Seilziehen um die Direktionen
Die neue Stadtberner Regierung ist gewählt. Nun ringt sie hinter den Kulissen um die Verteilung der Direktionen. Das ist dieses Jahr ziemlich kompliziert.
Die städtischen Wahlen sind vorbei, die grosse Aufmerksamkeit ist weg. Die Politik spielt sich gerade wieder mehr hinter den Kulissen ab. Aber was passiert, ist wichtig. Auf dem Spiel steht die Verteilung der Direktionen, die das Funktionieren der neuen Regierung massgeblich beeinflusst.
Die neue Berner Stadtregierung steht vor einer Situation, die noch keine vor ihr hatte: Weil drei Mitglieder neu zum Team stossen und der Stadtpräsident in seinem Amt nicht bestätigt wurde, bekommen alle fünf städtischen Verwaltungsdirektionen eine*n neue*n politischen Vorgesetzte*n. Fest steht nur, dass Marieke Kruit (SP) das Stadtpräsidium übernimmt. Für die anderen vier Direktionen – Tiefbau, Verkehr und Stadtgrün (TVS), Finanzen, Personal und Informatik (FPI), Sicherheit, Umwelt und Energie (SUE), Bildung, Soziales und Sport (BSS) – gibt es verschiedenste Optionen. Bis jetzt haben sich die neuen Gemeinderät*innen trotz diverser Gespräche noch nicht auf eine Verteilung geeinigt.
Die Frage der Wunschdirektion
In diesem heiklen Moment der Machtverteilung will sich niemand von den Akteur*innen öffentlich zu Präferenzen äussern. Stadtpräsidentin Kruit strebt an, noch im Dezember eine einvernehmliche Direktionsverteilung bekannt zu geben. Kommt in den Gesprächen aber keine Einigung zustande, muss dies jedoch bis nach dem Jahreswechsel warten. Erst dann ist die neue Regierung offiziell im Amt und kann Entscheide per Abstimmung fällen. Formell wird die Direktionszuteilung an der ersten Regierungssitzung per Mehrheitsbeschluss entschieden. Im nicht einvernehmlichen Szenario braucht ein*e Gemeinderät*in zwei Verbündete (also eine 3:2-Mehrheit), um die eigene Wunschdirektion zu erhalten.
Ein entscheidender Knackpunkt in den laufenden Verhandlungen ist die Zuteilung der Direktion Bildung, Soziales und Sport. Bereits im Wahlkampf hatten sowohl Matthias Aebischer (SP) wie auch Ursina Anderegg (GB) ihr Interesse an dieser Direktion bekundet – freilich ohne auszuschliessen, offen für andere Direktionen zu sein. Die BSS ist die grösste Direktion und eine klassische Domäne der SP, wobei sie in den letzten 12 Jahren von Franziska Teuscher (GB) geführt wurde. Vom Gewohnheitsrecht her gibt es keine Legitimation, dem GB oder der SP den Vorzug zu geben.
Grüne Mehrheit
Die nächste Frage ist, welche Direktion diejenige Person erhält, die sich den Wunsch der BSS nicht erfüllen kann. Sicher ist: Die Direktion für Sicherheit, Umwelt und Energie ist nicht beliebt. Man schlägt sich mit dem Reitschul-Dossier herum, ist bei Demonstrationen gefordert – und findet sich in einem komplizierten Diskurs mit der kantonalen Sicherheitsdirektion wieder, die über die Kantonspolizei auch deren Einsätze in der Stadt verantwortet.
Bis jetzt delegierte die rot-grüne Mehrheit diese unangenehme Aufgabe konsequent an die bürgerliche Minderheit. In den letzten 16 Jahren war Reto Nause (Mitte) dafür zuständig. Wird die neue Regierung Melanie Mettler (GLP) mit diesem Dossier betrauen? Man kann davon ausgehen, dass Mettler einiges tun wird, dieses Szenario zu vermeiden. Von ihrem Profil als Grünliberale her dürfte sie sich für die bis jetzt von Marieke Kruit verantwortete Verkehrs- und Tiefbaudirektion interessieren.
Interessant bei dieser Frage ist, dass der neue Gemeinderat nicht nur eine rot-grüne, sondern auch eine rein grüne Mehrheit hat. Spielt diese grüne Achse, könnten Ursina Anderegg (GB), Alec von Graffenried (GFL) und Melanie Mettler (GLP) die beiden SPler*innen überstimmen und Matthias Aebischer (SP) die SUE anvertrauen. Alec von Graffenried und Melanie Mettler könnten so die gewichtigen Direktionen Finanzen sowie Tiefbau und Verkehr untereinander aufteilen. Ursina Anderegg würde wie gewünscht Schul- und Sozialdirektorin.
Psychologin Kruit
Mit diesem Szenario würden die Grünen die Roten in der Regierung wohl vor den Kopf stossen. Um das zu vermeiden, könnte die SP Ursina Anderegg die BSS überlassen. Zwischen Matthias Aebischer und Melanie Mettler müsste ausgekäst werden, wer die Verkehrs- und wer die unbeliebte Sicherheitsdirektion übernimmt, falls Alec von Graffenried nicht Tiefbau-, sondern Finanzdirektor würde. Bei diesem Szenario würde Anderegg wohl auf Wünsche der SP eingehen.
Eine weitere Variante: Die SP verbündet sich mit Melanie Mettler und Alec von Graffenried und nötigt Ursina Anderegg die SUE auf.
Was man daraus ablesen kann: Die Direktionsverteilung ist in der aktuellen Konstellation eine höchst komplizierte Angelegenheit, in der sich machtpolitische, persönliche und psychologische Faktoren überlagern. Die Protagonist*innen tragen allenfalls weitere Faktoren und Druck von aussen in die Verhandlungen. Für die neue Stadtpräsidentin bedeutet das: Die gelernte Psychologin Marieke Kruit muss jetzt mit einer umsichtigen Moderation dieses Prozesses überzeugen, wenn der Start der neuen Regierung gelingen soll.