städtischen Bar- und Clubkommission.
Claude Eichenberger war am Buskers Bern – wirklich nur als Gast, denn Strassenkunst ist weniger das eigene Genre der Opernsängerin, die langjähriges Ensemble-Mitglied von Bühnen Bern ist.
Und Dani Landolf hat ein Buch fertig gelesen. Lesen gehe oft vergessen, wenn man von Kulturanlässen spreche, sagte der neue Leiter der Berner Kornhausbibliotheken.
Ist Oper elitär und Clubbing Exzess?
Berns Kulturangebot sei reichhaltig und vielseitig. Dass Bern eine Kulturstadt sei, darüber waren sich die drei Gäste schnell einig. «Da muss man kein Fragezeichen setzen, sondern einen Punkt», meinte Claude Eichenberger in Anlehnung an den Titel der Diskussionsrunde.
Wird dieses Kulturangebot denn auch geschätzt? Sowohl Bühnen Bern als auch die Kornhausbibliotheken kämpfen seit dem Corona-Lockdown um Kundschaft. Ganz anders beim ISC: Der Club muss aufgrund der grossen Nachfrage regelmässig Leute abweisen.
«Junge Menschen haben einen grossen Nachholbedarf und drängten früh wieder in die Clubs und an Konzerte», sagte Jacqueline Brügger. Immerhin seien Clubs nicht nur für den Exzess da, sondern stillten auch wichtige soziale Bedürfnisse.
Der ISC erhält keine regelmässigen Gelder von der Stadt Bern – Bühnen Bern und die Kornhausbibliotheken hingegen schon. Haben die beiden hochsubventionierten Betriebe ein Legitimationsproblem?
«Noch nicht», fand Dani Landolf. «Wenn es mehrere Jahre so weiterginge, müsste man sich dieser Frage stellen. Im Moment aber müssen wir uns einfach Mühe geben, ein interessantes Programm anzubieten.»
Kooperieren
Zumindest unter den drei Gästen des «Hauptsachen»-Talks schien der Verteilschlüssel der Kulturgelder unbestritten. Auch, dass Bühnen Bern 60 Prozent der städtischen Subventionen erhält. «Ein solch professioneller Betrieb kann nicht günstiger geführt werden», sagte Claude Eichenberger. «Wenn, dann müsste man die Grundsatzfrage stellen, ob Bern überhaupt eine Kulturinstitution in dieser Grösse will.»
Deutlich wurde, dass unter den Berner Kulturschaffenden wenig Missgunst herrscht: «Es braucht ein Nebeneinander von selbsttragenden Betrieben wie dem ISC und subventionierten Angeboten», sagte Jacqueline Brügger.
«Die städtischen Kulturgelder sind letztlich jedoch beschränkt», machte Dani Landolf deutlich. Das limitiere den Handlungsspielraum. So wäre ihm etwa ein Berner Literaturhaus ein grosses Anliegen – doch dafür eigens eine neue Institution zu schaffen, scheine aktuell unrealistisch. Der Kornhausdirektor sucht deshalb nach Alternativen. So möchte er bestehende Literaturangebote in der Stadt Bern besser miteinander vernetzen und damit ein «dezentrales Literaturhaus» schaffen.
Das enttäuschte eine Zuhörerin: Der Traum von einem «richtigen» Literaturhaus, wie es etwa in Basel existiert und wo Schreibende sich beheimatet fühlen, sei soeben unter dem Teppich verschwunden, so die Berner Autorin.
Jugend vor Schönheit?
Noch vor einem Literaturhaus möchte Jacqueline Brügger lieber einen Kulturort für Jugendliche etablieren. «Unter 18-Jährige haben in Bern zu wenig Ausgehmöglichkeiten», sagte sie. Dabei sei diese Zielgruppe weitaus grösser als die der Literaturinteressierten. Ein Ort, wo junge Menschen laut sein dürfen, wo es Ateliers, Werkstätten, Bandräume gebe, fehle in Bern. Ein Vorbild wäre etwa das «Dynamo» in Zürich.
Dani Landolf warnte davor, einzelne Projekte zu sehr gegeneinander auszuspielen, denn wichtig seien sie alle.
Ein Fazit, zu dem sich die Opernsängerin, die Clubpräsidentin und der Bibliotheksleiter bekennen konnten: Es braucht von allem etwas. Die Vielseitigkeit ist es, die Bern zu einer Kulturstadt macht.
Schreibt über uns!
Und das Publikum?
Das erinnerte daran, dass auch der «Hauptstadt» eine nicht unwesentliche Rolle in der städtischen Kulturdebatte zukommt. So führe der Kulturjournalismus in Bern ein serbelndes Dasein. Dabei könnte genau dieser eine wichtige Plattform bieten.
«Kultur zu besprechen ist ein fester Bestandteil unseres Magazins», sagte «Hauptstadt»-Mitgründerin Marina Bolzli. Gleichzeitig sei man als junges Medienprojekt mit begrenzten Ressourcen zu klein, um alles abzudecken. «Mit Anlässen wie dem heutigen wollen wir jedoch unseren Teil zur Kulturdebatte in der Stadt Bern beitragen.»
Der nächste «Hauptsachen»-Talk findet am 3. November im Progr statt. Dabei wird es um Menschen gehen, die alles andere als staatlich subventioniert werden: Sans-Papiers. Wir fragen uns: «Braucht es eine City Card für Bern?»