Live von der Hitzeinsel

Auf dem Handy kann man neuerdings selber prüfen, ob man sich gerade an einem ungesund heissen Ort in der Stadt befindet. Entstehen so smarte Argumente für Begrünungsmassnahmen?

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Will als Klimabeauftragter des Smart City Vereins für Klimamassnahmen sensibilisieren: Felix Adank im Lorrainepark. (Bild: Niklas Eschenmoser)

Der Bläuackerplatz in Köniz ist eine Asphaltwüste. Es gibt weder Schatten noch Aufenthaltsorte, dafür einen Verkehrskreisel und das Migros-Hochhaus. Das zentrale Geviert, gleich neben dem Sitz der Gemeindeverwaltung, heizt sich im Sommer sehr stark auf. Es ist eine der Hitzeinseln der Agglomeration Bern.

Bekannt ist das Phänomen der Hitzeinseln aus dichtbebauten Innenstädten: Versiegelte Böden heizen die untersten Luftschichten auf. Weil nirgends Wasser verdunsten kann, fällt auch der Abkühlungseffekt weg. Die Forschung zeigt, dass diese lokalen Hitzestaus den Menschen zusetzen: Es kommt zu Übersterblichkeit, Produktivitätsabfall und Gesundheitsschäden wie Magen-Darm-Problemen.

Der Bläuackerplatz am Rand der dicht bebauten Berner Agglomeration zeigt, dass Hitzeinseln nicht nur in der Innenstadt entstehen.

Genau hier weihte der Könizer Gemeinderat Hansueli Pestalozzi (Grüne), begleitet von Gemeindepräsidentin Tanja Bauer (SP), vor zehn Tagen das Pilotprojekt «Pop-up Bläuacker» ein. Entlang der Strasse stehen jetzt Hochbeete, aus denen noch etwas scheu Pflanzen wuchern oder an einer Installation in die Höhe klettern. Zudem gibt es aus Recyclingmaterial gefertigte Sitzgelegenheiten.

Die Gemeinde will nach den Sommerferien Rückmeldungen aus der Bevölkerung zur testweisen neuen Platzgestaltung sammeln. Danach will sie über weitere Schritte nachdenken. Erklärtes Ziel ist es, den Bläuackerplatz «klima- und bedürfnisgerecht» umzugestalten, damit man dort in der Mittagspause ein Sandwich essen kann. Der Weg dazu ist noch weit. Pestalozzi ist klar, dass mindestens Bäume gepflanzt werden müssten. Die provisorischen Hochbeete seien «ein Anfang», hält er fest.

Ein Tropfen auf den heissen Stein?

Was Köniz am Bläuackerplatz einleite, sei «ein Musterbeispiel für niederschwellige Sensibilisierung für lokale Klimamassnahmen». Das sagt Felix Adank bei einem Treffen im Lorrainepark, in dem es frühlingshaft grün wuchert. Adank ist Klimabeauftrager des privaten «Smart City Vereins Bern». Dieser bezeichnet sich als «Netzwerk für digitales Glück». Er setzt sich für «eine nachhaltig vernetzte Stadt und Region Bern» ein.

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Bin ich auf einer Hitzinsel? Der Blick aufs Handy genügt. (Bild: Niklas Eschenmoser )

Ein Pfeiler dieses Engagements: Smart City Bern betreibt seit Herbst 2023 die «Smart Urban Heat Map» – auf deutsch: Eine intelligente Hitzekarte der Region Bern. Von 120 Messpunkten – ein Sensor ist seit kurzem im Lorrainepark montiert – werden laufend die aktuellen Temperaturen übermittelt. Wer irgendwo unterwegs ist, kann über eine Website in Echtzeit den Hitzestand am eigenen Standort abrufen.

«Wenn man Menschen und Politik für Klimaanpassungsmassnahmen sensibilisieren will, muss man die Temperatur messen und die Messungen der Öffentlichkeit zugänglich machen», sagt Felix Adank. Das sei der Grundgedanke hinter der «Smart Urban Heat Map».

Zwischen Netto Null und Klimaresilienz

Unter diesem Titel veranstaltet der Smart City Verein Bern am kommenden Donnerstag im Kornhausforum eine Tagung zur Frage, wie die langfristigen Ziele zur CO2-Emissionsreduktion durch kurz- und mittelfristige Klimaanpassungsmassnahmen unterstützt werden können. Unter anderem werden auch die «Smart Urban Heat Map» und Massnahmen zur Kühlung von Hitzeinseln ein Thema sein. Konsultiere Programm und Anmeldeformular hier.

Gemessen wird das städtische Mikroklima in Bern schon einige Jahre: Forschende des Geographischen Instituts der Universität Bern haben sich intensiv mit städtischen Hitzeinseln und möglichen Abkühlungsmassnahmen befasst. Vor zwei Jahren begleitete die «Hauptstadt» den Geographen Moritz Burger, als er Sensoren für Temperaturmessungen installierte.

Burger weist mit seiner Forschung unter anderem nach, dass einzelne Massnahmen wie Begrünung oder Entsiegelung zwar oft nur einen geringen und teilweise nur knapp messbaren Effekt auf die Temperatur haben. Realisiert man mehrere Projekte, kann sich deren Wirkung aber auf ein spürbares Niveau aufsummieren.

Klimapolitik in der Agglomeration

Die «Smart Urban Heat Map» baut auf die Pionierarbeit der Berner Geograph*innen auf. Dem Smart City Verein gelang es, finanzielle Unterstützung – etwa von der Burgergemeinde, der Gebäudeversicherung oder der Hauptstadtregion – für eine vierjährige Projektphase einzuwerben. Einerseits sollen damit Informations- und Vernetzungsanlässe ausgerichtet werden.

Andererseits wurde damit das Messnetz von 80 auf 120 Sensoren ausgebaut. Sie befinden sich neben der Stadt Bern nun auch in Agglomerationsgemeinden wie Ostermundigen, Ittigen oder Zollikofen und neuerdings sogar in Lyss.

«Klimaanpassung muss auch ein Thema in der Gemeindepolitik werden. Wer durch die Agglomeration fährt, sieht, dass etwa das Problem der Versiegelung nicht an der Stadtgrenze Halt macht», sagt Adank. Die durch die smarte Hitzekarte gratis zur Verfügung gestellten mehrjährige Temperaturmessungen liefern laut Adank Lokalpolitiker*innen, aber auch engagierten Bürger*innen gute Argumente, Klimaschutz und Anpassungsmassnahmen voranzutreiben.

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Lanciert von Berner Geograph*innen: Lamellenartiger Temperatursensor für die smarte, urbane Hitzekarte im Lorrainepark. (Bild: Niklas Eschenmoser )

Am Bläuackerplatz in Köniz sind zwei Sensoren installiert. Es ist allerdings voraussehbar, dass der Abkühlungseffekt der zarten Könizer Pop-up-Bepflanzungsaktion noch kaum messbar sein wird. Grünen-Politiker Pestalozzi hat schon signalisiert, dass er gewillt ist, die Begrünung weiter voranzutreiben. Inpiration liefert auch ein deutlich weiter fortgeschrittener Versuch in der Berner Altstadt.

Vorgestern Samstag fand in der Postgasse in der unteren Altstadt zum zweiten Mal nach 2023 eine urbane Bepflanzungsaktion statt. Das pflanzenwissenschaftliche Institut will aus der Postgasse die «grünste Gasse der Schweiz» machen, wie die Universität Bern mitteilt. 2023 wurden unter anderem acht Bäume und 23 Kleingehölze gepflanzt. In einer Befragung zeigte sich, dass durch die Aktion viele Menschen für den Klimawandel sensibilisiert wurden. Auch wenn ein signifikanter klimatischer Abkühlungseffekt noch ausblieb.

Dafür sei eine deutlich stärkere Begrünung nötig, sagt Initiant und Pflanzenwissenschaftler Matthias Erb. Deshalb wird 2024 die Pflanzendichte weiter erhöht. Das dürfte auch der vorgezeichnete Weg auf dem Bläuackerplatz in Köniz sein.

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Diskussion

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Philipp Gisin
30. Mai 2024 um 07:42

Schön zu sehen, dass an der Laupenstrasse ein Sensor installiert ist, genau an der Stelle, wo ich arbeiten darf und ich/wir spüren hautnah die Auswirkungen dieser Hitzeinsel. Doch leider sind Gebäudeeigentümmer nicht zu sensibilisieren, weil sonst hätte man schon längst die Steinwüste auf dem Vordach anfangen zu begrünen! Die Fenster an diesem Gebäude sind auch nicht die Richtigen für diesen Standort. Es hat sehr viele kleine Optimierungsmöglichkeiten, die dann in der Summe zusammen eine 2-3 Grad-Kühlung im Sommer erwirken würde....aber nein, stattdessen wird eine Klimaanlage angeschafft und schafft dadurch neue Probleme...Heinzungen müssen weichen, damit das Klimagerät Platz hat...schlottern im Winter/regnerischen Tagen und im Sommer Zugluft...besorgniserregend wie der Mensch sich selber immer weiter von der Natur entfernt.